Düsseldorf. Mit dem Tod von Henry Kissinger verliert die Bundesrepublik nach Ansicht von Ulrich Schlie, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der NRW-Akademie für Internationale Politik, einen wichtigen Fürsprecher in den USA. "Deutschland hatte keinen besseren Anwalt in Amerika als ihn, der als Fünfzehnjähriger 1938 mit seinen Eltern Paula und Louis und seinem Bruder Walter vom fränkischen Fürth in die Vereinigten Staaten emigrierte", schreibt Schlie in einem Nachruf für die Zeitungen von Ippen-Media, der der dts Nachrichtenagentur vorab vorlag.
Dabei habe Kissinger "allen Grund zu Groll auf die Stadt gehabt, die nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 seinen Vater, einen Studienrat für Mathematik und Deutsche Literatur an einem Fürther Mädchengymnasium, zunächst mit Berufsverbot belegte und sodann durch die zunehmende Verfolgung und Demütigung von Juden die Familie zur Auswanderung trieb". Trotz der persönlichen Demütigungen in der nationalsozialistischen Zeit habe die Familie Kissinger "stets zwischen Deutschland und den Nationalsozialisten zu unterscheiden" gewusst, schreibt Schlie. "Diese Einsicht, die Fähigkeit zu differenzieren und zu verzeihen, war Voraussetzung für Henry Kissingers außergewöhnliche Nachkriegskarriere in den Vereinigten Staaten", so der Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn sowie Direktor des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS), der Kissinger persönlich kannte. Deutschland habe nach dem verlorenen Krieg eine zweite Chance bekommen. "Dass dieses möglich wurde, verdanken wir ganz entscheidend Männern wie Henry und Walter Kissinger", so Schlie. Kissinger war von 1973 bis 1977 Außenminister der Vereinigten Staaten, am Mittwoch war er im Alter von 100 Jahren gestorben.
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