Braunschweig. An die Neunzigerjahre erinnert sich so mancher Eintracht-Fan nicht gerne. Echte sportliche Erfolge gab es in den Jahren wenige zu bejubeln. Doch es gab auch Lichtblicke, sei es in Form der Derby-Siege oder auch in Form der personifizierten Torgefahr Milos Kolakovic.
„Trainer, wie viele Zuschauer kommen zu den Heimspielen?"
Als Kolakovic im Januar 1996 nach Braunschweig kam, sagten weder sein bisheriger Verein FK Vozdovac noch der Neuzugang selbst den meisten Eintracht-Zuschauern etwas. Das gleiche Bild ergab sich auf Seiten des damals 21-Jährigen: „Ich wusste ehrlich gesagt nichts über den Verein. Der Kontakt ist damals über Radoman Grbovic zustande gekommen, der in Braunschweig lebte. In meiner Heimat Serbien herrschte Krieg und ich wollte einfach nur raus aus dem Land, um weiterhin meinem Traum als Fußballprofi leben zu dürfen“, erzählt der heute 45-Jährige.
Meistens genügen einzelne Sätze und man weiß, welchen Charakter das Gegenüber hat. Der Charakter von Milos Kolakovic spiegelt sich in der ersten Frage wieder, die er dem damaligen Trainer Benno Möhlmann stellte: „Trainer, wie viele Zuschauer kommen zu den Heimspielen? Möhlmann antwortete 10.000 Fans. Dann bleibe ich, habe ich gesagt“, sagt Kolakovic schmunzelnd. Seine Frage verwundert, denn meistens sind der Antrieb vieler Fußballprofis Geld, eine große Wohnung oder ein teures Auto. „Ich bin vielleicht altmodisch, aber Fußball habe ich gespielt, weil ich die Emotionen liebte. Seien es die Fans, die deinen Namen nach jedem Tor gerufen haben oder seien es die gegnerischen Zuschauer, die dich ausgepfiffen haben. Natürlich freut man sich über ein neues Auto oder eine große Wohnung, aber das war nie mein Antrieb oder gar meine Motivation“, betont der Ex-Stürmer.
"Bei Wind und Wetter!"
Schnell entwickelte sich der als Nobody nach Braunschweig gekommene Serben zu einem Publikumsliebling. In 136 Partien traf der gebürtige Belgrader 50 Mal und steht damit auf Platz 2 hinter Domi Kumbela in der Rangliste der erfolgreichsten ausländischen Eintracht-Torjäger. Doch ein spezielles Tor möchte Kolakovic nicht hervorheben: „Eintracht Braunschweig wollte einen Torjäger, also haben sie einen Torjäger bekommen. Jedes Tor hat für mich einen besonderen Stellenwert. Naja, vielleicht nimmt das Tor gegen Hannover 96 einen höheren Stellenwert ein“, sagt Kolakovic mit einem Augenzwinkern über seinen Treffer beim 3:2-Derbysieg in der Saison 1996/97.
Doch warum war er besonders in seiner ersten Zeit bei der Eintracht, die von 1995 bis 1998 andauerte, so erfolgreich vor dem gegnerischen Kasten? „Ich habe mich pudelwohl in Braunschweig gefühlt. Das Eintracht-Stadion war für mich wie ein Wohnzimmer. Besonders die Fans haben ihren Teil dazu beigetragen. Bei Wind und Wetter standen die Fans in der Kurve. Wir haben uns gesagt: Wenn die für uns da sind, dann müssen wir auf dem Platz für jeden einzelnen Zuschauer ackern, beißen und kämpfen. Wir wollten uns auf keinen Fall den Vorwurf gefallen lassen, dass wir nicht mit Herz und Leidenschaft gespielt hätten. Die Tore sind einfach geflutscht, wahrscheinlich auch, weil ich mich zu 100 Prozent mit dem Verein identifiziert habe“, verdeutlicht der Ex-Stürmer.
Die Beliebtheit zeichnete sich auch in seinem Spitznamen „der Bürgermeister“ wieder. „Der Name ist dadurch entstanden, dass mich gefühlt jeder in Braunschweig kannte und ich mitten auf der Straße selbst von wildfremden Menschen angesprochen wurde. Es ging sogar soweit, dass ein Freund sagte: 'Milos, wenn du dich zur Bürgermeisterwahl aufstellen lässt, dann wirst du auch noch gewählt'“, sagt der Serbe lachend. Seine Leistungen im Eintracht-Trikot riefen mit der Zeit auch andere Vereine auf den Plan. Greuther Fürth und der SC Freiburg bemühten sich intensiv um den Eintracht-Stürmer, doch Arminia Bielefeld machte im Sommer 1998 das Rennen.
Hin und zurück von der Alm
Nach sechs Monaten war bereits wieder Schluss in Ostwestfalen. Kolakovic kehrte überraschenderweise wieder in das Eintracht-Stadion zurück und sagte dafür sogar dem österreichischen Bundesligisten Sturm Graz ab. „Mein Problem in Bielefeld war einfach, dass meine Konkurrenz zu stark war. Bruno Labbadia, Billy Reina und Michael Sternkopf haben die zweite Liga fast im Alleingang zerlegt. Wahrscheinlich hätte ich den Vertrag aussitzen müssen, weil er wirklich gut dotiert war. In dem Augenblick war mir es mir aber egal, ich wollte wieder nach Hause – ich wollte zurück nach Braunschweig“, blickt der 45-Jährige zurück. Doch das Comeback bei der Eintracht sollte nicht erfolgreich verlaufen, auch weil sein Körper nicht mehr mitspielte. „Die Leiste hat mir immer wieder Probleme gemacht. Mein Fehler war, statt mich richtig auszukurieren, sich fitspritzen zu lassen, um der Mannschaft zu helfen. Irgendwann hat sich der Körper die Ruhepause mit Zwang zurückgeholt und ich hatte zwischenzeitlich wirklich keine Kraft und Spritzigkeit mehr“, erklärt der Ex-Löwe.

Liverpooler Verhältnisse: Milos Kolakovic und die Eintracht verloren am 2. April 1998 denkbar knapp das Derby. Foto: Agentur Hübner/Archiv
Liverpooler Verhältnisse
Während Milos Kolakovic nur positiv über die Zeit bei der Eintracht spricht, hängt die Saison 1997/98 immer noch nach. Trotz einer Punkteausbeute von 82 Zählern aus 34 Partien reichte es nur zu Tabellenplatz 2 hinter dem Rivalen aus der niedersächsischen Landeshauptstadt. „Ich vergleiche das Jahr gerne mit der letzten Saison in der englischen Premier League. Der FC Liverpool ist trotz einer grandiosen Saison mit 97 Punkten nicht Meister geworden. Normalerweise musst du mit 82 Punkten aufsteigen, jedoch muss man so fair sein und anerkennen, dass Hannover einfach professioneller aufgestellt war. Zudem war die individuelle Qualität innerhalb des Kaders besser. Fabian Ernst, Gerald Asamoah oder Otto Addo sind allesamt Nationalspieler geworden“, sagt Kolakovic.
Doch nicht nur seine Tore sind unvergessen, auch die Freundschaften. Insbesondere bei den Braunschweigern mit serbischen, bosnischen oder kroatischen Wurzeln genießt er noch heute eine große Beliebtheit. „Milos ist durch seine freundliche, menschliche und weltoffene Art sehr schnell in unserer Stadt angekommen. Ich kann mich daran erinnern, dass er nach nicht mal sechs Monaten sein erstes Interview auf Deutsch gegeben hat“, erzählt sein Braunschweiger Freund Bernard Pavlic. „Die Menschen haben mir extrem geholfen. Als Ausländer suchst du natürlich erstmal Kontakt zu deinen Landsleuten. Jedoch wurde mir schnell klar, wenn ich in dem Land angekommen will, muss ich die Sprache lernen. Ich verstehe Spieler nicht, die nicht bereit sind die Sprache zu lernen oder es wenigstens versuchen. Es hat auch etwas mit dem Respekt vor der Kultur des jeweiligen Landes zu tun. Eine neue Sprache ist wie ein Geschenk vom lieben Gott“, verdeutlicht der 45-Jährige.
"Nur dein Herz und dein Charakter entscheiden, wer du bist!"
Die weltoffene Art, die auch Bernard Pavlic angesprochen hat, spiegelt sich in einer tollen letzten Aussage von Kolakovic wieder: „Häufig machen wir den Fehler Menschen nach ihrem Aussehen zu beurteilen oder danach, wie viel Geld sie besitzen. Dabei entscheidet einzig und allein dein Herz und dein Charakter, ob du eine gute oder eine schlechte Person bist. Es ist dabei auch vollkommen egal, ob du Christ, Moslem oder Jude bist. In erster Linie sind wir alle Menschen! Der Fußball verbindet Kulturen und Nationen, das sollten wir uns immer wieder bewusst machen“, betont der ehemalige Publikumsliebling, der heute als Familienvater in seiner Heimatstadt Belgrad lebt und für den dortigen Traditionsverein OFK Belgrad als Scout arbeitet.
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