Kopfschütteln über Verbot von bunten Tattoos - Manche denken ans Aufgeben

Das Verbot von Tattoofarben ist für viele Studios in der Region nach dem Lockdown ein weiterer Tiefschlag.

von Axel Otto und


Tattoos werden ab heute wohl deutlich trister - die meisten Farben werden verboten.
Tattoos werden ab heute wohl deutlich trister - die meisten Farben werden verboten. | Foto: Axel Otto

Region. Am heutigen Dienstag tritt eine Änderung der EU-Chemikalienverordnung "REACH" in Kraft. Sie weitet ein Verbot diverser Inhaltsstoffe, die in einigen Kosmetika bereits verboten sind auch auf permanentes Make Up und Tattoofarben aus. Das bedeutet ein faktisches Verbot der meisten Farbschläge. Bis auf wenige Ausnahmen sind dann nur noch Schwarz, Grautöne und Weiß zulässig. Tätowierer in der Region befürchten eine Abwanderung der Kundschaft ins Ausland oder in illegale Studios. Manche denken sogar daran, selbst ins Ausland abzuwandern.


Der Umweltkommissar der Europäischen Kommission Virginijus Sinkevičius begründet den Beschluss vom Dezember 2020 mit einem Schutz der Gesundheit und des Wohlbefindens der Bürger: "Neben Allergien und Hautproblemen können giftige Chemikalien, die in Tätowiertinten enthalten sind, weitere gesundheitsschädliche Auswirkungen wie Krebs verursachen. Tätowieren wird in Europa immer beliebter. Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir diese Chemikalien jetzt regulieren."

Holger Kahl in seinem Studio
Holger Kahl in seinem Studio "SkinAffair" in Wolfenbüttel. Foto: Axel Otto



"Besonders die Farbarbeiten oder die Nacharbeiten bei den Kunden, die bereits Tattoos haben, werden natürlich problematisch. Die können wir einfach nicht mehr ausführen", klagt Holger Kahl vom Tattoostudio SkinAffair in Wolfenbüttel. Die Hersteller hatten seit dem Beschluss immerhin mehr als ein Jahr Zeit, um zu reagieren. Weshalb das nicht passiert ist, wundert auch Stephan Wilbertz, Inhaber vom Studio "Indian Dream" in Goslar: "Würde ich von der Produktion dieser Farben leben, hätte ich, sobald das bekannt geworden wäre, auch mal angefangen nach Alternativen zu suchen. Aber das haben sie irgendwie verschlafen. Europaweit."

Stephan Wilbertz im Studio
Stephan Wilbertz im Studio "Indian Dream" in Goslar Foto: Axel otto



In den vergangenen Monaten waren die Farben dann mit Hinweisen versehen, dass sie ab dem heutigen Dienstag nicht mehr verwendet werden dürfen. Für Wilbertz hat das Verbot auch wirtschaftliche Folgen. "Was jetzt erstmal Scheiße ist, dass ich meine ganzen alten Farben für mehrere tausend Euro wegschmeißen kann. Und ich muss mir für viel Geld neue Farben kaufen." Das Angebot sei rar, man müsse auf Vorrat kaufen. Zumindest schwarz, Grautöne und weiß. "Man weiß jetzt nicht, wie es weiter geht", so Wilbertz weiter. Im täglichen Geschäft rechne er mit fünf Prozent Verlust. Andere, die sich eher auf Farben spezialisiert haben, trifft es deutlich schlimmer.


Danny Koers vom Studio
Danny Koers vom Studio "Traditional Pain" in Braunschweig denkt übers Auswandern nach. Foto: Axel Otto



Danny Koers vom Studio "Traditional Pain" in Braunschweig hat im Lockdown schon 10.000 Euro verloren. 70 Prozent seiner Kunden kommen wegen bunten Tattoos zu ihm: "Ich überlege ganz ernsthaft, hier rauszugehen. Ich guck mir das zwei bis drei Monate an, und wenn sich dann mit der Farbe nichts tut, dann werd ich nach England gehen, in die Schweiz oder in die USA." Das würden auch manche Kunden tun - da England kein Teil der Europäischen Union mehr ist, betrifft die Verordnung das Land nicht mehr. Dem Braunschweiger Tätowierer fehle das Verständnis für die Regulierungswut der EU. In 20 Jahren Erfahrung in seinem Beruf seien ihm nur wenige Unverträglichkeiten untergekommen: "Und wenn, dann waren das eher Pflegefehler der Leute."

Flucht in die Illegalität


Wenn die seriösen Tätowierer gehen, bleibt der Schwarzmarkt. "Ich hab die große Sorge, dass es Massen an privaten Tätowierern gibt, die ohnehin schon an der Steuer vorbeiarbeiten und illegales Gewerbe betreiben. Die scheren sich auch einen Dreck darum, was sie den Leuten weiter tätowieren. Solange die Farben bei eBay und Amazon erhältlich sind, werden die auch weiter damit arbeiten und das wird letztendlich die professionellen Tätowierer kaputt machen", meint Wilbertz aus Goslar.

Louis vom Studio
Louis vom Studio "Psychotic Tattoo" in Goslar berichtet über die hohen Auflagen für Tattootinte. Foto: Axel Otto



Sein Goslarer Kollege Louis aus dem Studio Psychotic Tattoo erklärt, dass die Farben mit 15 Euro für 30 Milliliter plus Mehrwertsteuer nicht nur viel kosten, sondern auch scharfen Kontrollen unterliegen: "Wenn die Farbenhersteller eine Charge herstellen, müssen die jedes Mal eine Prüfung machen, allein das kostet wohl schon so um die 600 Euro pro Farbe und die haben dann eben so 80 Farbtöne."

"Irgendein China-Kram, wo kein Mensch weiß, was drin ist"


In der Vergangenheit gab es in der Tattoo-Szene bereits mehrere Umbrüche, wie Louis berichtet: "Früher waren es ja die Schwermetalle, die da drin waren, um Farben kräftiger zu kriegen. Das kann man ja noch verstehen, dass das Kacke ist. Dann waren Azopigmente mal der Renner, dann waren die wieder krebserregend und wurden wieder vom Markt genommen. Man ist da schon hinterher." Louis warnt Kunden aber davor, zum Nach- oder Neustechen auf private Tätowierer auszuweichen. "Wenn ich dir irgendeinen Mist verpasse, kannst du dich ganz anders verteidigen als im Privaten", so der Goslarer Tätowierer. Holger Kahl aus Wolfenbüttel formuliert es etwas anders: "Die Farben, die man sich so auf eBay oder Amazon bestellen kann, waren noch nie hygienisch. Das ist irgendein China-Kram, wo kein Mensch weiß, was drin ist. Farben in einem offiziellen Studio werden vorher in Bielefeld geprüft, bevor die in das Studio kommen dürfen. Wir unterstehen der Kosmetikverordnung."

Ein Hoffnungsschimmer?


"Mit neuen Tattoos in Farbe sieht es schlecht aus, es sei denn, die Hersteller kommen jetzt zügig hinterher, konservierungsmittelfreie Farben herzustellen", meint Kahl aus Wolfenbüttel. "Es gibt Alternativfarben, da gibt es schon einige Ausschlusslisten mit Farben, die keine Konservierungsstoffe enthalten. Wie die von Eternal, die bleiben weiterhin auf dem Markt." Ausgerechnet die für ihre Permanent-Marker bekannte Firma Edding habe laut Louis Ende September für einen Shitstorm gesorgt, "weil die da so eine Nobel-Tatoobude aus dem Boden gestampft haben, wo du als normaler, kleiner Anbieter gar nicht mithalten kannst". Die Firma habe zwar eine Lösung für das Farbenproblem gefunden, genutzt werden die Produkte aber nur im eigenen Tattoostudio in Hamburg. Von einer "Kommerzialisierung der Subkultur der Tattoos" sei die Rede gewesen, wie Edding-Vorstandsvorsitzender Per Ledermann im Portal WELT zitiert wird.

Lösungen sind also nicht völlig unmöglich. Holger Kahl von SkinAffair in Wolfenbüttel appelliert, dass die Tattoostudios sich zusammenschließen sollten, "um gemeinsam was dagegen zu tun. Es ist ja nun mal unser Geschäft, unser Business was so gesehen sehr stark angegriffen wird. Konkurrenzdenken braucht man eigentlich nicht. Grundsätzlich nicht, es gibt genug Kunden!"


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