Zum Thema Olivenöl wird viel geschrieben. Gepanscht oder gut. Das ist die Frage, die nur schwer zu beantworten ist.
Der Lebensmittelmarkt ist schier undurchschaubar. Zunehmende Technisierung und die entsprechenden Erfindungen machen (fast) alles möglich. Um ganz normale Produkte zu verstehen, sind bereits vertiefte Kenntnisse der Lebensmittelchemie nötig. Das gilt selbst für so einfache Dinge wie Olivenöl. Wenn man sich klar macht, wie kompliziert es schon mit einem Naturprodukt ist, dann kommt eine Ahnung auf, wie es sich mit einem Fertigprodukt verhält. Um Licht ins Dunkel zu bringen, ist das »Dossier Olivenöl« der Fachzeitschrift »Merum« bestens geeignet. Chefredakteur Andreas März beklagt in seinem Editorial die Oberflächlichkeit, mit der über das Öl geschrieben werde. Das ist einerseits verständlich von jemandem, der sich auf das Thema spezialisiert hat. Andererseits hat natürlich kaum ein Mensch Zeit, derartig ins Detail zu gehen. Das ist das Problem. Technischer Fortschritt zieht Verantwortung nach sich. Und wer der im Leben gerecht werden würde, könnte die bezahlte Arbeit an den Nagel hängen.
Qualitätskategorien besagen wenig
So zutreffend, wie die Einsicht ist. Eine Entschuldigung, sich mit den Dingen gar nicht auseinanderzusetzen, kann man daraus nicht herleiten. Die Vermutungen, dass es nichts sein kann, mit den billigen Massenprodukten in den großen Supermarktketten sind ungefähr so zahlreich wie die Menge der Angebote. Berichte über unlautere Panschversuche gibt es immer wieder. Beweisen lassen sich die Machenschaften offenbar schwer. Fakt ist: Da gibt es in den Discountern Olivenöle, die für drei, vier Euro das Blaue vom italienischen oder griechischen Himmel versprechen. Aber ist Qualität zum Dumpingpreis wirklich möglich? Es gibt drei Qualitätskategorien: Extra Vergine, Vergine und Lampantöl. Allein diese Unterschiede zu erklären, würde ein abendfüllendes Programm darstellen. Ganz genaue chemische Analysen stellen dar, was jede Kategorie mitzubringen hat. Man kann das als Nicht-Chemiker zur Kenntnis nehmen. Verstehen weniger.
Oliven müssten schnell verarbeitet werden
Nach Löwenzahnart für die Normalsterblichen: Beim Extra Verginen Olivenöl müssten die Früchte eigentlich geerntet und sofort verarbeitet werden. Jede weitere Lagerung der Oliven führt zu Gärungsprozessen und damit zur Beeinträchtigung der Qualität. Öl aus besonders gammligen Oliven oder verdorbenes Öl nennt man Lampantöl. Wenn man das chemisch reinigen lässt, darf es wieder verschnitten werden und kommt in den Handel. Das große Problem ist: Selbst die höchste Kategorie, Extra Vergine, garantiert keineswegs Qualität. Merum geht in seinen Untersuchungen davon aus, dass 95 Prozent des Extra-Vergine-Angebots deklassiert gehörten. Das hat etwas mit schwammig gehaltenen EU-Verordnungen zu tun. Eine Kulinarisch38-Nachfrage bei Bastian Jordan, einem Premium-Olivenölanbieter, bestätigt das Dilemma. »Hier gibt es noch einiges zu tun«, so Bastian Jordan gegenüber unserem Portal.
Wer soll dafür arbeiten?
Das Hauptproblem liegt beim Preis. Das heißt die Frage, zu beantworten: Wie viel ist dem Konsumenten das Olivenöl wert. Und kann man für die geltenden Preisvorstellungen überhaupt sauber produzierte Ware bekommen? Hier sind die Fakten äußerst bedrückend. Das Problem beginnt schon bei der Ernte. Merum rechnet vor, dass etwa ein Bauer im apulischen Salento für seine Oliven 15 Cent das Kilo bekommt. Ob er sie vom Baum erntet, so wie es für eine gute Qualität notwendig wäre, oder ob er sie vom Boden aufsammelt, macht sich preislich kaum für ihn bemerkbar. Man kann es offenbar drehen und wenden, wie man will: Wenn der Endverbraucher drei bis sieben Euro anlegt, dann kann man dafür einfach keinen Olivenhain vernünftig bewirtschaften. Tatsache ist: Für einen Hungerlohn kann sich kein Bauer lebenswürdig existieren. Die intensive Pflege dieser Kulturlandschaft wäre noch ein weiteres Thema. Abgefallene Früchte garantieren schließlich nicht mehr die Voraussetzungen für ein hochwertiges Öl.
Die nackte Not
»Hinter den Tiefpreisen steckt die nackte Not, sie sind Vorstufe der Verödung der Olivenhaine und der Landflucht«, heißt es im Merum-Dossier. Der Konsument entscheide nicht nur, welche Qualität er auf dem Tisch stehen hat, sondern zudem, wie die Landschaft und die Lebenswirklichkeit der Menschen sich entwickelten. Wird es in zwanzig Jahren diese Kulturlandschaft noch geben? Die Toscana ist ein beliebtes Ferienziel, für das man locker ein paar Tausend Euro in den Ferien ausgibt. Aber das Schnäppchen-Olivenöl zerstört eben gerade jene bäuerliche Landschaft, die uns so viel Freude macht. Das ist schon eine paradoxe Situation. Die Wahl, die man da fällt, ist nicht leicht, denn die Supermarktanbieter werben mit heiler Welt und Qualitätsstandards, die man nur schwer überprüfen kann. Kulinarisch38 hat bei den großen Ketten Edeka, Rewe und Real einmal nachgefragt, wie das Problem dort gesehen wird.
Mangelndes Problembewusstsein
Nicht verwunderlich: Das Problembewusstsein ist bei allen Märkten nicht gerade ausgeprägt. Man halte sich an die gesetzlichen Vorschriften und gewährleiste hohe Qualitätsstandards, so die übereinstimmende Antwort. Wie diese bei Rewe etwa genau aussehen, konnte Kulinarisch38 leider auch durch mehrfache Anfragen nicht herausbekommen. Eine Kontrollaufgabe sei rechtlich und praktisch nicht möglich, so eine weitere Antwort. Sprich: Wenn große Anbieter Olio d’Olivia als Olivenöl verkaufen, obwohl das darin zulässige und erlaubte und gereinigte Lampantöl das Ursprungsprodukt entfremdet hat, stellt man es trotzdem ins Regal. Schließlich ist das zulässig. Es ist immer so, wie es bei Lebensmittelskandalen ist. Bevor die Bilder gequälter Pferde nicht durch die Presse gegangen sind, war die Kontrollaufgabe der Supermärkte wohl ebenfalls rechtlich und praktisch nicht möglich. Als die Verbraucher sensibilisiert waren, war das ganz schnell anders. So heißt es in der Antwort der Presseabteilung von Real: »Qualität hat bei real,- höchste Priorität. Mithilfe interner Kontrollen sowie Laboruntersuchungen durch unabhängige Institute, modernste Technik und qualifiziertes Personal gewährleisten wir durchgängig hohe Qualitätsstandards – von der Rohware bis zum Verkauf. Um die gesundheitliche Unbedenklichkeit unserer Produkte garantieren zu können, setzen wir neben den staatlichen Kontrollen auf das konzerneigene Qualitätssicherungssystem…«
Gesundheitlich unbedenklich
Das immerhin wird man feststellen können. Gesundheitlich unbedenklich ist das, was wir als Olivenöl verkauft bekommen. Aber das war die Pferdefleischlasagne auch. Trotzdem greift es natürlich zu kurz, allein die Billiganbieter für die Probleme und den Preisdruck verantwortlich zu machen. Verkauft wird, was der Verbraucher verlangt. Und in manchem Inhaber geführten Supermärkten gibt es neben den Billigmarken durchaus Alternativen. Bei regionalen Edeka-Anbietern wird zum Beispiel das bereits erwähnte Jordan-Olivenöl von der Insel Lesbos angeboten. Dort wird mithilfe von Stöcken und Rechen geerntet. »Die Oliven werden innerhalb weniger Stunden am gleichen Tag zur Ölmühle gebracht und sofort zu Olivenöl weiter verarbeitet«, so Bastian Jordan gegenüber Kulinarisch38. Die Weiterverarbeitung erfolgt unter größtmöglichen Ausschluss von Sauerstoff, der die Ware verdirbt, in technisch hochwertigen Ölmühlen. Landschaftspflege und menschenwürdige Arbeitsbedingungen sind beim Kauf eines solchen Öls inklusive. Dafür muss der Verbraucher aber tiefer in die Tasche greifen.
Was will man ausgeben?
Das Statistische Bundesamt hat zu dieser Frage gerade aktuelle Zahlen vorgelegt, die das Dilemma veranschaulichen. Ein Haushalt, der im Monat über 3.133 Euro verfügt, gibt nach den Erhebungen 321 Euro für Essen und Trinken sowie Zigaretten aus. Als Vergleichsgröße werden 329 Euro genannt, die für Verkehr ausgegeben werden. Erhellende wäre etwa die Kosten von Handy- oder Computertechnik. Rund zehn Prozent für etwas so elementares wie Nahrung ist jedenfalls, darüber wird man sich kaum streiten können, nicht viel. Natürlich ist das legitim, sparen zu wollen. Aber die Folgen müssen bedacht werden. Was die Landflucht anlangt, die sich durch die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft ergibt, muss man auch die Folgekosten des Handelns ins Auge fassen. Arbeitslosigkeit ist vorprogrammiert. Einen großen Teil der weltweiten Wanderungen haben die Industrienationen zu verantworten, weil billige, subventionierte landwirtschaftliche Produkte kleine Erzeuger in Schwellenländern kaputtmachen.
Transparenz tut not
Egal wie man sich entscheidet. Was wirklich nottäte, das ist eine vernünftige Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln, die nicht Dinge vorgaukelt, die es nicht gibt. Wenn ein Qualitätsöl von einem Öl minderer Qualität nicht am Etikett unterschieden werden kann, ist etwas faul. Im wahrsten Sinne des Wortes. Man muss nicht so tief einsteigen wie Merum in seinem Olivenöldossier – obwohl es einem die Augen für dieses komplexe Problem öffnet. Aber der Konsument hat am Ende auch ein Recht darauf, nicht durch nebelkerzenartige Versprechungen durcheinandergebracht zu werden. Man kann sich frei für billig entscheiden. Die Folgen sollte man jedoch kennen.
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