Braunschweig. Gott wohnt nicht in einer Kirche, sondern uns Menschen. Darauf hat Landesbischof Dr. Christoph Meyns in seiner Weihnachtspredigt am Heiligabend im Braunschweiger Dom aufmerksam gemacht.
„Gott wohnt in einem neugeborenen Kind in einem Futtertrog.“ Gewöhnlich, so Meyns, suchten Menschen Gott „irgendwo oben“. Aber Gott setze sich nicht auf den Thron, den wir ihm hinstellen: „Um Gott zu finden, muss ich mich bücken.“ Er sei bei uns in unserem Alltag und stelle „so ziemlich alles auf den Kopf, was wir Menschen von Gott zu wissen meinen“.
Weihnachten, so der Landesbischof weiter, sei das Fest der Liebe Gottes zu den Menschen. Diese Liebe halte sich nicht damit auf, wer Schuld hat, sondern sie frage danach, was helfe, damit Menschen ein neues Leben anfangen können und die Welt sich zum Besseren wendet: „Wir geben die Welt nicht auf; wir setzen uns ein für das Gemeinwohl; im eigenen Land und für Menschen in anderen Ländern; wir stehen den Opfern von Krieg und Gewalt bei; wir setzen uns ein für die Aussöhnung von Feinden; wir bekämpfen Armut und globale Ungerechtigkeiten; wir bewahren die Schöpfung.“
Weihnachtspredigt von Landesbischof Meyns im Braunschweiger Dom im Wortlaut
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
In meiner Zeit als Gemeindepastor kam einmal im Jahr eine Gruppe aus dem Kindergarten in die Kirche, um sie zu besichtigen. Ich habe ihnen dann immer erklärt, was es zu sehen gibt: Taufbecken, Altar, Kanzel, Chorgestühl, Epitaphien, Wandbilder. Sie durften in die Orgel hinein- krabbeln und sich die Orgelpfeifen anschauen. Wir sind auf den Turm gestiegen, haben die mächtigen Glocken aus nächster Nähe angeschaut und von ganz oben weit über das Land geblickt. In einem Jahr frag- te mich ein Kind am Anfang der Führung ehrfurchtsvoll: „Wohnt hier Gott?“
Was hätten Sie gesagt? Wohnt Gott hier in dieser Kirche? Kaiser Augus- tus und Statthalter Quirinius hätten auf diese Frage wohl mit „Ja“ geant- wortet. Sie waren fest davon überzeugt, dass die Götter in den Tempeln wohnten, die ihnen zu Ehren geweiht waren. Joseph und Maria hätten vielleicht geantwortet: „Ja und Nein.“ Denn nach jüdischer Vorstellung ist Gott unsichtbar und allgegenwärtig. Aber im Tempel in Jerusalem wurde er zu ihrer Zeit in besonderer Weise verehrt. Die Weihnachtsge- schichte antwortet mit „Nein“. Gott wohnt nicht in einer Kirche oder einem Tempel. Gott wohnt in einem neugeborenen Kind in einem Futtertrog. Er wohnt in einem Stall. Er wohnt auf dem Feld bei den Hürden, wo die Hirten ihre Schafe hüten.
Damit ist so ziemlich alles auf den Kopf gestellt, was wir Menschen von Gott zu wissen meinen. Ein Zimmermann und seine junge Frau, keine vornehme Familie; eine Futterkrippe, kein weiches Himmelbett; ein Stall, kein Palast; Hirten auf dem Feld, kein Kaiser und kein Statthalter, keine besondere Festzeit, sondern mitten im Alltag. Das göttliche Licht verborgen inmitten der Dunkelheit der Nacht in einem kleinen Ort am Rande des Römischen Reiches, nicht in der Mitte Tages, für alle Welt sichtbar in der Hauptstadt Rom.
Gewöhnlich suchen Menschen Gott irgendwo oben. Aber Gott setzt sich nicht auf den Thron, den wir ihm hinstellen. Er überrascht Menschen. Er kommt in die Nacht, in den Stall, in den Futtertrog, auf das Feld. Er kommt mitten in unseren Alltag. Er steht neben uns beim Zähneputzen, sitzt mit am Frühstückstisch, geht mit auf dem Weg zur Schule und zur Arbeit, er ist bei den Verliebten und auf der Intensivstation. Er schaut mit mir zusammen Nachrichten. Und ... er ist auch in den Momenten bei mir, in denen ich mich von allen guten Geistern verlassen fühle.
Wie finde ich also Gott? Jedenfalls nicht, wenn ich nach oben schaue auf das Erhabende und Glänzende. Um Gott zu finden, muss ich mich bücken.
Ich stelle mir vor: Wir alle sitzen draußen mit den Hirten auf das Feld bei Schafen. Und plötzlich wird es taghell. Und aus dem Licht tritt ein Engel und der sagt: „Fürchtet euch nicht!“ Das ist genau der Satz, den ich brauche: „Fürchte dich nicht!“ Den habe ich schon letztes Jahr gebraucht. Aber ich brauche ihn auch dieses Jahr. Er nimmt mir die Angst. Er sagt mir: Lass dich nicht unterkriegen. Halte stand. Bewahre dir deine Zuversicht. Und hör nicht auf zu hoffen, dass Frieden und Gerechtigkeit siegen werden. Und der Engel fährt fort: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geborgen.“ Worüber sollen wir uns freuen? Dass Gott Mensch geworden ist, dass Gott sich klein gemacht gemacht hat, dass ich vor Gott keine Angst zu haben brauche.
Im Stall von Bethlehem hat Gott die Menschen überrascht. Und als Erwachsener macht Jesus da weiter, wo er als neugeborenes Kind an- gefangen hat. Er folgt seinem Herzen. Er ist unglaublich frei. Und er macht andere frei: Kranke, Sünder, Zöllner, Prostituierte. Er überschreitet Grenzen. Er hält sich nicht an Gebote, wenn sie der Liebe im Weg stehen. Weihnachten feiern wir den Anfang dieser Liebe, eine Liebe, die den Menschen nicht festnagelt. Sie hält sich nicht damit auf, wer Schuld hat, sondern sie fragt danach, was helfen kann, dass Menschen aus der Situation herauskommen und ein neues Leben anfangen.
Diese Liebe verbindet uns Christen miteinander. An ihr halten wir fest und sagen: Wir geben die Welt nicht auf; wir setzen uns ein für das Gemeinwohl; im eigene Land und für Menschen in anderen Ländern; wir stehen den Opfern von Krieg und Gewalt bei; wir setzen uns ein für die Aussöhnung von Feinden; wir bekämpfen Armut und globale Ungerechtigkeiten; wir bewahren die Schöpfung.
Wie feiert man richtig Weihnachten? Vater Hoppenstedt schlägt vor bei Loriot: „Erst wird der Baum fertig geschmückt, dann sagt Dicki ein Ge- dicht auf, dann holen wir die Geschenke rein, dann sehen wir uns die Weihnachtssendung im Ersten Programm an, dann wird ausgepackt, und dann machen wir es uns gemütlich.“ Seine Frau widerspricht: „Nein Wal- ter, erst holen wir die Geschenke rein, dann sagt Dicki ein Gedicht auf und wir packen die Geschenke aus, dann machen wir erstmal Ordnung und dabei schauen wir Fernsehen und dann machen wir es uns gemütlich.“ Darauf wieder ihr Ehemann: „Oder wir sehen uns erst die Weihnachts- sendung im Dritten Programm an, packen dabei die Geschenke aus und machen es uns dann gemütlich.“ So könnte es klappen: Ein Fest braucht Rituale. Aber wäre schon schön, wenn ein Fest von Anfang an gemütlich ist.
Dabei kann man auch zu viel planen. Wie der amerikanische Autor John Steinbeck schreibt: „Was Feste ihrem Wesen nach ausmacht, ist bis jetzt noch nicht komplett erforscht. Aber so viel ist klar: Feste sind unnormal. Und jedes Fest ist auf seine eigene, höchst individuelle Weise abgedreht. Auch verläuft kein Fest so, wie es von denen geplant oder beabsichtigt war, die dazu eingeladen haben. Die Ausnahme bilden Feste, die Gastgeber bis ins Letzte durchorganisieren und sklavisch kontrollieren. Dabei kommt am Ende eine Veranstaltung heraus, die so lebendig ist wie eine Verstopfung.“
Solche Feste habe ich auch schon erlebt. Aber Weihnachten wird gerade schön, wenn nicht alles perfekt ist, wenn Raum ist für Tradition und Rituale, aber auch für Ungeplantes und Unerwartetes. Denn auch Gott ist mit seiner Liebe überraschend in unsere Welt gekommen. Daran lassen wir uns mit der Weihnachtsgeschichte erinnern. Dafür versammeln wir uns in unseren Kirchen zum Gottesdienst. Dafür danken wir Gott in Liedern und Gebeten. Darum dürfen wir um seinen Segen für unser Leben bitten, dass er es umfange mit seiner Liebe auch und gerade dort, wo wir ihn am wenigsten erwarten.
Ihnen allen von Herzen ein gesegnetes Weihnachtsfest. Amen.
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