Präventionsrat tagte zu Rechtsextremismus: Szene wächst und weitet sich aus

Von Querdenkern über die Gaming-Szene bis hin zu einer gestörten Kindheit: Es wurden viele Probleme identifiziert.

Symbolbild.
Symbolbild. | Foto: Martin Laumeyer

Salzgitter. Am Dienstag fand in Salzgitter in der Kulturscheune eine mit circa 100 geladenen Gäste organisierte Veranstaltung der Extremismusprävention Salzgitter statt. Die Stadt Salzgitter, der örtliche Präventionsrat und die hiesige Polizei haben in ihrer Funktion als Lenkungskreis bereits zum vierten Mal alle Netzwerkpartner zum Thema Extremismus eingeladen. Dies teilte die Polizei in einem Nachbericht mit.



Die bisherigen Veranstaltungen der Extremismusprävention informierten über die Themen Salafismus und Verschwörungstheorien. Dieses Mal wurde der Phänomenbereich des Rechtsextremismus unter die Lupe genommen.

Die neuen Rechten


In dem Bereich der sogenannten "neuen Rechten" würde seit geraumer Zeit eine dynamische Entwicklung stattfinden, die gerade in jüngster Zeit insbesondere im Bereich der Querdenker und der sogenannten Delegitimierer festzustellen gewesen sei. In diesem Milieu käme es oft zu einer Vermischung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, auch aus dem Bereich der bürgerlichen Mitte.

Der Staat soll überwunden werden


Es wurde die Frage aufgestellt, wie eine Gesellschaft mit einer Radikalisierung umgehen sollte. Dabei wurde Radikalisierung als Prozess beschrieben, der auch in den Bereich Extremismus übergehen kann. Bei extremistischen Bestrebungen soll als zentrales Element der Staat überwunden werden. Oft käme es dabei zu einer Überbewertung der eigenen Nation bei gleichzeitiger Abwertung anderer mit einer Verharmlosung oder Verherrlichung der Verbrechen im 2. Weltkrieg. Fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Einstellungen werden propagiert. Es wird eine Forderung aufgestellt nach kultureller Trennung der verschiedenen Ethnien.

Wachsender Personenkreis


Grundsätzlich wurde die Aussage getroffen, dass der potentielle Personenkreis auf Bundesebene ansteigend sei. Aktivisten und Sympathisanten fänden sich in rechtsextremistischen Netzwerken wieder, beispielhaft können das Kameradschaften, Parteien oder auch andere militante neonazistische Organisationen sein. Angehörige der sogenannten "alten Rechten" skandierten oft menschenverachtende Parolen und artikulierten sich mit dem Wortgebrauch aus der NS Zeit.

Anwerbung von Neulingen


Die Bedeutung von Musik habe in dieser Szene nach wie vor einen hohen Stellenwert. Bei rechtsextremistischen Musikveranstaltungen fänden Vernetzungen der Teilnehmer, Mobilisierungen untereinander sowie Rekrutierungsversuche junger Teilnehmer statt. Durch die Musik soll bei Jugendlichen ein Interesse für die Szene geweckt werden, um ihnen den Weg in den Rechtsextremismus zu öffnen.

Bei Kundgebungen von Parteien käme es immer wieder zu provozierenden und einschüchternden Handlungen, die sich oft gegen die Asyl- und Flüchtlingspolitik richtet.

Rechte infiltrieren Gaming-Szene


Erkennbar sei auch, dass sich Angehörige der rechtsextremistischen Szene vermehrt beim "Gaming" wiederfinden. Das hieße zwar nicht, dass man die gesamte Gaming-Szene unter einen Extremismus-Generalverdacht stellen sollte. Digitale Infrastrukturen ermöglichten es aber, Propaganda der rechten Szene zu verbreiten. Hierdurch erfolge das Anwerben und die Rekrutierung neuer Mitglieder. Oftmals versteckten sich die Protagonisten hinter einer Art Satire. Es würden beispielsweise Foren und Gruppenportale vorgehalten. Die Extremisten kämen dann in einen Dialog, verbunden über das Spielerlebnis. Hierbei nutze der Personenkreis eine eigene Sprache, Gruppenbilder, Posen oder auch Spielefiguren, um ihre Identität zu finden. Gaming-Communitys könnten demnach bei einer Radikalisierung und einer Rekrutierung eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

Wege zur Radikalisierung


Es bestünden in der Entwicklung von Menschen psychologische Grundmuster, die sich auf eine Radikalisierung auswirken. Nach Aussage von Aussteigern käme es bereits in der Kindheit zu einer Vernachlässigung der Betroffenen. Die Personen seien oft ohne Vater oder in einem Heim aufgewachsen. Im Elternhaus seien die Kinder auf sich alleine gestellt oder die Eltern lebten in einer Abhängigkeit berauschender Mittel.

Das Leben in der Familie sei geprägt von Perspektivlosigkeit, Sinnlosigkeit und auch von Depressionen. Die Kinder seien teilweise gemobbt worden und es sei zu Schulabbrüchen gekommen. Somit sei bereits der Weg in eine Form des Extremismus geebnet und es würden im Verlauf des Lebens andere für die kognitive Dissonanz verantwortlich gemacht. Extremisten glaubten, dass ihre Handlungen richtig seien. In den extremistischen Gruppen treffen gleichgesinnte aufeinander und fänden dort eine Art Familienersatz, Respekt und Anerkennung.

Aktion Neustart


Vorgestellt wurde auch die Aktion Neustart. Dabei handelt es sich um das Aussteigerprogramm des Niedersächsischen Verfassungsschutzes (https://www.aktion-neustart.de).

"Niemand darf die Augen vor dem Problem Extremismus schließen."

- Die Polizei



Der Beginn der Aktion Neustart fand bereits im November 2010 statt, Erweiterungen zu diesem Programm gab es in den Jahren 2016 und 2019. Die relevanten Phänomenbereiche sind Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, Extremismus mit Auslandsbezug sowie im Bereich der
Scientology-Organisation. Über das Projekt kann ein multiprofessionelles Team aus Vertretern von Polizei, der Psychologie, der Politologie, der Pädagogik und anderen den aus der Szene aussteigewilligen Personen beratend und unterstützend zur Seite stehen.

Der Ausstieg


Personen, die entsprechend aus der Szene aussteigen möchten, haben entweder ihren Aussteigerwillen bereits geäußert oder können über eine Onlineberatung oder auch proaktiv erreicht werden.

In jedem Fall sei bei den aussteigewilligen Personen und den beratenden Gremien eine vertrauensvolle Beziehungsebene wichtig, um Hilfsangebote anbieten zu können. Diese könnten zum Beispiel eine Alltagshilfe sein, aber auch bei Themen wie soziales Umfeld, Beruf, Wohnung, erkennbaren Drogenproblemen oder das Entfernen von extremistischen Tätowierungen kann Hilfe angeboten werden.

Der Abschluss eines Ausstieges könne mehrere Jahre andauern und werde, gerade in der Anfangszeit, von mehreren Ausstiegsgesprächen in der Woche begleitet.


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