Wolfsburg/Braunschweig/Hannover. Derby hier, Derby da – wenn eine Bundesliga-Partie einen verkaufsfördernden Namen braucht, ist der Griff zum Derbybegriff schnell getan. Nur, was macht ein Derby eigentlich aus? Und ist auch alles Derby, wo Derby draufsteht? Ein Kommentar von Till Oliver Becker
Für Bruno Labbadia ist das Spiel seines VfL Wolfsburg bei Hannover 96 also ein Derby, wie er der Braunschweiger Zeitung proaktiv mitteilte. Das wissen wir jetzt also auch. Was wir aber auch wissen: Er ist mit dieser Einschätzung, zumindest außerhalb Wolfsburgs, ziemlich allein. Denn ein Derby ist grundsätzlich erst einmal etwas Besonderes. Etwas, dem man entgegenfiebert. In Hannover fiebert niemand diesem Spiel entgegen. Und das hat nichts mit der Tabellensituation zu tun und dass 96 in der Partie wahrscheinlich nichts holen wird.
Der Kollege, Dauerkartenbesitzer beim kleinen HSV, erklärt die hannoversche Abneigung gegen den Derbybegriff so: „Wolfsburg ist keine Stadt, der VfL ist kein Verein“. Okay, das ist natürlich Nonsens. Aber man versteht doch, worum es im Kern geht: Der VfL Wolfsburg ist auch nach langen Jahren in der Bundesliga und sogar einer Meisterschaft immer noch ein gefühlter Fremdkörper.
Können Fremdkörper aber keine Derbys haben? Erst einmal muss man wissen, was ein Derby ausmacht. Dafür braucht es kein Lexikon, keine Fachleute, denn es ist denkbar einfach: Es sind Emotionen. Wenn es eine lange Geschichte von Aufeinandertreffen zweier Teams aus relativer Nähe gibt, viele kleine Storys drum rum, dann kann es ein Derby sein. Und wenn nicht nur die Fans, sondern auch die Spieler, die Trainer einfach jeder im Club, dieser Partie entgegenfiebern, weil sie emotional so aufgeladen ist, dann ist es ein Derby. Wenn man ehrlich ist, trifft das auf die Aufeinandertreffen von VfL Wolfsburg und Hannover 96 nicht zu.
Der Begriff Derby wird sowieso inflationär benutzt. Findet sich irgendein gemeinsamer Nenner bei den Teams, die da gegeneinander spielen? Dann braucht das Kind einen verkaufsfördernden Namen, und viel zu oft lautet der dann Derby. Das Süd-Derby zum Beispiel zwischen dem VfB Stuttgart und dem FC Bayern München mag vielleicht eine Geschichte haben, aber bei über 230 Kilometern, die zwischen den Hauptstädten Baden-Württembergs und Bayerns liegen, kann man nun wirklich nicht mehr von Nähe sprechen. Auch beim Spiel des HSV gegen Holstein Kiel in der zweiten Bundesliga wurde schnell und häufig von einem Derby gesprochen. Kiel liegt zwar deutlich näher an Hamburg als Stuttgart an München (es sind etwa 100 Kilometer), aber für ein Derby fehlt hier die emotionale Geschichte – seit Gründung der Bundesliga spielten beide Vereine nicht mehr in einer Liga, erst jetzt wieder.
Tatsächliche Derbys sind Klassiker. Schalke gegen Dortmund, HSV gegen Werder, Köln gegen Düsseldorf. Und es sind diese Derbys, die sich die Fans wünschen, auch wenn Ligen zwischen den Teams liegen: Braunschweig gegen Hannover, Frankfurt gegen Offenbach, Bayern gegen 1860, Lok gegen Chemie. Bei diesen Spielen bleibt kein Platz frei. Das Spiel heute Abend im Niedersachsenstadion dagegen wird garantiert nicht ausverkauft sein. Es ist eben kein Derby. Auch wenn Bruno Labbadia etwas anderes sagt.
Aber welche Partien sind für den VfL Wolfsburg tatsächlich Derbys? Diese Frage kann ich tatsächlich nicht beantworten, weil ich dazu die Geschichte des VfL vor der Übernahme zu wenig kenne. Vielleicht kennen waschechte VfL-Fans die Antwort?
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Dies ist ein Kommentar von Till Oliver Becker. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion
Hannover 96 gegen Wolfsburg: Ein Derby, das keins ist
Welche Partien sind für den VfL Wolfsburg tatsächlich Derbys? Foto: Agentur Hübner | Foto: Agentur Hübner