Wolfenbüttel. Im Landkreis Wolfenbüttel besteht weiterhin ein hoher Bedarf an Pflegefamilien – sowohl in der kurzfristigen Bereitschaftspflege als auch in der längerfristigen Vollzeitpflege. Die bestehenden Pflegestellen stoßen zunehmend an ihre Grenzen, dringend werden weitere Familien gesucht, die sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe stellen.
Viele Kinder im Landkreis benötigen Unterstützung – beispielsweise aufgrund von Trennung, Krankheit oder Überforderung der leiblichen Eltern. In solchen Fällen bleibt oft nur der Weg in eine Pflegefamilie, sei es vorübergehend oder dauerhaft. Doch die Kapazitäten sind nahezu ausgeschöpft, wie Landkreis-Sozialdezernent Bernd Retzki, Dr. Adina Küchler-Hendricks (Leitung Jugend- und Erziehungshilfe), Arian Kurze (Teamleitung Pflegekinderdienst), Sabine Walter (Leiterin des Jugendamts Wolfenbüttel) sowie weitere Vertreterinnen und Vertreter des Pflegekinderdienstes kürzlich im Gespräch mit regionalHeute.de berichteten.
Pflegefamilien: Das letzte Mittel
„Unser Ziel ist immer, Kinder möglichst in ihren leiblichen Familien zu belassen. Nur wenn es wirklich nicht anders geht, streben wir eine Unterbringung in einer Pflegefamilie an“, betont Dr. Adina Küchler-Hendricks.
Doch in einigen Fällen ist die Herausnahme unvermeidbar – insbesondere, wenn das Kindeswohl akut gefährdet ist und alle Unterstützungsmöglichkeiten wie die sozialpädagogische Familienhilfe ausgeschöpft wurden. Die Kriterien für eine solche Entscheidung sind klar definiert. Meist zeigen sich die betroffenen Familien dankbar für die Unterstützung und nehmen Hilfsangebote an. Doch es gibt auch Eltern, die sich der Zusammenarbeit verweigern. In diesen Fällen wird sorgfältig geprüft, ob das Kind trotzdem gut versorgt ist, etwa durch den positiven Einfluss von Kita oder Schule. Dann erhält die Familie noch einmal eine letzte Chance – verbunden mit einem klaren Zeitrahmen und einer Vereinbarung, innerhalb derer eine Verbesserung eintreten muss. Tritt diese nicht ein, bleibt als Konsequenz nur die Fremdunterbringung.
Bereitschaftspflege: Hilfe in akuten Krisen
Kommt es dazu, unterscheidet das Jugendamt zwischen Bereitschaftspflege und Vollzeitpflege. Die Bereitschaftspflege ist für kurzfristige, oft sehr spontane Krisenunterbringungen gedacht. Pflegefamilien müssen flexibel und rund um die Uhr bereit sein, ein Kind aufzunehmen – häufig auch nachts oder am Wochenende. Hierfür verfügt der Landkreis über eine Liste von Bereitschaftspflege- und Krisenfamilien, auf die der Allgemeine Soziale Dienst jederzeit zurückgreifen kann. Dennoch reicht die Zahl dieser Familien bei weitem nicht aus, um alle akuten Fälle zeitnah und regional möglichst wohnortnah abdecken zu können.
Vollzeitpflege: Ein dauerhaftes Zuhause schaffen
Die Vollzeitpflege hingegen verfolgt eine langfristige Perspektive. Kinder sollen dauerhaft in einer neuen Familie leben. Der Übergang erfolgt dabei behutsam: Die Kinder lernen die Pflegeeltern schrittweise kennen, parallel finden begleitete Umgangskontakte mit den leiblichen Eltern statt. Erst wenn alle Beteiligten sich sicher fühlen, wird das Kind vollständig in die neue Familie integriert. Dabei wird streng darauf geachtet, die Pflegefamilien nicht zu überfordern. Die Anzahl der dort bereits lebenden Kinder sowie deren Altersstruktur werden ebenso berücksichtigt wie die Belastbarkeit der Pflegeeltern.
Zusätzliche Herausforderungen ergeben sich bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen, Traumata oder Beeinträchtigungen. Hier wird genau geprüft, welche Pflegefamilie über die notwendige Stabilität, Erfahrung und Unterstützungsstruktur verfügt. „Wir sind dankbar für jede Familie, die Kindern ein Zuhause geben möchte. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass die jeweilige Familiensituation auch langfristig tragfähig bleibt“, betont das Jugendamt.
Herausforderung: Geschwisterkinder gemeinsam unterbringen
Ein großes Thema ist die Unterbringung von Geschwisterkindern. Der Landkreis Wolfenbüttel verfolgt stets das Ziel, Geschwister nicht zu trennen. In der Praxis ist dies jedoch nicht immer möglich – zum Beispiel wegen Altersunterschieden, individuellen Belastungen oder weil die Pflegefamilie nur begrenzte Kapazitäten hat. Dennoch konnten in der Vergangenheit auch größere Geschwistergruppen gemeinsam vermittelt werden, was das Jugendamt als großen Erfolg wertet.
Auch die Altersstruktur der Kinder spielt eine Rolle bei der Vermittlung: Manche Pflegefamilien spezialisieren sich auf bestimmte Altersgruppen, beispielsweise auf Säuglinge und Kleinkinder bis drei Jahre, andere auf Grundschulkinder oder Jugendliche. Das Jugendamt berücksichtigt diese Präferenzen bei jeder Vermittlung individuell – entweder durch direkte Anfragen beim Pflegekinderdienst oder über die regelmäßig aktualisierte Krisenfamilienliste.
Aktuell befinden sich im Landkreis Wolfenbüttel 108 Kinder unter 18 Jahren in Vollzeitpflege sowie 9 Kinder in Bereitschaftspflege. Sollte ein weiterer Betreuungsbedarf entstehen, müsste verstärkt auf alternative Unterbringungsformen zurückgegriffen oder in anderen Landkreisen nach freien Plätzen gesucht werden. Doch auch dort gibt es ähnliche Engpässe, wie Dr. Küchler-Hendricks erklärt. Als weitere Option stehen stationäre Einrichtungen oder Erziehungsstellen zur Verfügung. Hierfür hat der Landkreis Wolfenbüttel vorsorglich Plätze eingekauft.
So können Interessierte Pflegefamilie werden
Umso wichtiger ist es, neue Pflegefamilien zu gewinnen – insbesondere im Bereich der Bereitschaftspflege, aber auch für die Vollzeitpflege. „Wir können gar nicht genug Bereitschaftspflegefamilien haben“, heißt es aus dem Jugendamt. Je mehr Familien zur Verfügung stehen, desto besser und schneller können in Krisensituationen geeignete Entscheidungen getroffen werden.
Gesucht werden Familien, Paare oder Einzelpersonen, die Zeit, Geduld und ein stabiles Umfeld bieten können, ausreichend Wohnraum haben und zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt sowie der Herkunftsfamilie bereit sind. Denn ein wesentlicher Bestandteil der Pflege ist der fortbestehende Kontakt zu den leiblichen Eltern, wenn dies dem Kindeswohl dient.
Interessierte können sich über ein Antragsverfahren bewerben. Dabei spielt der Familienstand keine Rolle: Ob verheiratet, alleinstehend oder in einer Lebenspartnerschaft – auch gleichgeschlechtliche Paare sind willkommen. Wichtig sind Freude am Zusammenleben mit Kindern, Humor, Einfühlungsvermögen, psychische und physische Belastbarkeit sowie gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse. All diese Voraussetzungen werden vorab sorgfältig geprüft – ein Prozess, der Zeit in Anspruch nimmt.
Der Pflegekinderdienst des Landkreises begleitet interessierte Personen umfassend: von der Eignungsfeststellung über Schulungen bis hin zu Beratung und fachlicher Begleitung im Pflegealltag. Zudem unterstützt er bei Förderangeboten, Umgangskontakten zu den Herkunftsfamilien sowie in allen Fragen rund um das Pflegegeld.
Der Landkreis Wolfenbüttel und das Jugendamt rufen ausdrücklich dazu auf, Pflegefamilie zu werden – unabhängig von Familienstand oder sexueller Orientierung. Die Aufgabe sei herausfordernd, aber auch sehr wertvoll für Kinder in schwierigen Lebenslagen.