Wolfenbüttel. Heute wurde der 15. Band der Reihe „Beiträge zur Geschichte der Stadt Wolfenbüttel“ im Rathaus der Lessingstadt vorgestellt. Unter dem Titel „Fahnenwechsel“ gibt Autor Markus Gröchtemeier einen differenzierten Einblick in die Wolfenbütteler Zeit des Nationalsozialismus und dessen Mechanismen in den Jahren von 1933 bis 1948.
„An die dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte zu erinnern, zählt zu den wichtigen Aufgaben unserer Generation“, betont Wolfenbüttels Bürgermeister Thomas Pink bei der Vorstellung des Buches „Fahnenwechsel – Nationalsozialismus und britische Besatzung in Wolfenbüttel 1933–1948“ von Autor Markus Gröchtemeier. Mit dem 15. Band der Reihe „Beiträge zur Geschichte der Stadt Wolfenbüttel“ werde, so Bürgermeister Thomas Pink, auch Neuland betreten. Neu für Wolfenbüttel sei der Ansatz, den Untersuchungszeitraum nicht mit der Kapitulation enden zu lassen, sondern den Übergang in die durch britische Besatzungspolitik geprägte Nachkriegszeit zu skizzieren. Zur Wolfenbütteler Nachkriegsgeschichte sei bisher wenig publiziert worden.
Persönliche Dokumente und Archivmaterial
Mit dem jetzt vorliegenden Buch werde die von Zäsuren geprägte Wolfenbütteler Stadtgeschichte fortgeschrieben. Es basiere auf persönlichen Dokumenten und Aktenmaterial aus Archiven in Wolfenbüttel, Hannover und Berlin, die in Publikationen bisher wenig oder gar nicht Berücksichtigung gefunden hätten, und gewähre so einen neuen Einblick in die NS-Zeit und in die Nachkriegsgesellschaft, erklärt Autor Markus Gröchtemeier.
Das 376-seitige Werk ist im gesamten deutschen Buchhandel zum Preis von 19,90 Euro erhältlich. Foto:
Wolfenbüttel schon früh "braune Hochburg"
Die Stadt Wolfenbüttel spiele eine Rolle, wenn es um den Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in Deutschland geht. Überzeugt von der Ideologie der späteren Hitlerpartei hätten Wolfenbütteler Bürger um den Buchhändler Hugo Schumacher im Herbst 1922 in einer Privatwohnung die erste NSDAP-Ortsgruppe des Landes Braunschweig aus der Taufe gehoben - eine der ersten nationalsozialistischen Parteigründungen außerhalb Süddeutschlands.
"Die Stadt entwickelte sich relativ früh zu einer braunen Hochburg", erklärt Bürgermeister Thomas Pink. Auch im Buch ist zu lesen, dass die Wolfenbütteler Zivilbevölkerung schon lange vor der Machtergreifung für das Parteiprogramm der Nationalsozialisten empfänglich gewesen. Hitlers Helfern sei es gelungen, in Wolfenbüttel vor allem die Vertreter des Mittelstandes auf ihre Seite zu ziehen. Geradezu herausstechend sei, auf welch höchst brutale Art und Weise die örtliche NS-Elite – unterstützt durch die Schläger der SS und SA – bei der Herrschaftseroberung die politischen Gegner an der Oker aus dem Weg geräumt hätten.
Unbekannten Opfern eine Stimme geben
„Auf breiter Quellenbasis und mit bisher unberücksichtigten autobiografischen Dokumenten habe ich in diesem Buch versucht, Themen und historische Ereignisse aufzugreifen, die in der lokalen Forschungs- und Erinnerungsarbeit zur NS-Zeit bisher keine oder nur wenig Berücksichtigung gefunden haben. Ich hoffe, dass dieses Buch bisher unbekannten Opfern eine Stimme gibt. Es spiegelt darüber hinaus die Denunziationsgesellschaft einer Stadt wider, in der 1922 die erste NSDAP-Ortsgruppe im Land Braunschweig gegründet wurde“, betont Markus Gröchtemeier.
Plakate wie dieses hatte die NSDAP in ganz Deutschland angebracht. Foto:
Unter die Lupe genommen werde in diesem Buch aber auch die jüdische Bevölkerung als das größte Opfer nationalsozialistischer Herrschaft. „Ich habe versucht, insbesondere den Ablauf der Beraubung der Wolfenbütteler Juden durch den deutschen Fiskus und ihr Leben in den Judenhäusern in der Langen Straße und der Karrenführerstraße zu skizzieren und mehr Details über den Verfolgungsprozess herauszufinden, der zum Holocaust führte“, so Gröchtemeier. Mit Hilfe von Lebenserinnerungen politisch Verfolgter und Kriegsflüchtlingen aber auch Tageszeitungen sei eine detaillierte Rekonstruktion der letzten Monate des NS-Regimes gelungen, das bis zum Kriegsende am 11. April 1945 an der Macht festhielt und von der Wolfenbütteler Bevölkerung, wie anderswo im Deutschen Reich, nicht gestürzt wurde.
Stadtgeschichte für Leser direkt erlebbar
Erschienen ist das Buch bei der CW Niemeyer Buchverlage GmbH aus Hameln. „Als Traditionsverlag verstehen wir die geschichtliche Aufarbeitung dieser Epoche als unseren Kulturauftrag. Es ist uns wichtig, dem Leser historische Ereignisse in verständlicher gut recherchierter Form präsentieren zu können. Insofern schätzen wir die Arbeit von Markus Gröchtemeier, dem es gelungen ist, aus unterschiedlichsten Quellen und bisher unberücksichtigten Dokumenten ein beeindruckendes Werk zu schaffen, das als Besonderheit auch die Nachkriegszeit der Stadt Wolfenbüttel mit einbezieht. Aus einzelnen Fragmenten ist es Markus Gröchtemeier gelungen, die Stadtgeschichte für den Leser nachvollziehbar zu erleben. ,Fahnenwechsel‘ vermag dabei einen umfassenden, übersichtlichen Einblick in eine Zeitspanne zu geben, die zu Recht als ein erinnerungswürdiges Kapitel der Wolfenbütteler Geschichte bezeichnet werden kann“, erklärt Verleger Carsten Holzendorff.
„Ich bedanke mich bei Bürgermeister Thomas Pink, dass er die Forschungsarbeit in dieser Form ermöglicht hat, und beim Verlag CW Niemeyer für die wunderbare Gestaltung des Werkes und die Professionalität“, so der Autor.
"Demokratie ist nicht Gott gegeben"
Das 376-seitige Werk ist im gesamten deutschen Buchhandel (ISBN 978-3-8271-9261-5) zum Preis von 19,90 Euro erhältlich. Die Stadt Wolfenbüttel als Schulträger stellt Lehrkräften an ihren weiterführenden Schulen zur Ergänzung ihres Geschichtsunterrichtes das Buch zur Verfügung. "Demokratie ist nicht Gott gegeben - sie muss immer wieder erstritten werden. Diejenigen, die einfache Antworten auf schwierige Frage haben, führen Menschen oft in die Irre. Ihr Gedankengut bildet häufig die Grundlage für Ungerechtigkeiten", erörtert Bürgermeister Thomas Pink die Relevanz des Buchs für die junge Bevölkerung. "Jugendliche haben mit diesem Buch die Möglichkeit ihre Stadt auf einzigartige Weise zu dieser Zeit zu erleben", pflichtetVerleger Carsten Holzendorff bei. Bei Interesse können sich die Fachlehrer an das Kulturbüro, Sylvia Matysik, unter der Rufnummer 05331 86-446 wenden. Weiterhin wird das Buch in Kürze sowohl in der Stadtbücherei als auch im Bücherbus ausleihbar sein.
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