Braunschweig/Wolfenbüttel. Uwe Hain blutet das Herz. Die Kunde vom bevorstehenden Aus von Eintracht Braunschweigs U23 lässt dem langjährigen Trainer dieser Mannschaft keine Ruhe. Wir haben uns mit der Torwart-Legende getroffen, die ausspricht, was viele denken: "Die Eintracht und die Region brauchen diese zweite Mannschaft." Die Gründe dafür liegen auf der Hand und leuchten durchaus ein.
"Ich will nicht den Verein kritisieren“, sagt Uwe Hain und trinkt einen nachdenklichen Schluck Cappuccino. Draußen vor dem Fenster regnet es schon den ganzen Vormittag. Es ist nichts im Vergleich zu den dunklen Wolken, die derzeit über seinem Ex-Verein Eintracht Braunschweig und dessen Angestellten schweben. Er könne richtig oder falsch im Falle der angekündigten U23-Abmeldung gar nicht beurteilen, weil er nicht mehr so nah dran ist. „Aber ich kann gerne mit Rat zur Seite stehen“, betont der 63-Jährige. Seine Hoffnung: Vielleicht kann das Schlimmste noch verhindert werden.
Nur zum besseren Verständnis, wer da seine Hilfe anbietet: UweHain hat ziemlich alles gewonnen, wases im Fußballzu gewinnen gibt.Von 1972 bis 1982 durchlief ersämtlicheStationen bei den Löwen, duellierte sich jahrelang mit dem Adler Bernd Franke um den Platz zwischen den Pfosten der Braunschweiger Bundesliga-Elf und erlebte die glorreichen Siebzieger Jahre unter Trainer Branco Zebec und der knapp verpassten zweiten Deutschen Meisterschaft 1977 als fester Teil der Mannschaft.
Ein paar Jahre später wurde Hain 1983 mit dem Hamburger Sportverein Deutscher Meister und Gewinner des Europapokals der Landesmeister – der damaligen Champions League. "Wir waren damals das, was heute die Bayern sind", sagtUwe Hain heute nicht ohne Stolz. 1987 holten die Hanseaten mit ihm den DFB-Pokal. Wie gesagt, dieser Mann hat vieles erlebt undeiniges gesehen in der Welt desFußballs.

Echte Legenden: Champions League-Sieger und Deutscher Meister 1983 mit dem Hamburger SV. Uwe Hain stand (Mitte, 4.v.l.) oft im Schatten von Uli Stein (4.v.r.). Foto:
"Wer so etwas entscheidet, identifiziert sich nicht mit dem Verein!"
Und doch sind die Gedanken desEx-Profis in dieser Stunde bei der Reservemannschaft von Eintracht Braunschweig. „Dieser Schritt der Abmeldung wirkt auf mich nicht richtig überlegt“, sagt Hain und fragt einfach mal so in den Raum: „Warum gibt man dieser Mannschaft nicht die Chance? Was da verloren geht, das wird es dann auch in Zukunft nicht mehr geben.“
Die Entscheidung ist längst gefallen, daran rütteln kann auch Uwe Hain nicht mehr. Er weiß das.Er versucht es dennoch. Ineiner schwierigen Situation kämpftder Traditionsverein von der Hamburger Straße um nicht weniger als das nackte Überleben im Haifischbecken Profifußball. Alles wird derzeit auf eine Karte gesetzt: Trainer André Schubert und den Klassenerhalt in der 3. Liga. Was ist da im Vergleich schon eine U23? Es gibtdurchaus gute Argumente, die fürdie Abmeldung dieser Mannschaft sprechen. Hain enpfindet das alles ein wenig anders:„Es ist für mich unverständlich“, sagt er entschlossen und geht hart ins Gericht: "Wer so etwas entscheidet, identifiziert sich nicht mit dem Verein!“
„In meinen Jahren wurde die 2.Mannschaft auch immer wieder in Frage gestellt. Wir hatten aber Argumente. Wir haben Spieler ausgebildet und herausgebracht“, nennt Hain einen der Gründe, die für eine U23 sprechen. Als Beispiel nennter die einstigen Löwen Serge Branco und das heutige Aufsichtsratsmitglied Tobias Rau, für die der Verein 2001 zusammen 1,1 Millionen DM an Transfergeldern eingenommen hat.
Regionale Verbundenheit und regionale Talente
20 Jahre ist das jetzt her, als Uwe Hain in der U23 von Eintracht Braunschweigals Trainer echte Aufbauarbeit geleistet hat. „Die Mannschaft hatte 1998 ein Durchschnittsalter von 30 Jahren. Wir haben zehn Spieler aus der A-Jugend hochgezogen und Stützen wie Matthias Tietze verpflichtet“, erzählt der gebürtige Schladener, der bis 2009 Trainer der U23 war. Schon im zweiten Jahr gelang der Aufstieg in die damalige Niedersachsenliga, Netzwerker Hain setzte dabei immer auf das gleiche Konzept: "Wirhielten Ausschau nachregionalen Talente und gaben ihnen eine Chance, sich zu beweisen.“
Spätere Profis wie Marc Pfitzner, Lars Fuchs, Justin Eilers, Jan Washausen oderSascha Kirstein fanden so den Weg aus regionalen Amateur-Klubs in die Profiabteilung des Deutschen Meisters von 1967, der trotz schwieriger Zeiten nie seine Strahlkraft verlor. „Um Marc Pfitzner habe ich lange gekämpft“, erinnert sich Hain. „Als junger Spieler in Timmerlah war ihm der Schritt noch zu groß. Als er bei Freie Turner alles in Grund und Boden spielte, habe ich ihm gesagt, es sei seine letzte Chance.“ Pfitznerlandetedank Hains Hartnäckigkeit doch noch an die Hamburger Straße und schaffte unter Benno Möhlmann den Sprung in die erste Mannschaft. Derzeit steht er für das blaugelbe Fünkchen Hoffnung, das nach dem Katastophenjahr 2018 wieder erblüht ist.
In der "Zwoten" sei es derweil selten nur umdas Finanzielle gegangen: „In unserem letzten Jahr hatten wir gerade mal 150.000 Euro Budget und das hat auch irgendwie funktioniert“, berichtet Uwe Hain. Oft habe man improvisieren müssen, doch darauf sei es gar nicht angekommen: „Es ist einfach wichtig, dass eine 2. Mannschaft existiert, die in der Region für Identifikation sorgt. Für die regionalenAmateurmannschaften war es immer ein Höhepunkt, sich mit uns in Wettbewerben wie dem Flutlichtpokal zu messen“,so Hain, der von einer Art der Identifikation spricht, für die das Profiteam naturgemäß zu weit wegist.
Apropos Profis: „Verletzungsrückkehrer haben sich bei uns wiederin Form gespielt“, argumentiertHain weiter. Nicht nur Deniz Dogan und Dennis Kruppke schafften so 2009 den Weg zurück in die Lieberknecht-Elf. "Wir hatten auch jede Woche Profis dabei, die bei uns Spielpraxis sammeln konnten, weil sie in der Ersten nicht zum Einsatz kamen", sagt Hain und nennt gleich noch einen weiteren Aspekt proUnterbau: „Wo bleiben die Spieler, wenn sie mal suspendiert oder zwischenzeitlich aussortiert werden?“ Sogar Torsten Lieberknecht wurde unter Cheftrainer Willi Reimann mal für ein halbes Jahr aussortiert und lief in dieser Zeit für die U23 auf.Auch habe es in seiner Zeit als Spieler und Trainerselten ein Talent direkt aus der A-Jugend zu den Profis geschafft: „AlsZwischenstation in den Herrenbereich ist die Reserve von enormer Eichtigkeit. Wo sonst können sie sonst Spielpraxis auf hoem Niveau sammeln?“

Hain als Trainer in der Oberliga mit Eintrachts U23 2017: Der leider verstorbene Betreuer Heinz Seifert (li.) war ebenso dabei, wie der heutige Physio Flo Horn (2.v.r.) undTeammanagerFank Demaré (re.). Foto:
Die Idee mitder Landesliga
Anno 2019 bleiben rhetorische Fragen wie diese ungehört. Die Situation im Verein verlangt nach drastischen Sparmaßnahmen. Die Abmeldung der Reserve ist eine davon. „Ich habe großes Verständnis dafür, wenn sie sagen, sie müssten sparen. Aber es gibtandere Möglichkeiten. Es gab und gibt immer noch viele junge und talentierte Spieler in unserer Region, die gerne malbei Eintracht Braunschweig spielen würden“, sieht Hain einen Lösungsansatz. Aktuell trainiert der Ex-Keeper den SC Gitter in der Landesliga. Dort könnte er sich auch zukünftig eine U23 vorstellen– vorübergehend. „Da sprechen wir zumindestnicht von 800.000 Euro oder eine kompletten Abmeldung der Mannschaft“, fügt er hinzu. Der SC Gitter arbeitet mit einem Bruchteil des Budgets der aktuellen U23 der Löwen.
Für Uwe Hain und viele seiner ehemaligenSchützlingeistdas beschlossene Ausder Mannschaft, die er einst von Grund auf mit aufgebaut hat, ein echter Schock. Immer wieder betont er in unserem Gespräch, dass er sofort zur Stelle wäre, wenn er irgendwie helfen kann. Ein Benefizspiel mit ehemaligen Mitstreitern wäre ein möglicher Ansatz, den er selbst mit anregt: „Wir könnten die Leute der letzten 20 Jahre zusammenbringen für ein Benefizevent. Viele der Ehemaligen haben dahingehend sogar schon ihre Teilnahme signalisiert.“Ein guter Denkanstoß!Vielleicht ist es dafür ja noch nicht zu spät: Jede dunkle Gewitterwolke weicht irgendwann wieder den Sonnenstrahlen.
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