Ökonom sieht in Europas Stagnation "schleichenden Tod"

Der französische Ökonom Jean Pisani-Ferry sieht bereits Anzeichen dafür, dass Europa von den USA und China abgehängt wird.

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Stahlproduktion (Archiv)
Stahlproduktion (Archiv) | Foto: via dts Nachrichtenagentur

Paris. Der französische Ökonom Jean Pisani-Ferry sieht bereits Anzeichen dafür, dass Europa von den USA und China abgehängt wird. "Europas Stagnation ist bereits ein schleichender Tod. Stillstand bedeutet Abstieg", sagte Pisani-Ferry dem Wirtschaftsmagazin Capital.


Bei dieser Einschätzung stimmt er mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, in dessen Wahlkampfteam er 2017 war, und dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, überein. Pisani-Ferry sieht vertane Chancen: Die EU habe mit ihrem großen Markt "ein Pfund". Der bleibe jedoch unvollendet, weil er in Schlüsselbranchen immer noch national fragmentiert sei, etwa in der Energieversorgung, bei Finanzdienstleistungen und in der Telekommunikationsbranche. Pisani-Ferry plädiert in diesem Zusammenhang für Investitionen über eine gemeinsame Schuldenhaftung nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds.

Pisani-Ferry wird zu den wichtigsten Vordenkern Europas und der deutsch-französischen Beziehungen gezählt. Der Ökonom gründete die Brüsseler Denkfabrik Bruegel und lehrt an der Pariser Eliteuni Sciences Po sowie am Peterson Institute for International Economics in Washington. Der 72-Jährige schrieb 2017 bei der Präsidentschaftskandidatur von Macron an großen Teilen des Wirtschaftsprogramms mit.

Für die EU müssten nach Ansicht des Ökonomen Investitionen in drei Bereichen Priorität haben: zur Aufstockung der europäischen Verteidigungsausgaben, für technologische Entwicklungen und für den Klimaschutz. Zur Finanzierung müssten nach seinen Berechnungen alle EU-Staaten ihre Verteidigungsausgaben um einen halben Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigern. Zuzüglich der Investitionen für mehr Klimaschutz und Forschungsausgaben "bräuchte die EU in Summe jährlich Extramittel in Höhe von zwei BIP-Punkten, und das etwa zwanzig Jahre lang". Das entspräche 300 Milliarden Euro jährlich.

"Die Hälfte dieser Extramittel könnte von privaten Investoren kommen. Die andere Hälfte müsste aus öffentlichen Haushalten bereitgestellt werden. Und wiederum ein Drittel davon, also etwa 0,3 Prozentpunkte der EU-Wirtschaftsleistung, sollte aus Krediten finanziert werden." Es gehe unter dem Strich um Schulden in Höhe von jährlich etwa 50 Milliarden Euro. "Macht über 20 Jahre eine Billion Euro", so Pisani-Ferry.


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