In unserem Mehrteiler "Flucht nach Wolfenbüttel", erzählen wir die dramatische Geschichte der syrischen Familie Hmedi, die vor dem Bürgerkrieg und den Gewalttaten des Islamischen Staates in ihrem Land floh, von ihrer Erfahrung mit Schleusern und ihrem Leben als Flüchtlinge in Wolfenbüttel. Heute: Teil 1.
Ali Hmedi hat einen sicheren Händedruck. Er ist 57 Jahre alt, hat eine Familie mit vier Kindern und ist Facharzt im Bereich der Dermatologie. Es ist Menschen nicht immer anzusehen, durch was sie durchgegangen sind. Besonders dann, wenn sie freundlich zur Begrüßung lächeln, ist schwer vorstellbar, was und wie viel sie schon verloren haben.
Ali Hmedi kommt aus Syrien. Er ist vor der al-Nusra-Front und dem Islamischen Staat geflohen, um unter Verlust seines alten Lebens, sich selbst und seine Familie zu retten. Seine Flucht dauerte insgesamt über zwei Jahre. Dementsprechend ist seine Geschichte genau so lang, wie verstörend und mitreißend und weil sie von nun an in Wolfenbüttel ihren Lauf nimmt, gehört sie ganz wesentlich zu unserer Region.
Das Leben vor dem Bürgerkrieg
Nach seinem Medizin-Studium in Damaskus, arbeitete Hmedi unter anderem im Libanon, Irak und Lybien als Dermatologe, bis er im Jahr 1995 nach Damaskus zurückkehrte um in dem Stadtteil Zamalka eine Poliklinik zu eröffnen. Auf die Frage, ob Hmedi dem sunnitischen oder dem schiitischen Glaubenszweig des Islams angehöre, schaute er etwas irritiert und erklärte: „Für mich gab es diesen Unterschied nie. Wir haben nie zwischen Christen, Alawiten, Schiiten oder Sunniten unterschieden, an der Uni haben wir immer alle wie eine Familie zusammengelebt, bis diese Unmenschen kamen und die Gesellschaft nach ihrem Glauben getrennt hat.“ Dann wurde es kurz ruhig. Hmedi suchte sichtlich nach Fassung, als er traurig flüsterte: „Wir hatten ein schönes Leben.“
Die Klinik wird zum Scharia-Gericht
Als die al-Nusra-Front in Zamalka einzog, brach für die Menschen vor Ort plötzlich der Krieg aus. „Die Menschen waren nicht darauf vorbereitet“, sagte Hmedi. Es habe keine Bunker gegeben oder Orte, an die man sich zurückziehen konnte und an denen man sicher war. Stattdessen entschieden sich viele dazu, die Stadt zu verlassen. So auch Hmedi. Im Juli 2012 verbrachte er den letzten Arbeitstag in seiner Poliklinik, die, wie er später erfuhr, in den Händen der Islamisten schon bald zu einem Scharia-Gericht umfunktioniert wurde. Wo Hmedi und seine Kollegen früher versuchten Menschen zu helfen, wurden plötzlich sogenannte "Ungläubige" zum Tode verurteilt. Immer wieder betitelte Hmedi die Islamisten mit den arabischen Worten, die übersetzt "Diese Unmenschen" bedeuten. Mehrfach betonte er: „Das sind keine Moslems! Ich möchte, dass alle wissen, dass diese Unmenschen nichts mit dem Islam zu tun haben. Sie haben keine Ahnung, was der Islam bedeutet.“
Der Entschluss zur Flucht
„Assad ist ein Diktator“, so der Mediziner, „aber das war immer noch besser, als diese Islamisten. Man konnte wenigstens arbeiten und hatte ein angenehmes Leben, solange man sich aus der Politik herausgehalten hat.“ Nachdem Hmedi seinen Job und seine Heimat aufgegeben hatte, zog er mit seiner Familie in eine Wohnung eines Stadtteils, in dem der Bürgerkrieg noch nicht angekommen war. Er erzählte, dass die meisten Menschen davon ausgingen, dass sie nach einigen Wochen wieder in ihr Zuhause zurückkehren könnten. Hmedi verbrachte allerdings ein ganzes Jahr mit seiner Familie in der Zweitwohnung. Erst als zwei seiner Töchter beinahe von den Islamisten entführt worden waren und das Haus, in der die neue Familienwohnung lag, zerschossen wurde, entschied er sich, Syrien so schnell wie möglich zu verlassen.
Teil 2
Wie Ali Hmedi bei seiner Flucht aus Syrien von Schleusern ausgenutzt, betrogen und schließlich zurückgelassen wurde, lesen Sie in unserem zweiten Teil, hier auf RegionalWolfenbüttel.de.
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