Regionale Erzeuger: Der Milchbauer mit der Tankstelle

So is(s)t die Region: Für den ersten Teil unserer Serie haben wir den Milchbauern Erich Gehrke und seine 120 Kühe besucht. Seine Milch vermarktet Gehrke zum Teil selbst. Warum sein Job dort aber nicht endet, das erklärt der Landwirtschaftsmeister im Gespräch mit regionalHeute.de.

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Milchbauer Erich Gehrke auf der Weide. Seine Tiere können tagsüber selbst entscheiden, ob sie auf die Weide oder in den Stall wollen.
Milchbauer Erich Gehrke auf der Weide. Seine Tiere können tagsüber selbst entscheiden, ob sie auf die Weide oder in den Stall wollen. | Foto: Niklas Eppert

Groß Sisbeck. Am Regiomaten in Groß Sisbeck im Landkreis Helmstedt ist das geflügelte Wort von "Lebensmitteln aus der Nähe" sehr wörtlich zu nehmen. Denn wer der Straße, in der der Regiomat steht, noch einige hundert Meter folgt, der findet den Stall, in dem die Milchkühe von Erich Gehrke stehen. Mit 120 Kühen werden hier etwa 1.000.000 Liter Milch im Jahr produziert, die an mehrere Milchtankstellen, Kindergärten und Schulen, aber auch an Molkereien verkauft werden. regionalHeute.de hat Gehrke in seinem Stall besucht.


Wer schon einmal den Geruch eines Kuhstalls in der Nase hatte, der wird ihn so schnell nicht vergessen. Erich Gehrkes Stall ist da keine Ausnahme. Die außerhalb von Groß Sisbeck gelegene Anlage liegt etwas versteckt am Eingang zur örtlichen Feldmark. Dass man dann aber doch am richtigen Ort ist, erkennt man am unverwechselbaren Geruch des Milchviehs. Die 120 Kühe stehen in einem Stall, dessen Tore an beiden Enden offen stehen. Über eine mit Draht abgesteckte Gasse können die Tiere jederzeit auf die nur einige Meter hinter dem Stall gelegene Weide. Etwas Geruch lässt sich also kaum verhindern.

Gehrke, der seit 1999 direkt Milch vermarktet, führt den Betrieb als Familienunternehmen mit 15 Mitarbeitern. Ungefähr ein Viertel seiner Milch geht in die direkte Vermarktung, das heißt an Milchtankstellen, Regiomaten, Schulen und Kindergärten. Von Groß Sisbeck aus liefern Gehrkes Fahrer die Milch an 30 Kindergärten und zehn Schulen. Im Gegenzug können sich die Kinder den Stall ansehen, aus dem ihre Milch kommt. Das Angebot wird, so Gehrke, sehr gut angenommen: "Wir haben etwa 30 bis 40 Besuche im Jahr", erzählt der Milchbauer. Für die Kinder sei das immer wieder ein Highlight. Kühe aus nächster Nähe zu sehen und sogar zu streicheln sei eine Seltenheit für die meisten Leute geworden, nicht nur für Kinder. Das zu ermöglichen ist für Gehrke allerdings Teil seines Berufs. Aktuell fielen die Besuche wegen Corona jedoch aus.

Den Bezug zum Milchvieh herstellen


Gehrke freue sich über Besucher, gerade bei Schulklassen oder Kindergartengruppen. Das helfe wieder ein Bewusstsein für die Herkunft von Lebensmitteln zu schaffen, bei Kindern und Lehrern gleichermaßen, glaubt Gehrke, nicht nur bei der Milch. Er gehe ganz offen mit den Kindern um, was die Kühe angeht. Dazu gehöre auch, dass sie am Ende ihres Lebens geschlachtet werden. Noch vor einigen Jahren hätte er das Thema bei Kinderführungen umschifft. Das habe sich geändert. Letztlich wollte er nicht zu einem allzu romantischen Bild von Landwirtschaft beitragen, das sich bei vielen im Kopf verfestigt habe. Zur Realität gehöre eben auch, dass die Kuh irgendwann "bei McDonalds im Hamburger landet."

In Erich Gehrkes Stall bei Groß Sisbeck stehen 120 Kühe. Mit ihnen produziert der Betrieb etwa eine Million Liter Milch im Jahr.
In Erich Gehrkes Stall bei Groß Sisbeck stehen 120 Kühe. Mit ihnen produziert der Betrieb etwa eine Million Liter Milch im Jahr. Foto: Niklas Eppert


Wenn die Kinder in Kontakt mit den Tieren treten, schaffe das Bewusstsein für die Herkunft ihrer Lebensmittel. Er zeige seinen Besuchern aus erster Hand, dass die Kühe eine Aufgabe hätten, dass sie eben Nutzvieh seien. Das bedeute für den Landwirtschaftsmeister aber nicht, dass die Tiere wie Maschinen optimiert werden könnten oder müssten. "Mir ist vor allem wichtig, dass die Tiere langlebig und gesund sind", betont Gehrke. Die Kühe entschieden tagsüber außerhalb der Fütterungszeiten selbst, ob sie auf die Weide gehen oder nicht. Gefüttert würden Maiselage, Rapsschrot und Rübenschnetzel. Alles aus der Region angeliefert, Gehrke füttert seit 15 Jahren kein Soja mehr. Dazu verzichte er weitestgehend auf die sonst übliche künstliche Befruchtung. Zwischen den Milchkühen laufen zwei Bullen umher, die das auf natürliche Art und Weise übernehmen. Denn um Milch zu geben, bräuchten die Kühe auch Kälber.

Die Zufütterung müsse sein, auch wenn die Tiere auf die Weide kommen. Die sechs Hektar große Wiese könnte keine 120 Kühe allein versorgen, zumal die Tiere noch ausreichend Milch geben müssten. Am Ende seien sie doch der Lebensunterhalt für die ganze Familie.

Seit 15 Jahren verfüttert Gehrke kein Soja mehr. Stattdessen setzt er auf Mais, Rübenschnetzel und anderes Futter, das andere Unternehmen als Abfallprodukt ansehen. Das Futter bezieht der Milchbauer aus der Region.
Seit 15 Jahren verfüttert Gehrke kein Soja mehr. Stattdessen setzt er auf Mais, Rübenschnetzel und anderes Futter, das andere Unternehmen als Abfallprodukt ansehen. Das Futter bezieht der Milchbauer aus der Region. Foto: Niklas Eppert


Regiomaten gegen das Höfesterben?


Würde sein Betrieb keine eigenen Vertriebswege haben, könnte er mit gerade einmal 120 Kühen kaum überleben, erzählt Gehrke. Er könnte einfach nicht die Menge produzieren, die er bräuchte, um seine Familie zu ernähren. Allein in einem der Nachbardörfer mussten in den vergangenen drei Jahren drei von vier Höfen schließen, alle in Gehrkes Größe. Dabei hält der sogar seine 120 Kühe für etwas zu viel. "Optimal für die Umwelt und die Kühe wären wohl 60 bis 80 Kühe pro Hof", glaubt der Milchbauer. Davon ließe sich heutzutage aber keine Familie ernähren.

Allerdings merke auch er, dass sich das Ernährungsbewusstsein langsam wandele, nicht nur am Regiomaten. Gerade in der Corona-Krise hätten sich die Menschen wieder mehr mit der Herkunft ihrer Lebensmittel beschäftigt. "Sie haben momentan einfach die Zeit dafür. Im Supermarkt gehen Sie einfach durch und haben innerhalb einer halben Stunde einen Wocheneinkauf erledigt." Durch die Maskenpflicht hätten viele schlicht keine Lust gehabt in den Supermarkt zu gehen. Das habe man am Regiomaten erlebt, auch wenn Gehrke nicht an einen derart rapiden Wandel glaubt. Die Verkaufszahlen gingen bereits langsam, aber merklich, zurück. "Wir sind froh, wenn wir 15 Prozent der Steigerung behalten."

Um Milch zu geben, müssen die Milchkühe Kälber gebären. Nach einiger Zeit kommen die Kleintiere in einen abgetrennten Bereich.
Um Milch zu geben, müssen die Milchkühe Kälber gebären. Nach einiger Zeit kommen die Kleintiere in einen abgetrennten Bereich. "Es ist wichtig, dass die Kälber an der frischen Luft sind", erklärt Erich Gehrke. Foto: Niklas Eppert


Der Vorteil der Lebensmittelautomaten liege aber auf der Hand: Die Milch, die man dort kauft, wird tatsächlich einige hundert Meter weiter produziert. Das stelle für viele Kunden die Verbindung zum Tier wieder her. Ebenso bei den Lieferungen an die Schulen und Kindergärten: Gehrke liefere ausschließlich in Glasflaschen, die er auch wieder abhole und wiederverwende. Er will damit Bewusstsein schaffen, Kinder bereits dazu animieren an Verpackungsmüll zu denken. "Es macht uns stolz, obwohl es mehr Aufwand ist." Wer von Klein auf damit vertraut sei, der würde auch in Zukunft eher zum Mehrwegflaschen greifen.

An den Milchtankstellen könne sogar mit eigenen Behältern abgezapft werden, auch wenn manche Kunden das gerne vergessen. "Da nehme ich mich selbst nicht aus", gibt Gehrke zu. Wer nach der Arbeit kurz zum Einkaufen anhalte, der denke nicht immer an die eigene Flasche. An Gehrkes Milchtankstellen können auch Flaschen gekauft werden, die beim nächsten Mal wieder verwendet werden können.


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