Zur Rütten-Rotsperre: Holt den DFB zurück in den Rechtsstaat!


Nils Rütten kann es nicht fassen: Schiedrichter Christian Dietz aus München stellt den Braunschweiger vom Platz und gibt Strafstoß. Die Szene war eine einhundertprozentige Fehlentscheidung. Foto: imago/Eibner
Nils Rütten kann es nicht fassen: Schiedrichter Christian Dietz aus München stellt den Braunschweiger vom Platz und gibt Strafstoß. Die Szene war eine einhundertprozentige Fehlentscheidung. Foto: imago/Eibner | Foto: imago/Eibner

Braunschweig/Frankfurt. Die Sperre von Nils Rütten mussten die Löwen in dieser Höhe erwarten, denn so will es ein Regelwerk, das keinen Wert legt auf Fakten und Gerechtigkeit. Die Tatsachenentscheidung als Totschlagargument hat ausgedient, kommentiert Till Oliver Becker.

Totschlagargument Tatsachenentscheidung


Der Grund, warum die Sportgerichtsbarkeit so oft für hitzige Diskussionen mit häufig unvereinbaren Positionen sorgt, ist, dass sie sich nicht schert um Fakten und Gerechtigkeit. Der Kunstgriff, dessen sich zum Beispiel im Fußball der DFB bedient, nennt sich Tatsachenentscheidung. Wann immer eine Bestrafung objektiv betrachtet ungerecht ist, weil der Bestrafte nun einmal nachweislich unschuldig ist, kommt der Verband mit diesem Konstrukt daher. So auch im Fall von Nils Rütten.

Der Winter-Neuzugang der Braunschweiger Eintracht hatte am Mittwochabend im Spiel beim 1.FC Kaiserslautern nach gut zwanzig Spielminuten einen Platzverweis erhalten, der im besten Fall als hanebüchen, als Blackout des Schiedsrichters, durchgehen kann. Denn, einerseits kann man trefflich darüber diskutieren, ob das Vergehen an sich, ein kurzzeitiges Halten des Gegners mit den Händen, überhaupt ein Foul darstellt. Gelebte Praxis in den Profiligen ist es jedenfalls, über so etwas hinwegzusehen, wenn nicht gerade eine Torchance verhindert wird. Und das hat Rütten nicht getan. Ebenfalls nachweislich.

Doch die Situation wurde für Schiedsrichter Christian Dietz aus München noch peinlicher. Nachdem Kaiserslauterns Timmy Thiele mit deutlicher Verzögerung, und auch erst nach der regelkonformen Grätsche von Robin Becker, zu Boden ging, verlegte der Unparteiische das Vergehen in den Strafraum - ein krasser Fehler, denn die Aktion begann außerhalb des Sechzehners. Zwei böse Böcke innerhalb weniger Sekunden, Schiri Dietz war mit der Note 5, die ihm das Kicker-Sportmagazin als Bewertung seiner Leistung spendierte, noch gut bedient. Glück für die Eintracht, dass Jasmin Fejzic den Strafstoß parieren konnte - einen Rückstand hätten die Braunschweiger in Unterzahl wohl kaum aufholen können. So wurde es wenigstens ein Zähler, der sich wie ein Sieg anfühlen dürfte.

Urteile nach Gutsherrenart


Am Freitag gab der DFB das Strafmaß für Nils Rütten bekannt. Zwei Spiele wird der defensive Mittelfeldakteur aussetzen müssen. Ein Urteil, das sich aus dem Regelwerk des Verbands ergibt, und das gerade deswegen ein handfester Skandal ist. Denn, natürlich, auch in Frankfurt weiß man, dass Rütten zu Unrecht bestraft wird. Es ist den Funktionären dort nur leider vollkommen egal.

Um sich nicht mit dem eigenen schlechten Gewissen beschäftigen zu müssen, wird sie auch dieses Mal wieder hervorgekramt: die Tatsachenentscheidung. Sie ist die Keule, die alle Argumente weghaut, die jede Diskussion unmöglich macht, die dem Verband per se Recht gibt. Egal, was die Fakten sagen. Es hat etwas Quasi-Religiöses an sich, wenn ein Sportverband sich nicht darum kümmern muss, wie die Realität aussieht - Parallelen zu mancher politischen Diskussion der heutigen Zeit sind sicherlich nicht zufällig. Wenn Argumente obsolet werden, weil der eine sowieso Recht hat und der andere gar keine Chance bekommt sich zu wehren, dann läuft etwas Grundlegendes schief.

Das Totschlagargument Tatsachenentscheidung gehört auf den Müllhaufen der Sportgeschichte. Nicht auf dem Platz - hier muss oft in Sekundenbruchteilen entschieden werden, und hier muss der Schiedsrichter auch die Deutungshoheit behalten. Aber hinterher, wenn die Sportgerichte über die Strafmaße urteilen, muss es zwingend um Fakten gehen. Es ist schlicht eine riesen Sauerei und fortgesetzte Wettbewerbsverzerrung, wenn dann ein Spieler eine Sperre erhält, die auf einer eklatanten Fehleinschätzung des Schiedsrichters basiert. Hier muss der Verband im Nachgang, so gut es eben geht, für etwas Gerechtigkeit sorgen. Oder kurz gesagt: Es wird Zeit, dass sich der DFB hier an den Grundsätzen des Rechtsstaats orientiert. Urteile nach Gutsherrenart, die faktisch Unschuldige bestrafen, widersprechen nun einmal komplett dem Grundgedanken des Sports. Also: Fairplay, bitte!

Es geht auch anders


Dass es auch anders geht, hatte der Verband erst vor knapp einem Jahr gezeigt. Da wurde dem Freiburger Nils Petersen eine Sperre erspart, weil er angeblich seine erste Verwarnung nicht mitbekommen habe. Beweisen konnte der Stürmer das zwar nicht. Die DFB-Bundesrichter glaubten ihm trotzdem und annullierten die erste gelbe Karte aus dem Spiel bei Schalke 04. Die Argumentation damals: Der Schiedsrichter habe die Karte lediglich Petersens Rücken gezeigt. Der Bundesligist war in Berufung gegangen.

Eintracht Braunschweig dagegen hat die Sperre akzeptiert. Nicht, weil man von der Richtigkeit dieser Strafe überzeugt ist, sondern weil man weiß, dass eine Berufung ins Leere laufen und nichts ändern würde. Die Löwen haben weder die Medienpräsenz noch das Standing des SC Freiburg.

Wie wenig den Verband die schlechte Leistung von Schiedsrichter Dietz kümmert, zeigt sich übrigens an den Ansetzungen für den kommenden Spieltag. Der Münchner darf bereits am Sonntag wieder ran - in der Fußball-Bundesliga, als Assistent von Denis Aytekin bei der Partie Bayer Leverkusen gegen Werder Bremen. Gut, dass es hier den Video-Schiedsrichter gibt.

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Dies ist ein Kommentar von Till Oliver Becker. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.

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