Wolfenbüttel. Es gibt Orte, an denen das Leben stillsteht. Orte, an denen die Zeit sich nicht in Minuten misst, sondern in Erinnerungen, in Tränen, in kleinen Gesten der Liebe. Friedhöfe sind solche Orte. Sie sind nicht nur Ruheplätze für Verstorbene, sondern auch Zufluchtsorte für die Hinterbliebenen - Räume, in denen Trauer sichtbar werden darf, in denen das Herz laut weinen und die Seele atmen kann.
Doch was passiert, wenn ausgerechnet an diesen Orten die Bürokratie über die Menschlichkeit siegt? Wenn Regeln und Verordnungen die letzte Verbindung zu geliebten Menschen kappen?
Die Stadt Wolfenbüttel hat entschieden: Ab dem 5. Januar 2026 werden "nicht erlaubte persönliche Beigaben" auf Gemeinschaftsgrabanlagen und Dauerreihengrabstätten entfernt. Engelsfiguren, Kerzen, Blumen - alles, was nicht in die satzungsgemäße Ordnung passt, soll verschwinden. Die Begründung? Ein "würdiges und gepflegtes Erscheinungsbild".
Doch wer definiert, was würdig ist? Wer entscheidet, was Trost spendet und was nicht? Ein Leser, der sich an die Redaktion von regionalHeute.de wandte, bringt es auf den Punkt: "Wir sprechen hier nicht über beliebige Grünflächen oder dekorative Ordnungsvorgaben. Wir sprechen über Gräber. Über Gedenkorte. Über Orte der Liebe, der Erinnerung und der Trauer."
Und genau hier liegt das Problem. Die Stadt argumentiert mit Recht und Ordnung, mit Satzungen und Gleichbehandlung. Doch Trauer ist nicht gleich. Sie ist so individuell wie die Menschen, die sie tragen. Für die einen ist es eine Kerze, die im Wind flackert. Für andere ein kleiner Engel, der Wache hält. Für wieder andere eine Blume, die im Winter Frost trotzt. Diese Gegenstände sind mehr als Dekoration - sie sind stumme Zeugen der Liebe, letzte Berührungspunkte mit denen, die nicht mehr da sind.
Die Stadt betont, dass es sich bei den betroffenen Gräbern um Gemeinschaftsanlagen handelt, für die keine individuellen Pflegeverträge bestehen. Das mag rechtlich korrekt sein. Doch was nützt eine rechtliche Korrektheit, wenn sie die Herzen der Menschen ignoriert?
Der Leser, der sich zu Wort meldete, spricht von Respektlosigkeit. Und er hat recht. Denn Respekt zeigt sich nicht in der Einhaltung von Paragrafen, sondern im Umgang mit den Hinterbliebenen. Eine Pressemitteilung als einzige Information reicht nicht aus. Wo bleibt das persönliche Gespräch? Wo bleibt die Möglichkeit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen?
Die Stadt sagt, sie nehme die "hohe emotionale Bedeutung" ernst. Doch Worte allein reichen nicht. Es braucht Taten. Es braucht Flexibilität. Es braucht den Mut, Regeln nicht als starre Grenzen zu sehen, sondern als Rahmen, der auch Platz für Menschlichkeit lässt.
Ein Friedhof sollte kein Ort der Gleichmacherei sein. Er sollte kein steriles Abbild von Ordnung sein, sondern ein Spiegel der Vielfalt des Lebens - und des Todes. Trauer ist nicht nüchtern. Sie ist laut und leise, bunt und schlicht, chaotisch und still. Sie passt nicht in Schema F.
Die Stadt Wolfenbüttel hat jetzt die Chance, umzudenken. Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch menschlich vertretbar. Vielleicht wäre ein Kompromiss möglich: klare Regeln, aber mit Raum für individuelle Gesten. Vielleicht könnte man Angehörige einbinden, statt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Vielleicht könnte man zeigen, dass Empathie kein Störfaktor ist, sondern das, was eine Stadt lebenswert macht. Denn am Ende geht es nicht um Engelsfiguren oder Kerzen. Es geht um die Frage: Wollen wir eine Stadt, die Trauer verwaltet - oder eine, die sie trägt?
Friedhof wird Ort der Bürokratie - Der Stadt mangelt es an Empathie
Die Stadtverwaltung ignoriert die Trauer von Menschen und beweist einen Mangel an Einfühlungsvermögen, meint regionalHeute.de-Chefredakteur Werner Heise und stellt die Frage: "Wollen wir eine Stadt, die Trauer verwaltet - oder eine, die sie trägt?"
Ein Kommentar von Werner Heise
Ein Kommentar von regionalHeute.de-Chefredakteur Werner Heise. | Foto: regionalHeute.de/Canva

