Bern. Der Schweizer Soziologe Ganga Jey Aratnam kritisiert die Migrationsdebatte in seiner Heimat. Die Schweizer seien Meister darin, nebeneinander zu leben und würden ein Land der Vielfalt zelebrieren, sagte Aratman der "Zeit".
"Aber nahe zusammenleben will man lieber nicht." Doch das funktioniere immer weniger. "Mit den Menschen, die neu in die Schweiz ziehen, sind die Einheimischen plötzlich dazu gezwungen. Sie bewerben sich um dieselben Wohnungen, sind zusammen im Tram unterwegs, und in den Klassenzimmern sitzen plötzlich viele Kinder mit Migrationshintergrund. 58 Prozent der Null- bis Sechsjährigen haben einen Elternteil, der im Ausland geboren wurde."
Aratnam fordert eine ehrliche Diskussion über die Herausforderung, die der hohe Ausländeranteil mit sich bringe. Gerade "linke Kreise" täten sich damit schwer. "Statt Probleme anzusprechen, sind viele befangen oder neigen zu Schönfärberei."
Die einheimische Bevölkerung befinde sich zunehmend in einer Sandwichposition: "Die oberste Schicht, die Führungsgremien in den großen Konzernen, ist von ausländischen Personen geprägt. In den börsennotierten Firmen sind 75 Prozent der Geschäftsleitungsmitglieder ausländisch." Die sehr hohe Akademisierungsquote der Ausländer führe dazu, dass Schweizer, die ihre Ausbildung mit einer Berufslehre begonnen haben, zu Unrecht einen schweren Stand hätten. Konkret fordert er eine Bildungsoffensive für die Migranten aus Portugal, die häufig keinen nachobligatorischen Schulabschluss hätten.
"Gleichzeitig nimmt der Anteil der außereuropäischen Bevölkerungsgruppen zu, etwa aus Afghanistan. Das bringt Herausforderungen mit sich, die wir nicht verschweigen sollten." Die verschiedenen Rechts- und Sozialnormen, die aufeinanderträfen, könnten Jugendliche in ein Dilemma führen. "In Afghanistan steht in Artikel 426 des Strafgesetzbuchs, dass man vor der Ehe keinen Sex haben darf. Wer sich nicht daran hält, muss mit drakonischen Strafen rechnen."
In der Schweiz hingegen seien Kinder bereits mit 16 sexuell und religiös mündig. "Darüber müssen wir doch reden." Mehr als 30 Prozent der Menschen, die in der Schweiz leben, wurden nicht dort geboren.
Damit hat das Land nach Luxemburg die höchste Migrationsvielfalt in ganz Europa.
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