Salzgitter-Lebenstedt. Am vergangenen Samstag hätte das Wetter es mit den Badefreunden nicht besser meinen können - Sonne satt bei über 30 Grad. Der Strand am Piratenspielplatz füllte sich. Nicht gut gefüllt war an diesem Samstag jedoch die DLRG-Station. Auf dem Wachturm achten die Lebensretter normalerweise auf die Sicherheit der Badegäste. Doch die freiwilligen Helfer sind nicht nur ihrerseits zum Teil im Urlaub. Seit Jahren sind die Mitgliederzahlen auf Talfahrt. Und es braucht viel und vor allem qualifiziertes Personal für einen Wacheinsatz, wie Marcel Mäuselein, technischer Leiter Einsatz des DLRG in Salzgitter-Lebenstedt im Gespräch mit regionalHeute.de erklärt.
Grundsätzlich gilt, so die Stadt Salzgitter auf Anfrage, dass das Baden in öffentlichen Gewässern auf eigene Gefahr erfolgt. "Die Wasseraufsicht am See ist keine Pflichtaufgabe der Stadt, also gesetzlich nicht vorgeschrieben", so Stadtsprecherin Simone Kessner weiter. Umso mehr ärgert Marcel Mäuselein die Erwartungshaltung, die viele der DLRG gegenüber zu haben scheinen: "Die DLRG ist zu einhundert Prozent ehrenamtlich. All unsere Helfer gehen arbeiten, haben Familie. Keiner macht das hauptberuflich. Und jetzt in der Haupturlaubszeit fahren natürlich - angesichts der Situation in den letzten Monaten - auch noch viele gleichzeitig in den Urlaub." Zwar hätte die Option bestanden, die Wache mit drei bis vier Leuten zu besetzen, da jedoch Schlüsselpositionen wie Wachführer, Bootsführer und Sanitäter gefehlt hätten, wäre das wenig hilfreich gewesen. "Leute, die kein Boot fahren und nicht funken können, können auf der Wache gar nichts machen. Aufgrund der Situation, dass die DLRG, wenn sie vor Ort ist eine Garantenstellung hat - also sobald jemand das rote T-Shirt anhat auch als verantwortlich gesehen wird - wäre es wohl schlimmer Leute vor Ort zu haben, die nichts tun können oder dürfen", erklärt Mäuselein.
Das würde jedoch nicht bedeuten, dass im Notfall überhaupt niemand kommen würde. "Unsere Führungskräfte haben alle digitale Meldeempfänger. Wenn etwas ist, würden wir ganz normal über die Feuerwehr alarmiert. Dann lässt jeder - sofern er vor Ort ist - alles stehen und liegen."
Welche Gefahren lauern am Salzgittersee?
"Die Tücke ist ja, dass die Leute nicht wie im Film ertrinken und wild gestikulieren, sondern dass das still und leise passiert."
Am Salzgittersee lauern etliche Gefahren, vorrangig nennt Mäuselein hier den steil abfallenden Seegrund. "Am Fredenberg ist es nicht ganz so schlimm. In Reppner geht man fünf bis sechs Meter ins seichte Wasser und dann kommt eine sogenannte Abbruchkante, wo es sechs Meter runtergeht." Das könne an heißen, sonnigen Tagen fatal enden "Die Leute springen mit einem Kopfsprung überhitzt ins kalte Wasser, werden bewusstlos und haben dann keinen Boden mehr unter sich. Auch Nichtschwimmer rechnen nicht damit, dass plötzlich der Boden weg ist", meint der Lebensretter. "Die Tücke ist ja, dass die Leute nicht wie im Film ertrinken und wild gestikulieren, sondern dass das still und leise passiert." Im Bereich des Piratenspielplatzes seien dann auch häufig Kinder im Wasser, bisweilen ohne Schwimmflügel. "Und die Eltern sitzen einhundert Meter weit weg vom Wasser und denken, dass schon genügend andere Eltern aufpassen", beschreibt Mäuselein die häufig beobachtete Situation.
Einsätze wie dieser, bei dem ein Kind am Salzgittersee verschwand, sind glücklicherweise eher die Ausnahme. Foto: Aktuell24
Trotz dieser tödlichen Gefahren sei das Tagesgeschäft größtenteils die Prävention solcher Vorfälle. "Wirklich zum Einsatz kommen wir pro Wochenende ein bis zweimal. Das beschränkt sich aber glücklicherweise meistens auf abgetriebene Schlauchboote oder gekenterte Segelboote. Also eher technische Hilfe. In letzter Zeit gibt es auch mehr sanitätstechnische Einsätze also, 'hier, ich hab' mich geschnitten, könnt ihr das verbinden' oder 'ich bin umgeknickt, könnt ihr euch das mal ansehen?'. Diese klassischen Einsätze, dass ein Elternteil zu einem angerannt kommt und panisch erklärt, dass das Kind verschwunden sei, haben wir auch", berichtet Mäuselein und fügt hinzu: "Die finden sich aber meistens nach fünf Minuten wieder ein."
Es braucht ein komplettes Team
Um eine vollständige Wachmannschaft bereitstellen zu können, braucht es 15 bis 20 gut ausgebildete DLRG-Angehörige. Mäuselein merkt an, dass es ja mit einer besetzten Station nicht getan sei: "Wir brauchen einen Wachführer und seine Stellvertretung. Eine Bootsbesatzung besteht jeweils aus fünf Personen. Damit können wir aber gar nicht viel leisten, das Boot liegt am Steg, kann von Strand zu Strand fahren, aber damit könnten wir am Ende auch nur Präsenz zeigen. Die Bootsmannschaften können keine Wachtürme besetzen." Allein die Ausbildung zum Bootsführer würde "im Idealfall" zwei Jahre in Anspruch nehmen. "Da sind die ganzen Vorqualifikationen wie das Rettungsschwimmabzeichen und der Sanitätsschein noch nicht einmal mit einbezogen", hebt Mäuselein hervor. Alles zusammengerechnet, kämen drei bis vier Jahre für die Ausbildung zusammenkommen. Beim Wachführer sehe es ähnlich aus.
Die Zahl der ehrenamtlichen Helfer sinkt
In den vergangenen Jahren habe man - auch wenn man es wollte - auch nicht jedes Wochenende präsent sein können. Immer wieder habe es jedoch sogenannte Wach- oder Ausbildungswochen gegeben, bei denen die Helferinnen und Helfer von Montag bis Sonntag am See zugegen waren. Das sei dieses Jahr aufgrund der Corona-Pandemie gar nicht möglich gewesen.
"Wir haben grundsätzlich in den letzten Jahren feststellen müssen, dass es immer weniger Interessierte wurden. Es ist ja ein allgemeines Problem, dass immer weniger Leute sich ehrenamtlich engagieren wollen", bedauert Marcel Mäuselein: "Wir machen uns seit Jahren Gedanken darüber, wie man das ändern könnte. Aber wir haben noch nicht wirklich eine Lösung gefunden. Man muss eben Anreize bieten, warum die Leute sich neben Berufsleben, Schule und Privatleben noch die Zeit nehmen sollten, um anderen Leuten zu helfen."
Anfeindungen und Bedrohungen
Doch statt Anreizen erhielten die Helfer immer häufiger Anfeindungen, wie Mäuselein zu berichten weiß: "Da macht man eine Streife am Strand und weist Leute darauf hin, dass sie sich vielleicht besser ein Shirt anziehen sollten, weil sie schon einen Sonnenbrand haben oder es gibt Leute, die schon einen ganzen Kasten Bier ausgetrunken haben und sich ins Wasser stürzen wollen. Aber wenn man dann von seinen Wachgängern hört, dass sie schon wieder beleidigt oder mit Gewalt bedroht worden sind, ist es umso schwieriger, sie am nächsten Wochenende wieder an den See zu bekommen."
Geld fließt auch aus den eigenen Taschen
Die Lebensretter der DLRG stemmen in ihrer Freizeit eine hoch qualifizierte Aufgabe - unentgeltlich. Kostenlos sind Ausrüstung, Verpflegung und weitere Posten wie die Versicherung der Boote, Strom und Treibstoff jedoch nicht. Die Stadt fördert die am Salzgittersee Aufsicht führenden DLRG-Ortsgruppen trotz der rechtlich eigentlich nicht bestehenden Verpflichtung jährlich mit insgesamt 5.000 Euro. Seit 2015 kommen noch einmal 2.000 Euro Essenszuschuss hinzu. "Es ist eine Anerkennung für die großartige, ehrenamtliche Arbeit, die die DLRG leistet", so Stadtsprecherin Simone Kessner. Im Geld schwimmen würde man deshalb jedoch nicht. "Wir sind sehr dankbar für die finanzielle Unterstützung. Aber diese 5.000 Euro reichen eben auch nur, um die laufenden Kosten wie Treibstoff für das Boot zu decken. Vieles wird aus eigener Tasche gezahlt", gibt Mäuselein abschließend zu bedenken.
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