Braunschweig. Das ifo Institut und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) haben sich in der Coronakrise für einen „umsichtigen, schrittweisen Öffnungsprozess“ ausgesprochen. Sie empfehlen der Politik, mehr zu testen, um ein Anwachsen der Infektionen bei zunehmenden Lockerungen zu begrenzen. „Diese Maßnahmen sind unentbehrlich, um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Kosten der Pandemie zu begrenzen“, heißt es in einer gemeinsamen Studie der beiden Institute. Das teilt das HZI in einer Pressemitteilung mit.
„Die Strategie umsichtiger, schrittweiser Lockerungen ist nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich vorzuziehen“, sagen ifo-Präsident Clemens Fuest und der Leiter der Abteilung System-Immunologie am HZI, Michael Meyer-Hermann. „Wenn die Politik kurzfristig mehr Wirtschaftstätigkeit erlaubt, verlängert sich die Phase der Beschränkungen nach unseren Simulationsanalysen so sehr, dass die Gesamtkosten steigen.“
"Es gibt ein gemeinsames Interesse von Gesundheit und Wirtschaft"
Ausgehend vom Stand am 20. April zeigten epidemiologische und ökonomische Berechnungen, dass allenfalls eine leichte Lockerung geeignet sei, die ökonomischen Kosten zu minimieren, ohne die medizinischen Ziele zu gefährden. „Nicht zutreffend ist hingegen, dass eine sehr schnelle Lockerung wirtschaftlichen Nutzen stiftet und deshalb ein Konflikt zu gesundheitspolitischen Zielen entsteht. Vor diesem Hintergrund ist es ein gemeinsames Interesse von Gesundheit und Wirtschaft, die Lockerung vorsichtig vorzunehmen und sehr intensiv zu beobachten, wie sich die Infektionszahlen entwickeln.“
Würden die Test-Kapazitäten deutlich ausgeweitet und mehr Personal für die Erfassung eingestellt, könnte man Fälle früh erkennen und neue Infektionsketten verhindern. Annahme für die Berechnungen ist, dass sich ohne wesentliche Kontaktbeschränkungen 300 Infektionen pro Tag kontrollieren lassen und damit die Wirtschaftsleistung kaum eingeschränkt wird.
Rechnung mit vielen Variablen
Bleibt die Reproduktionszahl bei 0,627 und würden die Schließungen, die bis zum 20. April galten, aufrechterhalten, ergäben die Szenarien einen gesamten Wertschöpfungsverlust über die Jahre 2020 und 2021 von knapp 333 Milliarden Euro. Mit knapp 288 Milliarden würde der Großteil auf 2020 entfallen, was 8,8 Prozent der Wirtschaftsleistung des Jahres wären. Der Rest von 45 Milliarden Euro entfiele auf 2021, was 1,4 Prozent der Wirtschaftsleistung des Jahres wären.
Leichte Lockerungen mit einer Reproduktionszahl von 0,75 wären dagegen mit einer höheren Wertschöpfung von etwa 26 Milliarden Euro verbunden. Dies entspräche einer Verringerung der volkswirtschaftlichen Kosten um 0,4 Prozentpunkte. Eine weitere Öffnung mit einer Reproduktionszahl von 1 wäre hingegen mit erheblich größeren wirtschaftlichen Kosten verbunden. Eine Verschärfung der Maßnahmen würde in jedem Szenario größere volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Eine Reproduktionszahl von 0,5 würde zusätzliche volkswirtschaftliche Kosten von 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung von 2020 und 2021 verursachen, was 77 Milliarden Euro entspricht. Sollte die Reproduktionszahl auf 0,1 sinken, würde dies volkswirtschaftliche Kosten von 4,2 Prozent oder 277 Milliarden Euro auslösen.
Zwischen 5.000 und 20.000 zusätzliche Todesopfer
Die prognostizierte Zahl der zusätzlichen Todesopfer unter Beibehaltung der Maßnahmen vor dem 20. April 2020 liegt bei 5.000. Diese Zahl nimmt bei niedrigen Reproduktionszahlen nur geringfügig ab, steigt aber ab einer Reproduktionszahl von 0,9 und mehr deutlich an und erreicht bei 1,0 bereits mehr als 20.000 zusätzliche Opfer.
Um den wirtschaftlich günstigsten Weg einzuschlagen, der mit einer weiteren Eindämmung der Epidemie in Einklang zu bringen ist, ist im Vergleich zu den Maßnahmen am 20. April 2020 eine leichte Lockerung ökonomisch betrachtet also in jedem Fall einer weiteren Verschärfung zu bevorzugen. Deutlichere Lockerungen sind sowohl unter gesundheitlichen als auch unter ökonomischen Aspekten nicht zu empfehlen.
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