Henrik Pedersen: "Corona ist die Chance zu zeigen, wer man wirklich ist!"

„Hey, ich bin doch gar nicht entlassen!“, begannen einige lange und beeindruckende Gespräche mit dem ehemaligen Trainer von Eintracht Braunschweig.

von Frank Vollmer


Hat seinen Weg bei Strømsgodset gefunden: Henrik Pedersen.
Hat seinen Weg bei Strømsgodset gefunden: Henrik Pedersen. | Foto: privat

Braunschweig/Drammen. Vor einigen Tagen berichteten wir von der coronabedingten Entlassung von Henrik Pedersen als Cheftrainer beim norwegischen Erstligisten Strømsgodset IF (Mehr hier). Kurz darauf klingelte das Telefon. Am anderen Ende der Leitung war Pedersen. „Hey, ich bin doch gar nicht entlassen!“, begannen einige lange und beeindruckende Gespräche mit dem ehemaligen Trainer von Eintracht Braunschweig.

Fragt man in Braunschweig nach Henrik Pedersen, bekommt man nicht selten zu hören: „Ein wirklich toller Mensch! Schade, dass es mit dem Fußball hier nicht geklappt hat.“ Was nur die Wenigsten wissen: Der sympathische Däne kann weitaus mehr, als die mickrigen 8 Zähler Ausbeute nach 11 Spieltagen, die im Oktober 2018 zu dessen Entlassung bei der Eintracht geführt hatten. Beispielsweise hatte Pedersen schon weit vor dem Start der vergangenen Saison gemahnt, dass ein erfahrener Torwart ein elementar wichtiger Baustein sein würde. Diesen Wunsch bekam er bei den Löwen nicht erfüllt. In die Saison ging der Verein mit dem damals 25-jährigen Marcel Engelhardt.

Hospitieren bei Pep Guardiola


Bei seinem aktuellen Arbeitgeber Strømsgodset setzte Henrik Pedersen von Beginn an auf seinen Landsmann Martin Hansen (29) - aktuell 2. Torwart bei Hannover 96. Und lag damit goldrichtig! Diese aus Pedersens Sicht enorm wichtige Personalie war nur eine der Lehren, welche der 42 Jahre alte, bald zweifache Familienvater, aus seiner Zeit an der Oker mitnahm.

Eine andere war, dass er nicht öffentlich über seine Entlassung bei der Eintracht und deren Hintergründe gesprochen hat. Eine Entscheidung, zu der Henrik Pedersen auch jetzt noch steht – egal wie vehement man bei ihm nachfragt.

Nach dem Aus an der Hamburger Straße analysierte Henrik Pedersen die Gründe und suchte mit viel Akribie nach den Lehren, die er daraus für sich persönlich ziehen konnte. Dazu gehörte auch eine Analyse seiner Drittligaspiele mit den Löwen und eine Verfeinerung seiner Spielidee. So trieb es den Dänen auch zum amtierenden englischen Meister Manchester City, wo er sich insgesamt 31 Spiele unter Trainer Pep Guardiola anschaute. „Ich war 5 Mal für längere Zeit in Manchester“, erzählt Pedersen. Auch Leeds United bot mit seiner pressingorientieren Spielweise interessante neue Ansätze für den lernbegierigen Fußballverrückten. „Noch vor Weihnachten sah ich insgesamt 11 Spiele von Marcielo Bielsas Team“, verrät Pedersen.

Eine witzige Randnotiz aus dieser Zeit: der ehemalige Eintracht-Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt wäre beinahe Berater von Pedersen geworden. Es folgten Gespräche für einen Trainerposten in Holland, Belgien und Dänemark. Doch Henrik Pedersen wartete auf das richtigen Angebot: "Ich habe einen Verein gesucht, bei dem nicht nur die Geschäftsführung, wie Soeren Voigt, – mit dem ich bei Eintracht Braunschweig sehr gut zusammengearbeitet habe – sondern auch die Vereinsführung eine langfristige Strategie verfolgen."

Architekten in Drammen: Henrik Pedersen und Manager Jostein Flo.
Architekten in Drammen: Henrik Pedersen und Manager Jostein Flo. Foto: privat


Das Wunder von Strømsgodset


Im Juni 2019 fand Henrik Pedersen diesen Verein im norwegischen Erstligisten Strømsgodset Idrettsforening. Von Beginn an wurde es eine anspruchsvolle Aufgabe. Der Klub hatte nach der Hälfte der Saison gerade einmal 10 Punkte auf dem Konto. „Noch nie in der Geschichte der Eliteserien hat ein Verein mit einer derartigen Zwischenbilanz noch den Klassenerhalt geschafft“, berichtet Strømsgodset-Sportchef Jostein Flo nicht ohne Stolz. „Als Henrik zu uns kam waren wir sehr am Straucheln. Am Ende blieben wir in der Liga. Das sagt schon sehr viel über ihn aus“, so der ehemalige norwegische Nationalspieler auf unsere Nachfrage hin.

„Henrik Pedersen hat eine klare Strategie, die sehr gut zu uns passt. Das wurde schon in den zahlreichen Gesprächen deutlich, die wir im Vorfeld seiner Verpflichtung geführt haben“, erinnert sich der 55-Jährige und fügt an: „Er weiß genau, was er von seinen Spielern und seinem Spiel erwartet. Sein Stil ist offensiv geprägt, er spielt gerne sehr frühes Pressing. Auch ist er sehr nah an den Spielern und trainiert doch sehr hart“, beschreibt Jostein Flo den Charakter seines Trainers.

Der neue Mann besaß das Vertrauen der Vereinsführung und drehte jeden Stein um. „Wir sind ein kleiner Verein und leben davon, junge Spieler zu holen, auf die nächste Stufe zu bringen und dann an die großen Klubs zu transferieren“, erklärt Flo. Seit 15 Jahren fahre der Verein sehr gut mit dieser Strategie. So wechselte unter anderem ein gewisser Martin Ödegaard Anfang 2015 für 4 Millionen Euro zu Real Madrid.

Als Henrik Pedersen kam, wurde Strømsgodset binnen kürzester Zeit von mehr als 29 Jahren Durchschnittsalter auf knapp 24 Jahre verjüngt. Pedersen erhielt bei allen Transfers ein Mitspracherecht und durfte seine Mannschaft selbst zusammenstellen. Sieben neue Spieler kamen, die niemand auf dem Zettel hatte. Und Martin Hansen als routinierter Torwart. Mit der Idee von Fußball, die Pedersen schon in Braunschweig hatte etablieren wollen, kam mittelfristig der Erfolg. Dazu gehörte vor allem eine knallharte Disziplin innerhalb des Teams. Zwar gingen die ersten vier Spiele verloren, doch die Mannschaft fand schnell zusammen und mauserte sich von da an bis zum Saisonende zum fünftbesten Punktesammler der Liga. Pedersen lobt heute „die Konsequenz, mit der die Vereinsstrategie von allen bei Strømsgodset umgesetzt wurden“.

Dennoch gab niemand auch nur einen Pfifferling auf den Klub aus der Provinz Buskerud, der mit nun 26 Punkten abgeschlagen am Tabellenende als sicherer Absteiger galt. Doch dann passierte das kleine Fußball-Wunder: Die Pedersen-Elf ballerte mit einem 6:0-Erfolg den SK Brann aus dem eigenen Stadion und bewahrte sich damit den letzten Strohhalm für den 30. und letzten Spieltag beim Kristiansund BK.

„Vor dem Spiel habe ich den Jungs in Kabine die zwei Gründe genannt, warum wir den Klassenerhalt schaffen werden“, erinnert sich Pedersen heute: „Wir sind bereit dafür und wir müssen aus jeder Situation lernen.“ Die Mannschaft ging raus und schlug das heimstärkste Team der Eliteserien im Schneegestöber mit 2:1. Etwas Glück war auch dabei, dass der Treffer von Kastratis zum vermeintlichen Ausgleich aus einer Abseitsposition entstanden war. „Dieses Glück haben wir uns erarbeitet“, lacht Pedersen am Telefon. Die am Ende 32 Punkte reichten genau für den Klassenerhalt.

Neue Töne auf der Trainer-Klaviatur: Henrik Pedersen kann auch anders.
Neue Töne auf der Trainer-Klaviatur: Henrik Pedersen kann auch anders. Foto: privat


„Corona ist ein Test für uns alle.“


Am kommenden Wochenende sollte nun endlich die neue Saison in der Eilteserien starten. Doch Corona kam dazwischen. Erst am Montag beschloss der norwegische Fußballverband die Aussetzung seiner Ligen bis zum 23. Mai 2020. Eine heikle Situation für die Vereine - vor allem in finanzieller Hinsicht. Entgegen unseres Beitrags vom 25. März steht Henrik Pedersen aber noch unter Vertrag bei Strømsgodset. Derzeit ist er allerdings in 50 prozentiger Kurzarbeit – seine Spieler gar zu einhunderprozentiger.

Der richtige Umgang mit der Situation liegt Pedersen sehr am Herzen. Es sei derzeit zwar nicht erlaubt, Trainingsaufgaben mit nach Hause zu geben, „aber für Hinweise ist meine junge Mannschaft immer sehr dankbar“, lacht er und zeigt vor allem Verständnis für die menschliche Seite der Situation: „Es ist sehr schwierig für die jungen Spieler. Da kommen viele Gedanken und die sind meist negativ.“ In Einzelgesprächen versucht Pedersen, dem so oft es geht in Videotelefonaten entgegenzuwirken. „Wenn man den Spielern den Fußball wegnimmt, nimmt man ihnen auch ihre Identität“, weiß er und betont: „Diese Isolation schafft Einsamkeit.“ Auch sei es ein Test für die Familien, mit denen die Spieler vorher noch nie so viel Zeit verbacht hätten. „Corona ist ein Test für uns alle. Man hat eine Chance zu zeigen, wer man wirklich ist.“

Die Coronakrise ist irgendwann auch wieder vorüber. Uns eröffnete sie die Möglichkeit für einige intensive Telefonate, die im normalen Tagesgeschäft so vielleicht nie stattgefunden hätten. Als Henrik Pedersen sich für unseren Beitrag bedanken will, berichtet er ganz nebenbei vom norwegischen Fußballverband, der seit dem heutigen Donnerstag wieder erlaubt, in kleinen Gruppen zu trainieren. „Corona stoppt uns nicht“, erklärt auch Jostein Flo passend dazu und kündigt an: „Wir werden weiter an der Strategie mit Henrik festhalten. Dazu gehört auch, dass wir in zwei Jahren wieder zu den norwegischen Topteams gehören wollen.“ Så gå! – Dann mal los!

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