Niedersachsen. Die niedersächsische Landesregierung habe in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „Rassismus mit aller Kraft“ zu bekämpfen, und versprochen, „dass alle ankommenden Geflüchteten in Niedersachsen gleich behandelt werden und ihnen möglichst schnell ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird.“ Nach Einschätzung eines zivilgesellschaftliches Bündnisses von bislang mehr als 40 Initiativen und Organisationen droht mit der Bezahlkarte jedoch das genaue Gegenteil: Systematische Diskriminierung und Ausgrenzung von Geflüchteten anstatt Chancengleichheit und gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe. Dies geht aus einer gemeinsamen Pressemitteilung hervor.
Deshalb appellieren die Organisationen und Initiativen an die rot-grüne Landesregierung, sich auf ihre Versprechen zu besinnen und die Gleichbehandlung aller Menschen in Niedersachsen sicherzustellen, statt mit der Bezahlkarte ein neues Diskriminierungsinstrument zu schaffen. Beteiligt an dem Bündnis sind auch Akteure aus dem Großraum Braunschweig.
Bezahlkarte sei populistische Symbolpolitik
Bereits im November hatten sich alle Bundesländer und die Bundesregierung darauf verständigt, für Menschen im Asylverfahren oder mit Duldung, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, bundesweit eine Debit-Karte einzuführen, die Beschränkungen im Zahlungsverkehr und bei der Verfügbarkeit von Bargeld ermöglichen soll. Am 26. April hat der Bundestag nun die Einführung einer sogenannten Bezahlkarte für Geflüchtete beschlossen. "Damit ist ein Diskriminierungsinstrument auf den Weg gebracht, das schutzsuchende Menschen davon abhalten soll, nach Deutschland zu kommen", so das Bündnis.
Der Beschluss, eine Bezahlkarte einzuführen, folge auf eine massive Kampagne gegen Geflüchtete, die den Eindruck vermitteln würde, die Menschen würden allein deshalb nach Deutschland kommen, um hier von Sozialleistungen zu leben. Wissenschaftliche Studien zeigten jedoch, dass die Hoffnung auf Rechtsstaatlichkeit, einen Arbeitsplatz und das Vorhandensein von Familie und Freunden entscheidend dafür seien, welches Land Menschen zu erreichen versuchen.
"Wer vor Krieg und Gewalt flieht, wird sich nicht davon abhalten lassen, weil es in Deutschland eine Bezahlkarte gibt. Die Bezahlkarte wird ihren vorgegebenen Zweck nicht erreichen, Geflüchtete jedoch in essenziellen Lebensbereichen diskriminieren. Sie ist Ausdruck einer populistischen Symbolpolitik, die Schutzsuchende weiter ausgrenzt, diskriminiert und kontrolliert", ist sich das Bündnis sicher.
Kein Existenzminimum für Geflüchtete
Mit einer Bezahlkarte würden die sozialen Rechte Geflüchteter weiter eingeschränkt. Das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum werde damit weiter unterschritten. Schon jetzt lägen die Leistungen für Geflüchtete in den ersten drei Jahren ihres Aufenthalts um fast 20 Prozent unter dem Bürgergeld, welches die verfassungsrechtlich garantierte Untergrenze des Existenzminimum markiere.
Dabei hätte das Bundesverfassungsgericht schon 2012 geurteilt, dass das Existenzminimum “migrationspolitisch nicht zu relativieren" sei - ein Leitsatz, den die Politik seither geflissentlich ignorieren würde. In ihrem Koalitionsvertrag hätte die Ampel-Regierung noch angekündigt, dass sie "das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln" werde. Anders als bei der "Schuldenbremse" scheine die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zum Asylbewerberleistungsgesetz und damit auch die Einhaltung des Grundgesetzes aber niemanden mehr zu interessieren, so das Bündnis weiter.
Das sieht die Bezahlkarte vor
Zukünftig sollen Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, grundsätzlich - also auch wenn sie nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben müssen - vorrangig Sachleistungen statt Bargeld bekommen.
Die Leistungen sollen auf eine Bezahlkarte gebucht werden. Die Bezahlkarte ist eine Guthabenkarte ohne Kontobindung. Überweisungen und Lastschriften können eingeschränkt oder gar vollkommen ausgeschlossen werden. Und nach Vorstellung der Bundesländer und der Bundesregierung sollen die Menschen nur einen kleinen Betrag (einigen Bundesländern schwebt ein Betrag in Höhe von 50 Euro im Monat pro Erwachsenem und in Höhe von 10 Euro pro Kind vor) in bar abheben können.
Aber die Bezahlkarte funktioniert nur in Geschäften mit dafür ausgestatteten Lesegeräten, beispielsweise für Mastercard oder VISA. Vielerorts könne man sie nicht einsetzen, etwa auf Flohmärkten, beim Gemeindefest oder in der Schulcaféteria. Händlergruppen, die Geldtransfers ins Ausland anbieten, seien ebenfalls ausgeschlossen. Für die Menschen bedeutete dies: "alltäglich Diskriminierung und Stigmatisierung zu erleben", so das Bündnis.
Eine Einschränkung von Überweisungen führe zu gesellschaftlichem Ausschluss von Geflüchteten: Die Mitgliedschaft in Sport- und gemeinnützigen Vereinen, der Kauf eines Deutschlandtickets, der günstige Einkauf im Internet, sogar der Handyvertrag - all dies werde erschwert oder gar verhindert.
Der Ausschluss jeglicher Überweisungsmöglichkeit laufe überdies auf eine erhebliche Behinderung, wenn nicht sogar Verhinderung einer Rechtsvertretung hinaus: Oft würde es am Wohnort keine spezialisierten Asylanwälte geben, deshalb würden Geflüchtete auf Kanzleien zurückgreifen, die weiter entfernt sind. Ohne Überweisungsmöglichkeit müssten sie dort jeden Monat persönlich erscheinen, um die vereinbarten monatlichen Raten per Bezahlkarte zu zahlen, und die Kanzleien müssten mit entsprechenden Kartenlesegeräten ausgestattet sein.
Es bestehe die Möglichkeit, die Bezahlkarte regional einzuschränken, so dass sie beispielsweise nur in dem Postleitzahlengebiet funktioniert, in dem man wohnt. Dies würde eine faktische Mobilitätseinschränkung mit sich bringen.
Gesundheitskarte statt diskriminierender Bezahlkarte
Eine Bezahlkarte könne sinnvoll sein, wenn sie - wie beispielsweise in Hannover - diskriminierungsfrei umgesetzt wird. Die Ausgabe einer "Social Card" unter anderem auch an Geflüchtete, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, würde Möglichkeiten der Digitalisierung und Vereinfachung von Verwaltungsprozessen bieten, ohne dass der Zahlungsverkehr und die Verfügbarkeit von Bargeld in irgendeiner Weise eingeschränkt wird. Die hannoversche “Social Card” gerate nun aber in Gefahr, wenn die Landesregierung ihre Pläne umsetzen sollte, nach denen allen Kommunen vorgegeben werden soll, Bargeldauszahlungen zu beschränken und Überweisungen zu verbieten, erklärt das Bündnis.
Die Einführung einer Bezahlkarte solle einer kritischen Öffentlichkeit mit dem Argument schmackhaft gemacht werden, dass sie zu einer Entbürokratisierung und der Erleichterung von Verwaltungsabläufen führen würde. Sofern in Niedersachsen dann die genannten Restriktionen - Beschränkung von Bargeldauszahlungen und Überweisungen - für die es dann "Ausnahmen" geben soll, eingeführt werden sollten, sei damit aber kaum zu rechnen.
Das Argument erscheine auch alles andere als glaubwürdig, wenn die Landesregierung auf der anderen Seite weiterhin daran festhält, keine elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete einzuführen. Eine solche Karte würde, so das Bündnis, tatsächlich den Verwaltungsaufwand verringern und zudem den Geflüchteten mühselige Gänge zum Sozialamt ersparen, wo sie sich einen sogenannten Behandlungsschein ausstellen lassen müssen.
Angriff auf die Rechte Schutzsuchender
Die Einführung einer restriktiven Bezahlkarte isei Teil eines großen Angriffs auf die Rechte Schutz suchender Menschen, kritisiert das Bündnis. Der Abbau der sozialen Rechte Geflüchteter passe sich ein in den Ausbau der Festung Europa und die Bestrebungen, sich der Verantwortung für den Flüchtlingsschutz und den Verpflichtungen nicht zuletzt in Form der Genfer Flüchtlingskonvention nach und nach zu entledigen.
"Der extremen Rechten ist es gelungen, einen bestimmenden Diskurs zu entwickeln, der Schutz suchende Menschen nur mehr als Bedrohung betrachtet. Dieses rassistische Narrativ greifen leider immer mehr Parteien auf. Sie treiben damit Entsolidarisierungsprozesse voran und helfen unfreiwillig, den gesellschaftlichen Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben", heißt es in der Pressemitteilung.
Landesregierung soll Versprechen einhalten
Die rot-grüne Landesregierung habe in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „Rassismus mit aller Kraft“ zu bekämpfen, und versprochen, „dass alle ankommenden Geflüchteten in Niedersachsen gleich behandelt werden und ihnen möglichst schnell ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird.“ Mit der Bezahlkarte drohe genau das Gegenteil: Systematische Diskriminierung und Ausgrenzung von Geflüchteten anstatt Chancengleichheit und gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe.
"Die Bezahlkarte als Diskriminierungsinstrument muss daher verhindert werden! Wir appellieren an die Landesregierung, sich auf ihre Versprechen zu besinnen, statt mit der Bezahlkarte ein neues Diskriminierungsinstrument zu schaffen", so das Bündnis abschließend.
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