Berlin. Die traditionellen Extremismus-Kategorien verlieren bei der Erfassung politisch motivierter Straftaten immer mehr an Bedeutung. Wie eine Abfrage der "Welt am Sonntag" ergab, rechneten die Polizeibehörden aus fünf Bundesländern in der ersten Hälfte des laufenden Jahres rund 43 Prozent aller politischen Delikte nicht mehr den Bereichen Links- oder Rechtsextremismus oder Islamismus zu.
Die Fälle wurden vielmehr in der Kategorie "Nicht zuzuordnen" erfasst. Der Anteil der keinem der traditionellen Phänomenbereiche zugeordneten politisch motivierten Straftaten ist zuletzt deutlich gestiegen. Im Jahr 2020 lag er noch bei etwas weniger als 20 Prozent. Im vergangenen Jahre stuften die Polizeibehörden bundesweit bereits 38 aller politischen Delikte als "Nicht zuzuordnen" ein. Statistiken des Bundeskriminalamtes (BKA) zeigen, dass die meisten dieser Fälle im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie verübt wurden, etwa von Anhängern der "Querdenker"-Szene. Zu der Abfrage der "Welt am Sonntag" übermitteln die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern Zahlen zur Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität. Zusammengenommen klassifizierten die dortigen Polizeibehörden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres rund 9.900 Gesetzesübertritte als politisch motiviert. Das sind rund 300 Fälle weniger als in der ersten Hälfte des Jahres 2021. Damals hatte die politisch motivierte Kriminalität bundesweit ein Allzeithoch erreicht. In Bayern ist die Zahl der politischen Straftaten im Vergleich der ersten Halbjahre 2021 und 2022 auf nunmehr 2.991 registrierte Fälle gesunken. Auch in Hamburg (752 Fälle) und Berlin (2.559) registrierten die Polizeibehörden in von Januar bis Juni dieses Jahrs im Vergleich zum Vorjahreszeitraum Rückgänge der politisch motivierten Kriminalität. In Mecklenburg-Vorpommern verdoppelte sich das Aufkommen hingegen auf nunmehr 1.113 als politisch klassifizierte Delikte.
In Baden-Württemberg erfasste die Polizei 2.248 Fälle. Das ist ein Anstieg von knapp zehn Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die übrigen Bundesländer verweigerten die Auskunft zur Entwicklung der Zahlen. Die Grünen kritisierten die Erfassungsmethoden der Polizei.
"Wenn rund 40 Prozent aller politisch motivierten Straftaten keiner Kategorie zugeordnet werden, erweckt das den Anschein sicherheitspolitischer Ratlosigkeit", sagte ihr innenpolitischer Sprecher, Marcel Emmerich. Die Linken-Abgeordnete Martina Renner sagte, die Kategorie "Nicht zuzuordnen" werde überwiegend genutzt, um die hohe Zahl rechter Delikte kleinzurechnen.
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