Braunschweig. Eines der legendärsten Spiele, welche der regionale Amateurfußball je erlebt hat, fand heute vor genau sechs Jahren, am 21. April 2014, statt. Damals gelang den Freien Turnern im Halbfinale des Niedersachsenpokals gegen den haushohen Favoriten VfB Oldenburg ein unverhoffter Sieg und der Einzug in den DFB-Pokal. Torschütze Julian Eggers machte sich und seine Weggefährten unsterblich.
Eine echte Pokalsensation!
Der VfB Oldenburg und Cheftrainer Alexander Nouri waren siegesgewiss. Schon die Anreise des Gegner machte eines klar: Hier gewinnen nur wir! Was sollte gegen den Oberligisten aus Braunschweig auch schief laufen? Selbst die 6.350 Zuschauer im Eintracht-Stadion beeindruckten die Gäste nicht sonderlich, die ihrerseits etwa 500 gut gelaunte Fans mitgebracht hatten.
Doch der hervorragend besetzte Regionalligist sollte die kleinen Turner an diesem Tag wie so viele andere Teams in dieser Saison unterschätzen. Sie waren nicht nur eine Mannschaft, sie waren ein eingeschworener Haufen, wie ihn der regionale Fußball nur selten erlebt hat. Großer Zusammenhalt und ein jahrelang gewachsenes Teamgefüge zeichneten die Elf von Trainer Uwe Walther aus, die auch im normalen Ligabetrieb gerade zum direkten Durchmarsch aus der Landesliga in die Regionalliga Nord ansetzte. Über ein 3:2 beim VfL Bückeburg in der Quali-Runde, ein packendes 4:2 nach Elfmeterschießen gegen den Lüneburger Sport-Klub Hansa im Achtelfinale und ein umso packenderes 7:5 nach Elfmeterschießen gegen den TSV Havelse, hatten die Braun-Weißen sich dieses Halbfinale hart erarbeitet. Ein einziger Sieg fehlte noch und die Teilnahme am kommenden DFB-Pokal war den Kickern aus dem Prinzenpark nicht mehr zu nehmen. Dementsprechend groß war die Vorfreude in der Löwenstadt auf dieses Spiel, das schon im Vorfeld wochenlang das Gesprächsthema Nummer 1 gewesen war.

Fabian Krüger (re.) und Julian Eggers vor dem Spiel. Ein mulmiges Gefühl ist deutlich sichtbar. Foto: Frank Vollmer
„Im Eintracht-Stadion gewinnen nur Braunschweiger!!!“
Als die Mannschaften mit rund zwanzigminütiger Verspätung wegen des großen Zuschauer-Andrangs den Tunnel aus den Katakomben des Eintracht-Stadions betraten, sah man den großen Respekt in den Augen der Braunschweiger Spieler. Für die Meisten von ihnen sollte es das größte (bisherige) Spiel ihres Lebens werden. Doch da war auch große Konzentration spürbar. Und Mut!
Als kleine Überraschung hatte die komplette Mannschaft des damaligen Bundesligisten Eintracht Braunschweig ein Poster in die Kabine gehängt. „Im Eintracht-Stadion gewinnen nur Braunschweiger!!!“, stand da samt aller Unterschriften der Mannschaft von Torsten Lieberknecht, die für das Spiel sogar ihre allerheiligste Kabine zur Verfügung gestellt hatte. Der damalige Cheftrainer der Löwen kam vor dem Spiel kurz in die Räumlichkeiten und schwor die Mannschaft von Uwe Walther ein, der das Schauspiel genüßlich aus dem Hintergrund beobachtete. Was Lieberknecht den Braun-Weißen mit auf den Weg gab, wird für immer hinter verschlossenen Türen bleiben.
Von wegen defensiv!
Bereits nach 18 Sekunden war es Dominik Franke, der die Führung für das Heimteam auf dem Fuß hatte. Wer mit einer defensiven, auf Konter lauernden Taktik der Walther-Elf gerechnet hatte, rieb sich verblüfft die Augen. Der Tabellenführer der Oberliga Niedersachsen spielte von Beginn an beherzt auf und brachte die Zuschauer damit schnell auf seine Seite. Von Uwe Walther taktisch hevorragend eingestellt, unterbanden sie die offensiven Bemühungen um den brandgefährlichen Angreifer Addy-Waku Menga.
Doch auch Oldenburg kam in der Anfangsphase vor das Tor von FTB-Keeper Daniel Reck. Es dauerte eine Weile, bis der agile Rick Kaupert den zweiten gefährlichen Ball auf das Tor von VfB-Schlussmann Mansur Faqiryar brachte. Die einmalige Atmosphäre an der Hamburger Straße schien die Braunschweiger zu beflügeln. Braun-Weiß blieb über weite Phasen überraschend spielbestimmend. Die Gäste waren dennoch nie zu unterschätzen. Kurz vor dem Halbzeitpfiff hätte die Nouri-Elf sogar in Führung gehen können. Reck reagierte gedankenschnell und wehrte den schier unhaltbaren Ball ab: „Ich wusste vor dem Spiel, es würde ein bis zwei unhaltbare Schüsse geben, die ich halten muss“, sagte der sympathische Schlussmann nach dem Spiel. „Bei diesem Ball bin ich volles Risiko gegangen.“ Spätestens jetzt kochte das Stadion. Die Sensation war greifbar.

Ein Geniestreich aus 16 Metern: Torschütze Julian Eggers (Bildmitte) jubelt mit Rick Kaupert, Jan Lührs, Julian Bräunig und Oliver Fiedler (vlnr.). Foto: Frank Vollmer
Eggers mit dem Geniestreich
Kurz nach Wiederbeginn blieb dem Kommentator des VfB Oldenburg-Livestreams der Schluck Wasser im Halse stecken, als die Turner ihren Gegner nach vielen Ballstaffetten eiskalt erwischten. Eigentlich war die Situation von der VfB-Abwehr schon längst geklärt. Das Einkontaktspiel der Turner war nun aber viel zu schnell für die Gäste. Einen Chip von rechts spitzelte Franke zum loseilenden Julian Eggers, der den Ball direkt aus halbrechter Position auf die Reise schickte. Ein wunderschönes Tor aus gut 16 Metern! Für Faqiryar gab es nichts zu halten und das Stadion explodierte im Freudentaumel.
Philipp Stucki wäre mitten im letzten Aufbäumen der Oldenburger beinahe das 2:0 gelungen, doch er legte sich einen schnellen Konter zu weit vor. Die Zuschauer besangen zu diesem Zeitpunkt schon ihre Pokalhelden. In der intensiven Schlussphase liefen viele der Protagonisten schon auf der „letzen Rille“. Die Gäste drückten noch einmal extrem auf den Auslgeich. Flanke um Flanke segelte vor das Tor von Reck. Die Freien Turner verteidigten mit allem, was sie hatten und warfen sich mit jedem erdenklichen und erlaubten Körperteil in die Bälle der Blau-Weißen.
Sehr zum Ärger der meisten Zuschauer blieb der Schlusspfiff lange aus. Mit fast fünf Minuten Nachspielzeit erlöste Schiedsrichter Jan Eike Ehlers die Spieler und machte damit die Sensation perfekt. Die Freude kannte keine Grenzen an diesem Tag. Noch bis spät in die Nacht machten die Freien Turner und alle die es mit ihnen halten Braunschweigs Straßen unsicher. Doch das ist - genau wie das folgende Finale gegen Rehden und das DFB-Pokal-Spiel gegen Köln – eine andere Geschichte.