Wolfenbüttel. Nur 80 Zentimeter unter der Reichsstraße lagen rund 400 Jahre die Überreste Wolfenbütteler Bürger. Menschen, die zwischen 1600 und 1750 ihre letzte Ruhe auf dem ehemaligen Bürger-Friedhof der Hauptkirche fanden. Im Zuge der Kornmarkt-Bauarbeiten wurden Teile des Friedhofs freigelegt.
In mühseliger Kleinarbeit legt Archäologin Nadine Gola das Skelett frei. Foto: Anke Donner)
Seit rund zwei Wochen sind die Spezialisten der Firma Arcontor aus Destedt dabei, die Grabstätten zu untersuchen und die dort Bestatteten freizulegen. Neun der schätzungsweise 25 Parzellen wurden bereits geöffnet. Je Parzelle, oder Familiengrabstätte, sind meist zwei oder mehr Personen bestattet. Manchmal sind auch Einzelgräber zu finden. „Vermutlich sind hier Bürger begraben, die zur damaligen Zeit etwas mehr Geld hatten. Denn, je dichter ein Grab an der Kirche war, desto teurer ist die Grabstelle. Es gibt also Gräber, die noch teurer waren, weil sie noch dichter an der Kirche lagen“, sagt Grabungstechniker Marcel Kaulich und zeigt eine alte Übersichtskarte. Auf der ist zu sehen, wie der Friedhof im 17. und 18. Jahrhundert angelegt war. Laut der Skizze zieht sich der Friedhof einmal um die Kirche. Auch Teile des Pfarrhauses, in dem Pastor Abelman um 1740 lebte, wurden bei den Arbeiten gefunden.
Die Ausgrabung brachte bisher neun Grabstätten zum Vorschein. Darunter eine Frau mit einem Säugling, der noch im Geburtskanal der Frau steckte, sowie ein Kleinkind. „Vermutlich ist die Frau noch während des Geburtsvorgangs gestorben und wurde mit dem ungeborenen Kind beigesetzt“, erklärt Marcel Kaulich.
Derzeit arbeiten die Archäologen an der zehnten Grabstätte und suchen nach weiteren Skeletten. Die Archäologin Nadine Gola entfernt die Erdschichten mit einer Kelle und trägt Stück für Stück die Erde ab. Sie kann den Ort der Suche in etwa eingrenzen, da noch die Umrisse des Holzsarges, sowie die Sarggriffe erkennbar sind. „Es sieht ganz aus, als würde auch in diesem Sarg noch der Bestattete liegen. Es kann nämlich auch durchaus sein, dass die Särge leer sind, weil man den Inhalt schon einmal entfernt oder umgebettet hat. In diesem Fall scheint das Skelett aber noch vorhanden zu sein“, so der Archäologe Jörg Weber.
Das Skelett eines Familienvaters ist gut erhalten. Foto: Anke Donner)
Grabstätte einer vierköpfigen Familie
Nach rund fünf Stunden ist das Skelett dann zur Hälfte geborgen. „Das war ein ganz schönes Stück Arbeit“, sagt Nadine Gola, die die Stelle bearbeitet. „Wir gehen davon aus, dass der Mann zu der Frau und den Kindern daneben gehört. Es handelt sich also um das Grab einer vierköpfigen Familie“, so Jörg Weber.
Das Skelett des Mannes ist recht gut erhalten, Gliedmaßen und Schädel sind zwar etwas in Mitleidenschaft gezogen, aber dennoch ist klar zu erkennen, dass hier einmal ein Mensch bestattet wurde. Archäologe Jörg Weber nimmt einen Zollstock zur Hand, misst den Sarg ab und kann anhand dessen Länge grob die Größe des Mannes abschätzen. „Genau können wir das natürlich erst sagen, wenn wir den Fund vollständig geborgen haben. Aber ich schätze, dass der Mann zirka 1,75 Meter groß war“, so Weber.
Der Plan zeigt, wo sich die Parzellen befinden. Anhand von Nummern könnte sich bestimmen lassen, wer im Grab bestattet wurde. Foto: Anke Donner)
Alte Pläne könnten Aufschluss geben
Die Pläne, die die Archäologen zur Hilfe nehmen, könnten Hinweise auf die Menschen geben, die dort vor der Hauptkirche begraben wurden. „Auf dem Plan sind die Parzellen aufgeführt und die dazugehörigen Namen befinden sich in einem Register. So können wir vielleicht sagen, wessen Grab wir freigelegt haben. Genau wissen wir das jedoch nicht. Auch die Grabplatten, die heute an der Kirchwand hängen könnten zu den Gräbern gehören“, erklärt Weber und zeigt, dass laut Plan an dieser Stelle der Kammersekretär liegen muss. Ihm könnten also die Gebeine gehören, die nun freigelegt wurden.
Die Ausgrabungen sollen fortgeführt werden. Foto: Anke Donner)
Arbeiten werden fortgeführt
So lange die Bauarbeiten andauern, werden die Spezialisten noch weiter nach Funden suchen. "Wir werden allerdings nur die Stellen untersuchen, die im Rahmen der Bauarbeiten geöffnet werden. Obwohl es gut sein kann, dass sich der Friedhof noch weiter ausweitet. Vermutlich sogar bis zum Parkplatz und auf dem gesamten Kirchengelände. Teile von Sargrändern, die in Richtung Kirche unter dem Weg liegen, kann man schon erkennen. Wir werden uns aber nur auf den Streifen zwischen der Kleinen und der Großen Kirchstraße beziehen", erklärt Weber.
Was aus den Funden wird, können die Archäologen noch nicht genau sagen. Zunächst werden sie noch einmal genau begutachtet, gereinigt und dokumentiert. "Vielleicht werden sie anthropologisch untersucht. Auch eine spätere Bestattung an einem anderen Ort ist nicht ausgeschlossen", so Nadine Gola.
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