Braunschweig. Im Fußball geht es häufig um Helden, um Gewinner, aber auch um Verlierer. Im Fußball spielen sich manchmal auch Märchen ab, Märchen die die Gebrüder Grimm nicht besser hätten schreiben können. Ein Grimm’sches Märchen hat auch die Braunschweiger Eintracht von 2004 bis 2007 erlebt - in Person von Marco Grimm. In der zweiten Folge von „Gestern Eintracht, heute“ sprachen wir mit dem ehemaligen Abwehrchef des BTSV.
Die „Kampfsau“ unter den Löwen
Grimm spielte für den FC Bayern München und den VfB Stuttgart in der Bundesliga, feierte mit den Schwaben sogar den Gewinn des DFB-Pokals, doch seine intensivste Zeit erlebte der heute 47-Jährige nun mal an der Hamburger Straße.
Dass Marco Grimm überhaupt den Weg nach Braunschweig gefunden hatte, lag an einer Nacht- und Nebel-Aktion vom damaligen Eintracht-Trainer Uwe Reinders und Sportdirektor Wolfgang Loos. „Mein Vertrag beim Karlsruher SC war am Vortag ausgelaufen. Innerhalb eines Telefonats war dann sofort geklärt, dass ich in Braunschweig unterschreiben werde. Ich bin dann die komplette Nacht durchgefahren und stand am nächsten Tag bereits auf dem Trainingsplatz. Ich musste auch gar nicht lange zögern, weil der Name Eintracht Braunschweig einfach einen besonderen Klang im deutschen Fußball hat. Selbst im Süden von Deutschland, wo ich herkomme, verbindet man die Stadt Braunschweig sofort mit der Eintracht“, erklärt Grimm.
Vier Spielzeiten stand die „Kampfsau“, so der Spitzname von Grimm aufgrund seiner Zweikampfstärke, bei der Eintracht unter Vertrag. Besonders an die ersten drei Spielzeiten erinnert er sich gerne: „Absolutes Highlight war natürlich unser Aufstieg in die zweite Bundesliga. In jedem Spiel war die Stimmung fantastisch und Dampf auf dem Kessel. Selbst auswärts wurden wir überragend begleitet. Gerne blicke ich auch an die Pokal-Sensationen zurück. Ob gegen Hannover 96, Kaiserslautern oder Dortmund. Die Pokalschlachten haben wirklich Spaß gemacht und ich kriege noch heute Gänsehaut, wenn ich daran denke“, so der ehemalige Abwehrspieler, der deutliche Unterschiede zwischen der heutigen Fußballgeneration und der damaligen Generation sieht.
„Durch die Smartphones und Social Media leidet die zwischenmenschliche Kommunikation. Früher waren wir vor und nach dem Training viel als Gruppe unterwegs. Da wurde über Gott und die Welt geredet. Heute sind die Spieler Ich-AGs. Es ist viel mehr Geld im Umlauf, automatisch muss ich in der Öffentlichkeit gut dastehen und darf mir keine Fehler erlauben. Die heutigen Spieler sind auch fokussierter als wir es waren, sie wollen schneller nach ganz oben kommen. Wobei man sagen muss uns brauchte man nicht motivieren, wir wollten immer gewinnen. In dem Augenblick, wo wir unsere Schuhe angezogen hatten waren wir im Tunnel und im Kampfmodus. Man kann diese Generationen aber nicht miteinander vergleichen, weil die Einflüsse von außen komplett andere waren und es sind“, so Marco Grimm.
Gleichzeitig sieht er einen deutlichen Unterschied der Generationen in der Spielvorbereitung: „Heute besteht die Videoanalyse aus einzelnen Clips, die höchstens wenige Minuten andauern und auf den Spieler zugeschnitten sind. Zu meiner Zeit hat der Trainer eine VHS-Kassette in den Videorekorder eingeschoben. Dann hieß es nur: So Männer wir schauen uns jetzt das letzte Ligaspiel von beispielsweise Greuther Fürth an, jeder achtet auf seinen Gegenspieler. Wenn der Trainer gut drauf war hat er zwischenzeitlich gestoppt und zurückgespielt“, erklärt der 47-Jährige lachend.
Die Katastrophen-Saison 2006/2007
Warum Grimm nur drei von vier Spielzeiten bei der Eintracht als besonders ansieht ist selbsterklärend, denn Grimm war Kadermitglied in der Katastrophen-Saison 2006/2007, an deren Ende der deutliche Abstieg aus der zweiten Liga feststand. Zudem wurden in der Spielzeit fünf Trainer verschliessen und in der Winterpause Spieler geholt, die auf die klangvollen Namen wie Edin Nuredinoski, Leozinho, oder Valentine Atem hörten.
Marco Grimm sah den Abstieg schon vor der Spielzeit 2006/2007 kommen. „Wir hatten in der Saison 2005/2006 nur mit größter Anstrengung den Klassenerhalt gefeiert. Statt die Mannschaft gezielt zu verstärken und Spieler einzukaufen, die wirklich das Zeug zum Zweitligaspieler haben wurden andere Typen verpflichtet. Menschlich waren die Jungs wirklich top, aber nun mal keine Zweitligaspieler. Als Wolfgang Loos entlassen wurde hat sich das wirkliche Problem in Braunschweig aufgezeigt. Auf einmal hatte jeder Ahnung von Fußball und wollte reinreden. Es hat ein klarer Plan gefehlt und zudem war keine wirkliche sportliche Kompetenz vorhanden“, so Grimm.
Die Trainerwechsel haben ihren Beitrag dazu geleistet. Insbesondere die Personalien Willi Kronhardt und Djuradj Vasic überraschten dabei: Während Kronhardt, trotz des Sieges gegen 1860 München, als Interimscoach nicht weitermachen durfte, „glänzte“ Djuradj Vasic mit einer Punkteausbeute von Null Punkten aus fünf Spielen. „Dass Willi nicht weitermachen durfte hat keiner in der Mannschaft verstanden, aber die sportliche Leitung wird ihre Gründe dafür gehabt haben. Obwohl Vasic deutlich gescheitert ist hatte er gute Ansätze, im Bereich Analyse war er hervorragend. Im Nachhinein war dieser Kader nicht für die zweite Liga gemacht“, sagt Marco Grimm, dessen Vertrag nach diesen verkorksten Saison auslief und er somit den Verein verlassen musste – obwohl er gerne in Braunschweig geblieben wäre.
Kein optimaler Abschied
„Da mein Vertrag Ende Juni 2007 ausgelaufen war und keiner der damaligen Verantwortlichen auf mich zu kam, entschloss ich mich damals für eine neue Herausforderung. Der Abschied lief leider nicht optimal. Nach all den Jahren hätte ich mich gerne bei den Fans persönlich verabschiedet, dies war nicht möglich", erzählt Grimm, der anschließend zur Zweitvertretung des 1. FC Kaiserslautern wechselte, bevor er 2009 seine Karriere beendete und bei den Pfälzern zum Co-Trainer aufstieg – erst bei den Amateuren, dann bei den Profis.
Bei den „Roten Teufeln“ wies sein Autokennzeichen deutlich daraufhin, wo sein zu Hause war und es immer noch ist: BS - MG... Denn während seiner Zeit in Braunschweig hatte er hier seine Lebensgefährtin kennengelernt, mittlerweile ist er wieder fest in der Löwenstadt angekommen. Wenngleich er häufig unterwegs ist, denn seit einigen Monaten arbeitet Grimm für den Karlsruher SC als Scout. Der Ex-KSC-Coach Alois Schwartz, den er aus seiner Lautern-Zeit kennt, hatte ihn zum KSC geholt.
„Die Tätigkeit bringt unheimlich viel Spaß und Erfahrung mit sich“, so der A-Lizenz-Inhaber, der aufgrund seiner Tätigkeit bereits häufiger im Eintracht-Stadion zu Gast war. Eine Einschätzung der momentanen Situation bei der Eintracht möchte Marco Grimm nicht abgeben und sagt mit einem Schmunzeln: „Mir als Tribünentrainer steht es nicht zu über die Arbeit von anderen Personen zu urteilen, denn ich bin nicht in das Tagesgeschäft involviert. Vom Papier her ist der Kader gut besetzt, es geht nur darum aus den Individualisten ein Team zu formen. Das Problem der dritten Liga ist, dass sie extrem ausgeglichen ist. Ich bin aber optimistisch, dass die Eintracht bis zum Schluss oben mitspielen wird.“