"Politisches Versagen": Lebenswichtige Medikamente fehlen - auch bei uns!

Im Herbst und Winter könnte die Lage kippen. Kinder müssten dann im Zweifelsfall stationär eingewiesen werden, heißt es vom Landesverband der Kinder- und Jugendärztinnen Niedersachsen.

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Symbolbild.
Symbolbild. | Foto: via dts Nachrichtenagentur

Region. Ein fieberndes Kind, das dringend Antibiotika braucht. Ein Jugendlicher mit Asthma, der ohne Spray nicht auskommt. Ein Patient mit Herzinfarkt, für den es nur ein einziges Medikament gibt. Solche Szenen sind keine Ausnahme mehr, sondern Realität. Unsere Apotheken erwarten einen Winter, in dem lebenswichtige Arzneien knapp werden könnten.



„Zurzeit bestehen bei Humanarzneimitteln mehr als 500 Lieferengpässe. Die Lieferengpässe variieren zwischen wenigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten. In der Liste sind auch Engpässe gemeldet, die laut den Herstellern bis ins erste Quartal 2026 andauern werden“, sagt Panagiota Fyssa, Sprecherin der Apothekerkammer Niedersachsen. Besonders dramatisch sei der Mangel an Acetylsalicylsäure – wird zur Behandlung von Herzinfarkten verwendet – hier gibt es keine Alternative.

Abhängigkeit von China und Indien


„Lieferengpässe gehören bereits seit Jahren zum Alltag in den Apotheken. Gleichwohl bleibt die Situation nach wie vor angespannt. Bundes- und landesweit sind alle Apotheken gleich von den Lieferengpässen verschiedener Arzneimittel betroffen – also auch die Apotheken in Braunschweig“, so Fyssa.

Deutschland ist abhängig geworden von Produktionsstätten in Asien. „Allein 54 Prozent der Wirkstoffe werden in Indien und China produziert“, erklärt Fyssa. Fällt dort ein Werk aus, spüren Patienten die Folgen sofort. Rabattverträge der Krankenkassen und Preisdruck haben die Lage zusätzlich verschärft. Auch neue Therapien lassen die Nachfrage steigen und treiben so die Engpässe an.

Stress in den Apotheken


Für die Apotheken bedeutet das zusätzliche Arbeit. Jede Woche verbringen die Teams bis zu 30 Stunden damit, mit Ärzten zu telefonieren, Alternativen zu suchen oder Medikamente selbst herzustellen. „Im Falle eines Lieferengpasses kann meist auf ein anderes Arzneimittel ausgewichen werden - aber nicht bei allen“, warnt Fyssa. Besonders schwierig ist die Lage bei ADHS-Medikamenten für Kinder.

Dr. med. Tanja Brunnert, Sprecherin des Landesverbands der Kinder- und Jugendärztinnen Niedersachsen
Dr. med. Tanja Brunnert, Sprecherin des Landesverbands der Kinder- und Jugendärztinnen Niedersachsen Foto: privat


Sorge bei Kinderärzten


Die Engpässe treffen Familien besonders hart. „Momentan haben wir in unserer Praxis Probleme Kinder mit sehr seltenen Erkrankungen mit den für sie lebenswichtigen Medikamenten in Saftform zu versorgen. Irgendwie bekommen es die Apothekerinnen dann doch immer noch hin, aber es kostet Zeit und Nerven“, berichtet Dr. med. Tanja Brunnert, Sprecherin des Landesverbands der Kinder- und Jugendärztinnen Niedersachsen.

Im Herbst und Winter könnte die Lage kippen. „Ich möchte mir nicht vorstellen, was es für ein Kind oder Jugendlichen mit Asthma bedeutet, wenn das Notfallspray nicht mehr lieferbar ist. Wir werden diese Kinder dann im Zweifelsfall stationär einweisen müssen. Dies wird zu einer schlechteren Versorgung der Kinder und einer Steigerung der Behandlungskosten führen.“

Rat an Eltern – Kritik an der Politik


Eltern sollten Medikamente frühzeitig besorgen, rät Brunnert. „Rechtzeitig merken, wenn das Dauermedikament zu Ende geht. Alle Apotheken im Umkreis abtelefonieren. Keine Hamsterkäufe. Damit verschieben wir das Problem nur und werden es im Zweifelsfall auch noch verschärfen.“

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) spricht von einem politischen Versagen. Noch immer fehlen in Europa Produktionsstätten für wichtige Präparate wie Penicillinsäfte. „Diese Mangelverwaltung besteht jetzt seit einigen Jahren. Weiterhin gibt es in Europa keine ausreichenden Kapazitäten, z.B. Penicillinsäfte für Kinder herzustellen. Der BVKJ hält dies für ein politisches Versagen auf nationaler und europäischer Ebene.“

Ein Winter voller Unsicherheit


Die Bundesregierung hat neue Gesetze erlassen, die Apotheken etwas mehr Spielraum geben. Doch spürbare Entlastung ist bislang nicht eingetreten. Wie sich die Lage im Winter entwickelt, ist unklar. Klar ist nur: Auch in der Region Braunschweig werden Apotheker, Ärzte und Familien wieder improvisieren müssen und hoffen, dass das richtige Medikament noch rechtzeitig da ist.