Braunschweig. Anläßlich des 120. Geburtstages des BTSV blickt regionalSport.de zurück auf die Entwicklung der Fanszene rund um den blau-gelben Traditionsverein. Im letzten Teil erfahren wir, wie sich die Fanszene nach der Jahrtausendwende noch einmal grundlegend veränderte und zu dem wurde, was sie heute ist.
Die Jahrtausendwende
Zur Jahrtausendwende hatte Wolfgang Schoeps keine Lust mehr. Jeden morgen, wenn er sein Büro betrat lag dort ein neuer Flyer für den Fanclub des VfL Wolfsburg auf seinem Schreibtisch. Was als kleine Stichelei unter Kollegen gedacht war, wurde die Geburtsstunde der Blau-Gelben Volkswagenlöwen. "Da hab ich die Volkswagenlöwen gegründet. Mit 70 Mitgliedern ging es los. Peu á peu hat sich das gesteigert. Wir sind als Fanclub über die ganze Welt verteilt." Längst war der Support auch bei 'normalen' Fußballfans angekommen. Die mittlerweile in Eintracht-Stadion umbenannte Spielstätte erlebte mit der Jahrtausendwende einen großen Paradigmenwechsel: Die Ultrabewegung übernahm aus ihren Anfängen heraus massiv den Support im Stadion. Aus den ersten Versuchen der Löwenbrigade'97 wurde fast so etwas wie eine Massenbewegung. 2001 gründete sich mit UB'01 die erste große Gruppe dieser Art. Zu Hoch-Zeiten gehörten den Ultras Braunschweig etwa 150 aktive Fans an. Ihr neuartiger Support war nicht jedermanns Sache und sorgte auch für Verwerfungen innerhalb der Fanszene.
Wachsendes Interesse an der Eintracht nach der Jahrtausendwende. Foto: Frank Vollmer
Paradigmenwechsel in der Fanszene
Hier waren die Eintracht-Fans allerdings vergleichsweise spät dran. Den großen Unterschied zu anderen Standorten bringt Karsten König auf den Punkt: "Diese ganzen Versuche, Dachverbände wie Johanssens Erben zu gründen sind immer daran gescheitert, dass es nie eine einheitliche Fanszene gab die sich gesagt hat: Wir sind Eintracht-Fans, vertreten gewisse Werte und man wächst da mit der Zeit hinein." Bei Vereinen, die seit Jahrzehnten in der Bundesliga spielen, lief diese Entwicklung weniger problematisch ab. Verwerfungen gab es in dieser Zeit wohl in jedem Verein, in dem sich die Ultra-Kultur etabliert hat. Mit vielen grenzwertigen Aktionen machten sich Ultras Braunschweig keine Freunde in der Kurve. Die selbsternannte 'Elite der Fans' war anfangs zwar noch offen für den Rest der Fans, doch spitzte sich die Situation mit der Zeit immer mehr zu. Problematisch wurden die Entwicklungen bei einem Heimspiel der zweiten Mannschaft im Herbst 2006 gegen die Reserve aus Hannover. Nach dem Spiel gab es einen Platzsturm. Spieler und Funktionäre wurden geschlagen und flüchteten in die Kabinen. Der Vorfall hatte Nachwirkungen. Der UB'01-Capo* übernahm nach den Vorfällen die volle Verantwortung. Nicht nur er bekam ein mehrjähriges Stadionverbot, brach jedoch als Führungsfigur der Ultras weg. Was folgte war Chaos in der Organisation des Supports. Bis 2008 schaukelte sich die Situation langsam zu einem großen Konflikt auf.
*möchte namentlich nicht erwähnt werden.
Eines vieler Highlights der letzten Jahre: Der Derbyseig. Foto: Frank Vollmer
Sportliche Rettung in letzter Sekunde als Initialzündung
Nachdem Eintracht Braunschweig im Mai 2008 durch den Trainer-Nobody Torsten Lieberknecht in buchstäblich allerletzter Sekunde vor dem endgültigen Fall in die Bedeutungslosigkeit gerettet werden konnte, eskalierte die Situation in der Südkurve. Nach unzähligen Vorfällen sprach die vereinte Südkurve ein Machtwort und warf UB'01 hinaus. Die Tatsache, dass hier zum ersten Mal in der Geschichte des BTSV eine von organisierten und nicht organisierten Fans gemeinsame Entscheidung getroffen wurde, deutet die Brisanz des Themas an. UB'01 verlangte daraufhin in der Sommerpause 2008 einen Block in Nordkurve als ihren neuen Stimmungsblock. Die Verantwortlichen bei der Eintracht ließen sich mit ihrer Entscheidung etwas Zeit, äußerten dann jedoch in Absprache mit dem DFB Bedenken, der Block sei zu nah an dem der Gäste gelegen. UB'01 bekam keine Freigabe für die Nordkurve und reagierte am ersten Spieltag der Drittligasaison 2008/2009 mit einem Sitzstreik vor der Haupttribüne.
Support durch Cattiva Brunsviga in Block 9. Foto: Frank Vollmer
Cattiva Brunsviga
Das Maß war nun auch von Seiten des Vereins endgültig voll. Aus Sicherheitsgründen ließ man die Sitzblockade räumen, viele der Beteiligten bekamen Stadionverbot. UB'01 zerbrach in der Folgezeit immer mehr. Viele der ehemaligen Mitglieder konnten eine Rückkehr ins Stadion erwirken, wenn sie sich lossagten. Der Support in Block 9 wurde damals von Cattiva Brunsviga übernommen. Diese Ultras versuchten, die Fehler ihrer Vorgänger nicht zu wiederholen. "Bisher machen sie ihre Sache sehr gut", sagt Didi Brockmann, der die Entwicklung der letzten Jahre argwöhnig beobachtet hat. Mittlerweile ist Eintracht Braunschweig wieder in vieler Munde. Das Stadion platzt bei den Heimspielen aus allen Nähten, ist sehr oft ausverkauft. Mit dem sportlichen Erfolg kommen auch viele Fans wieder ins Eintracht-Stadion, die in den letzten Jahren vergrault worden waren. In Braunschweig ist eine völlig neue Zeitrechnung angebrochen, die Fanseele wird mit neuen Versatzstücken gefüttert. Lange musste sie leiden, doch ein wenig im Positiven verrückt muss man eben sein, um den roten Löwen im Herzen zu tragen.
Epilog
Viele wichtige Fans blieben in diesem Artikel namentlich unerwähnt, die es verdient gehabt hätten. Ich hoffe, wenigstens im Ansatz die Seele der Fans von Eintracht Braunschweig und ihre Geschichte abgebildet zu haben. Erst kürzlich zollte man einmal mehr Michael 'Hacky' Meyer Tribut. Hacky darf als Person nicht unerwähnt bleiben und soll exemplarisch für alle Braunschweiger Fans stehen, die es nicht in diesem Artikel geschafft haben. Der ehemalige Präsi der Löwen'79 war seit den siebziger Jahren ganz vorne dabei, wenn es darum ging, die Eintracht zu supporten. Für viele Fans war er eine Vaterfigur. "Ohne Hacky hätte ich nie ins Stadion gehen dürfen. Meine Mutter hätte es verboten", sagt Ingo Hagedorn. Meyer war einer der Ersten, die Busfahrten organisierten. Er inserierte sogar in im Stadionmagazin 'Eintracht aktuell', hatte immer ein offenes Ohr und galt als Organisationstalent. Viele Fanturniere hätten ohne ihn nicht stattgefunden. Ende März 2006 verstarb Meyer. Er bleibt unvergessen.
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Hier geht es zu Teil 1: Die Fans
Hier geht es zu Teil 2: Die wilden Siebziger
Hier geht es zu Teil 3: Die wechselhaften Achtziger
Hier geht es zu Teil 4: Die Anfield Road der Regionalliga
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