Schwere Vorwürfe: Zensiert das Helmholtz-Zentrum regierungskritische Forscher?

Laut einem BILD-Artikel habe das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung eingegriffen, als der Epidemiologe Gérard Krause ein Schreiben an die Politik gegen den Inzidenzwert als Maßeinheit unterzeichnen wollte. Gegenüber regionalHeute.de stellt das HZI den Fall anders dar.

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Der Epidemiologe Gérard Krause.
Der Epidemiologe Gérard Krause. | Foto: Prof. Krause. HZI/Verena Meier

Braunschweig. Schwere Vorwürfe gegen das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (HZI) hat die BILD-Zeitung in einem Artikel vom gestrigen Mittwoch erhoben. Während Forscher wie der Physiker Michael Meyer-Hermann und die Virologin Melanie Brinkmann mit ihrem "NoCovid"-Papier in der Politik für Aufsehen sorgen, sei dem Helmholtz-Epidemiologen Gerard Krause das Unterzeichnen eines an die Politik gerichteten Appells gegen den Inzidenzwert als "Maß aller Dinge" vom HZI verboten worden. Wie das HZI auf Anfrage von regionalHeute.de erklärt, beruhe dieser Vorwurf jedoch auf "falschen Recherchen".


In der Wissenschaft gibt es im Geflecht von neuen Erkenntnissen und den mannigfaltigen unbekannten Variablen in der Pandemie keinen wissenschaftlichen Konsens. So wird auch der Inzidenzwert als Indikator für das Infektionsgeschehen in der Wissenschaft kritisch gesehen. Meyer-Hermann und Brinkmann gehören nicht nur zum Beraterstab des Kanzleramtes, sondern gehören auch zu den prominentesten Verfechtern der "NoCovid"-Strategie, bei der die Inzidenz vor weiteren Öffnungsschritten mit radikalen Maßnahmen auf null gedrückt werden soll. Die beiden Forschenden traten hierzu bereits mehrfach im Fernsehen auf, unter anderem in den Tagesthemen oder in der Talkshow "Anne Will".

Kritik am Inzidenzwert


Das "NoCovid"-Papier wurde von Brinkmann und Meyer-Hermann im Januar im Rahmen einer Videokonferenz mit dem Kanzleramt und den Ministerpräsidenten vorgestellt und wird seither heiß diskutiert. "Jede Infektion ist eine zu viel", heißt es in dem Papier unter anderem. Doch es zieht ebenso wie die Politik den Inzidenzwert, das Auftreten von Infektionen als einzige Maßeinheit für das Infektionsgeschehen heran. Strikter Gegner dieser Tatsache ist der Epidemiologe Gérard Krause.

Die Epidemiologen Klaus Stöhr und Detlev Krüger, Vorgänger des Charité-Virologen Christian Drosten, wollen den Inzidenzwert ebenfalls kippen und haben deshalb ein Schreiben an die Fraktionschefs aller Parteien im Bundestag verfasst, das auch von Gérard Krause unterzeichnet werden sollte. Wie die BILD berichtet, sei ihm dies jedoch untersagt worden. Das HZI betont gegenüber regionalHeute.de, an keiner Stelle Einfluss auf die Unterzeichnung des Briefes oder in anderer Weise Einfluss auf dessen wissenschaftliche Arbeit genommen zu haben.

"Es handelt sich um ein Missverständnis"


Der Forscher selbst kommt in dem BILD-Artikel nicht zu Wort. Für ein persönliches Interview stand Krause aufgrund verschiedener Verpflichtungen auch regionalHeute.de nicht zur Verfügung, äußerte sich auf Anfrage jedoch schriftlich. Darin beteuert er, dass es sich bei den BILD-Vorwürfen offenbar um ein Missverständnis handele.

"Ich habe zu keiner Zeit vom HZI oder Dritten Vorgaben bekommen, von der Unterzeichnung bestimmter Briefe oder Stellungnahmen Abstand zu nehmen."

- Gérard Krause, Epidemiologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig



Krause erklärt: "Ich habe mich nach Abwägung der zu erwartenden Wirkungen entschieden, meine Bewertung des Inzidenzwertes nicht in einem Brief, sondern im Rahmen von Medienanfragen zu geben, zum Beispiel in der Tagesschau, FRONTAL, ZDF Morgenmagazin oder im Pressebriefing des Science Media Centers."

Was gegen die Inzidenz spricht


Kernpunkt der Thesen von Gérard Krause und anderen Forschenden aus ganz Deutschland ist, dass nicht jede positive Testung auch eine Erkrankung bedeutet. Stattdessen solle die Zahl der Aufnahmen auf den Intensivstationen als Indikator für die Schwere des Infektionsgeschehens deutlicher in den Vordergrund rücken. Intensivpflichtig werden Corona-Patienten jedoch erst nach Wochen, weshalb Krause einen entsprechend niedrigen Grenzwert und eine Reaktion auf Trends, statt auf starre Zahlen vorschlägt. Ein Vorteil dieses Vorgehens sei auch die Unabhängigkeit von Feiertagen, an denen das Infektionsgeschehen wegen nicht arbeitender Labore und Gesundheitsämter nur unzureichend wiedergegeben werde. Als weiteren Störfaktor führt Krause die "Dunkelziffer" der Corona-Fälle an, die aufgrund von örtlich verschiedenen Teststrategien variiert. Im Klartext: Mit mehr Tests an Schulen, im Einzelhandel und im Privaten treten auch mehr Infektionen zutage, die dann die Inzidenz in die Höhe treiben. Die Zahl der Aufnahmen auf Intensivstationen wegen COVID-19 sei für solche Faktoren nicht anfällig.


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