Braunschweig/Rotterdam. Wenn Polizisten sich falsch verhalten, bleiben öffentliche Aufschreie aus. Dabei hat die Polizei eine einmalige Verantwortung, der sie gerecht werden muss. Unser Kolumnist Till Oliver Becker hakt nach.
Fehlverhalten im Internet-Zeitalter
Feyenoord Rotterdam kam am Wochenende ausgerechnet beim üblicherweise chancenlosen Lokalrivalen Excelsior mit 0:3 unter die Räder und muss jetzt doch noch um den bereits sicher geglaubten Titel des Eredivisie-Meisters 2017 zittern. Nach der Partie kam es in der Hafenstadt zu Ausschreitungen, mehr als 100 Randalierer wurden festgenommen. Das ist die Zusammenfassung dessen, was die Menschen in Deutschland erfahren. Enttäuschte Fußballfans, womöglich alkoholisiert, haben also ihrem Frust freien Lauf gelassen, die Polizei hat Schlimmeres verhindert und die Bevölkerung geschützt. Klingt doch einfach.
Zu einfach. Denn eine Vielzahl von Videoaufnahmen zeigt ein differenzierteres Bild. Da sind auf der einen Seite natürlich die Anhänger von Feyenoord, die die Enttäuschung über die vertagte Meisterfeier (die Rotterdamer führen die Tabelle vor dem letzten Spieltag immer noch mit einem Punkt Vorsprung vor Ajax Amsterdam an) schwer verwinden konnten und ihrem Frust freien Lauf ließen. Und sicherlich musste die Polizei bei einer Vielzahl von Sachbeschädigungen, vielleicht auch Körperverletzungen, eingreifen. Aber: Nichts rechtfertigt die anderen Bilder.
Die, auf denen Polizisten zu sehen sind, die Fans, die mit erhobenen Händen lediglich an ihnen vorbei gehen, den Schlagstock in die Kniekehle hämmern (siehe Video). Die Frauen schlagen und auf am Boden liegende Menschen einprügeln. Die Bilder, auf denen ein Einsatzfahrzeug zu sehen ist, das ohne jede Rücksicht an Menschen vorbeifährt und dabei einen Mann schwer verletzt. Die Anzahl der Beweisvideos aus der Hafenstadt sind Legion, das schlimme Fehlverhalten der niederländischen Polizei ist im Zeitalter des Internets weltweit nachzuvollziehen. Man wird hier nicht zur Tagesordnung übergehen können.
Ja, es sind die Niederlande in diesen Bildern, nicht Deutschland. Aber viele Fußballfans kennen solche Situationen auch hier aus eigener Erfahrung. Der willkürlich eingesetzte Wasserwerfer, die Großportion Tränengas für den gesamten Pulk an Menschen. Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Beleidigungen – auch in Deutschland benimmt sich die Polizei nicht immer korrekt. Organisationen wie das Bündnis aktiver Fußballfanshaben über Jahre Material gesammelt. Dieses Material zeigt: Es passiert auch in Deutschland häufiger als gedacht. Zuletzt in Nürnberg nach dem Spiel des FC Erzgebirge Aue (Siehe Video unten), als mindestens ein Gästefan von der Polizei offenbar misshandelt wurde.
Keine Lobby für die Fans
Dabei haben Fußballfans sowieso keine große Lobby. Wenn die Polizei während einer Demonstration gewalttätig wird, sind sofort Stimmen aus dem jeweiligen, mit dem Inhalt der Demo sympathisierenden, politischen Lager zu hören: Das kann nicht sein, das muss untersucht werden. Nicht selten schließt sich die Berichterstattung dem an. Wenn so etwas aber beim Fußball passiert, herrscht Schweigen. Eher melden sich die Scharfmacher der Politik, die ein noch härteres Vorgehen der Polizei fordern. Und der Bürger? „Wird schon was gewesen sein“, was es rechtfertigt. So einfach können Weltbilder aufgebaut sein.
Nein, natürlich hat die Polizei keinen leichten Job, und angesichts schlechter Arbeitsbedingungen, vieler Überstunden und undankbarer Aufgaben ist es fast schon normal, dass es bei der Polizei kocht und brodelt. Trotzdem: Der Auftrag der Polizei ist eindeutig: Menschen beschützen, Straftaten verhindern. Die Bilder zum Beispiel, aber nicht nur, aus Nürnberg sind verstörend. Sie zeigen Polizisten, die das Gegenteil dessen tun, was sie sollen. Die, so scheint es, im Machtrausch selbst Straftaten begehen. Und die anscheinend keine Angst davor haben müssen, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, weil niemand da ist, der ein Interesse daran hat. Einen öffentlichen Aufschrei haben übrigens auch die Bilder aus Nürnberg nicht verursacht. Von den selbsternannten Bewahrern der Menschenrechte, die sich sonst wegen jeder Kleinigkeit zu Wort melden, ist bis heute nichts zu hören gewesen. Wie immer.
Die Polizei hat einen Scheißjob, nennen wir es doch ruhig beim Namen. Trotzdem: Umso wichtiger ist es, dass Polizisten sich ihrer Verantwortung bewusst sind und sich im Griff haben. Zu jeder Zeit, auch beim Fußball. Ohne wenn und aber, ohne jede Relativierung. Die Menschen müssen der Polizei vertrauen können, denn Polizisten sind die Guten. Immer dann, wenn Polizisten selbst zu Tätern werden, stirbt Vertrauen, das nicht nachwächst.
Till
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Dies ist eine Kolumne von Till Oliver Becker. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.
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