Braunschweig. Es gab Spieler, die brauchten hunderte von Partien, um Kultstatus bei Eintracht Braunschweig zu erreichen und es gab Akteure die brauchten wenige Spiele, um Publikumsliebling an der Hamburger Straße zu werden. Zur letzteren Kategorie gehört sicher Michél Dinzey. Doch was macht der ehemalige Spielmacher heute? regionalsport.de begab sich auf Spurensuche.
Es gibt das eine Bild, dass sofort mit Michél Dinzey und seiner Zeit in Braunschweig verbunden wird. Kurz vor Anpfiff im DFB-Pokalspiel 2003 gegen Hannover 96 wird aus dem Gästefanblock eine Rakete auf den Rasen geschossen und landet vor den Füßen von Michél Dinzey, der über den diesen Leuchtkörper springt und so unfreiwillig zum "Raketenmann" wird – so wird das Sportfoto des Jahres 2003 betitelt.
"Der Support in jedem Spiel war unfassbar und mega geil!"
Für Dinzey war der Derby-Sieg auch eine Art Genugtuung. Bei dem Verein aus der niedersächsischen Landeshauptstadt läuft er nur in wenigen Spiele auf, wird zwischenzeitlich suspendiert, da er den damaligen 96-Coach Horst Ehrmantraut per SMS beleidigt haben soll. Dinzey beteuert seine Unschuld. Vor Gericht kommt heraus, nicht er, sondern ein Freund hat die Nachricht an Ehrmantraut geschrieben.
Das Tuch bleibt trotzdem zerschnitten. Seine Karriere in Deutschland scheint zu Ende. Er flüchtet nach Norwegen zu Valerenga Oslo. Doch nach einer Spielzeit in Skandinavien holt ihn Eintracht Braunschweig zurück nach Deutschland. Zu Anfang schlägt ihm große Skepsis entgegen. Auch weil ihm ein Ruf als nicht ganz leichter Profi nacheilt, böse Zungen behaupten, er sei ein „schlampiges Talent“ und ein „Luftikus“.
Doch die Beziehung Braunschweig und Michél Dinzey wird eine Besondere. Bei der Eintracht blüht er auf und spielt sich wieder in den Fokus. Den Abstieg 2003 aus der zweiten Liga kann er nicht verhindern und bleibt auch eine Klasse tiefer der Löwenstadt treu. Insgesamt 66 Mal trägt Dinzey das blau-gelbe Trikot und erzielt dabei 19 Treffer. „Ich will nicht schleimen, aber im tiefsten Herzen hat die Eintracht einen besonderen Platz. Meine Karriere in Deutschland war eigentlich so gut wie beendet, als mir der Verein eine Chance gegeben hat. Besonders die Fankultur und das familiäre Umfeld sind mir in guter Erinnerung geblieben. Der Support in jedem Spiel war unfassbar und mega geil“, erklärt Dinzey, der Eintracht 2004 unfreiwillig verlassen musste.
Es gab Gerüchte das Michael Krüger an dem Weggang von Dinzey schuld sei, weil sich beide nicht verstanden. „Das ist völliger Quatsch. Mit Michael verstehe ich mich auch noch heute gut. Die Wahrheit war, dass mir die Eintracht nur einen Einjahresvertrag anbieten wollte, ich aber für meine Familie und mich Planungssicherheit haben wollte und so einen Zweijahresvertrag gewünscht hatte. Am Ende haben wir leider nicht zusammengefunden“, so der ehemalige Mittelfeldspieler, der anschließend noch drei Jahre beim FC St. Pauli und ein gutes halbes Jahr bei Holstein Kiel unter Vertrag stand, bevor er 2008 seine Karriere an den Nagel hing.
Obwohl die aktive Zeit nun schon ein paar Tage zurückliegt erinnert er sich noch gerne an seine Zeit in Braunschweig zurück. „Das war eine besondere Zeit. Es gab keine Distanz zwischen Fans und Spielern. Wenn du gut gespielt hast, hat man dir auf die Schulter geklopft, wenn du verloren hast wurde es auch mal ausfallend. Dennoch habe ich die Gespräche mit den Fans genossen, denn die Braunschweiger haben schnell gemerkt, dass ich mich mit dem Verein identifiziere, ich mich auf Augenhöhe mit den Leuten unterhalte und mich nicht hinstelle und sage, ihr seid einfache Arbeiter und ich bin der Profi, also geht mal zur Seite. Als Spieler musstest du ein Gefühl für die Emotionalität der Eintracht-Fans entwickeln. Die Eintracht-Fans wollten kein Gelabber oder Ausreden hören, sondern einfach und vielleicht primitiv ausgedrückt, reiß dir den Arsch für unseren Verein auf und die Leute werden es dir danken. Es hat wirklich Spaß gemacht. Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir mehrmals in der Woche mit dem Großteil des Kaders Essen gegangen sind und es hat keiner von diesen Jungs, aber wirklich keiner gesagt, ich kann nicht. Wir waren wahrlich nicht alle die besten Freunde, aber wir alle wollten was reißen. Die damaligen Vereinsverantwortlichen haben großen Wert auf den Charakter der einzelnen Spieler gelegt und das hat gepasst. Fußballerisch waren wir alle nicht die Größten, was wir aber konnten, das war beißen und kämpfen“, sagt Dinzey lachend und schiebt nach: „Allgemein gesprochen achten die Vereine heutzutage fast nur noch auf die sportlichen Fähigkeiten und weniger auf die menschliche Komponente. Man kann nicht erwarten, nur weil ich große Namen einkaufe, dass ich auch gleich eine erfolgreiche Mannschaft habe“, so der 47-Jährige, der seit fast einem Jahr als Nationaltrainer des Karibikstaats Antigua und Barbuda arbeitet.
Nationaltrainer von Antigua und Barbuda
Doch wie kommt man als ehemaliger Bundesligaprofi in ein solches exotisches Land? „Ich bin als Scout für eine Spielbeobachtung in Düsseldorf angerufen worden, sich ein Spiel einer Auswahlmannschaft, mit unter anderem drei U17-Junioren aus Antigua, anzuschauen. Da ist mir besonders der linke Offensivspieler aufgefallen und ich wollte mehr Informationen über den Jungen haben. Also habe ich den damaligen Betreuer der Auswahl, Lenny Hewlett, der heute mein Co-Trainer ist, angesprochen und mit ihm über Fußball geredet. Kaum daheim angekommen, wurde ich von Lenny angerufen und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, als Nationaltrainer für den Fußballverband Antigua und Barbuda zu arbeiten. Das ging mir dann doch zu schnell, weil ich eigentlich geplant hatte, bei drei Vereinen als Trainer zu hospitieren.
Lenny aber sagte: „Ich melde mich in zwei Stunden wieder, dann hast du dein Flugticket“ – was tatsächlich auch geschah. Ich habe dann meinen Plan verworfen und den Vereinen abgesagt“, so Dinzey, den es aber über kurz oder lang wieder in den „richtigen“ Profifußball zurückzieht. Vorher seiner Zeit auf Antigua und Barbuda arbeitete er als Scout für den Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim und kann sich dementsprechend in Zukunft eine Rolle als Chefscout oder sogar als Sportdirektor vorstellen. Dass auch „Weltenbummler“ im deutschen Profifußball eine Chance bekommen können hat sein damaliger Kollege in Hoffenheim Lutz Pfannenstiel vorgemacht, der mittlerweile als Sportvorstand bei Fortuna Düsseldorf tätig ist.
"Als Außenstehender fehlt mir eine klare Vereinsphilosophie."
Von der Bundesliga träumt momentan in Braunschweig keiner, auch Michél Dinzey lässt die Entwicklung der Eintracht nicht kalt. „Eintracht Braunschweig wird seit Jahren als schlafender Riese mit viel Potenzial bezeichnet, nur wann wird der Verein geweckt? Ich finde vielen im Verein würde Kontinuität, Demut und Stabilität gut tun. Nur als Beispiel, André Schubert erhält keine Unterstützung vom Verein und verlässt deshalb den Klub, Christian Flüthmann wird auf Platz 5 liegend entlassen. Es gibt Dinge, die muss ich nicht verstehen. Was mir als Außenstehender fehlt ist eine klare Vereinsphilosophie. Für was steht Eintracht Braunschweig eigentlich?"
Er könne auch verstehen, dass der Verein nicht auf Rosen gebettet ist, aber im Nachwuchsbereich Gelder zu kürzen ist etwas was man seiner Ansicht nach nicht machen sollte. "Bei einem Hausbau wird auch nicht das Dach als erstes gedeckt, sondern zunächst das Fundament gelegt. Das Fundament, wie bei einem Verein wie Eintracht Braunschweig, sollte die Jugendarbeit sein. Ziel sollte es sein, drei, vier echte Braunschweiger auf dem Platz stehen zu haben. Eintracht Braunschweig steht und fällt mit der Identifikation der Spieler. Natürlich braucht man auch erfahrene Spieler, dennoch sollte der Fokus auf jungen Talenten aus den Nachwuchsmannschaften von Bundesligisten oder Spielern aus der Regionalliga liegen, die brennen und einen Drittligisten als letzte Chance sehen ihren Traum vom Profifußballer zu erfüllen. Andere Vereine zeigen deutlich, dass dieser Weg erfolgreich sein kann“, erklärt der ehemalige Mittelfeldspieler.
"Erzwingen kann man im Fußball gar nichts!"
Dass die Kürzungen im Nachwuchsbereich der Eintracht mit dem angepeilten Aufstieg in die zweite Liga zusammenhängen, ist für den 47-Jährigen nur eine Ausrede. „Ich lese immer wieder, wir müssen unbedingt in die zweite Bundesliga, ansonsten gibt es wirtschaftliche Probleme. Eine Sache habe ich in meiner Karriere gelernt, erzwingen kann man im Fußball gar nichts. Ich glaube es gibt einige Großsponsoren in der Region, die Interesse hätten bei Eintracht einzusteigen, nur brauchen diese einen Plan und Idee, eine Art Projekt 2025. Ich glaube mit einem möglichen Aufstieg in die zweite Liga schafft man viele Probleme nicht aus der Welt, sondern man muss zukunftsorientiert arbeiten, wie schon erwähnt eine Vereinsphilosophie entwickeln“, so der 47-Jährige. Die Gefahr, dass ihm wahrscheinlich Kritiker vorwerfen werden, er will mit seinen Aussagen nur Unruhe in den Verein bringen, lässt er nicht so stehen. „Ich war schon als Spieler kein Ja-Sager und wenn mir ein Verein am Herzen liegt dann mache ich auch meinen Mund auf und spreche Missstände an. Und wem das nicht passt, der kann gerne die Augen zu machen und hoffen, dass es vom Nichts tun besser wird.“