Gedenkgottesdienst: „Gegen das Vergessen“ in der St.-Petrus-Kirche


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Wolfenbüttel. Jedes Jahr am Dienstag in der Karwoche wird mit dem ökumenischen Gottesdienst „Gegen das Vergessen“ an die Opfer im Wolfenbütteler Strafgefängnis während der Zeit des Nationalsozialismus erinnert.

Die Kolpingfamilie Wolfenbüttel organisierte den Gedenkgottesdienst zusammen mit der Pfarrei St. Petrus, der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel und der Wolfenbütteler Gruppe von Amnesty International zum 21. Mal. Bürger der Stadt sowie politische Vertreter der Kommune waren eingeladen. 1995 gab die Wolfenbütteler Kolpingfamilie das Versprechen, an die Opfer in der Hinrichtungsstätte Wolfenbüttel von 1937 bis 1945 zu gedenken, damit das Vergessen nicht einzieht.

„Lebensrecht verwirkt“ – mit diesem vernichtenden und menschenverachtenden Ausspruch wird in diesem Jahr an das Schicksal des gerade einmal 18-jährigen Heinrich Erbstößer gedacht, der stellvertretend für die damals im Wolfenbütteler Strafgefängnis hingerichteten jungen Menschen steht.

Demütig dem Anlass entsprechend begann der ökumenische Gottesdienst wie immer mit dem Verlesen der Namen Hingerichteter. „Am 29. April 1943“, so die Leiterin der Gedenkstätte in der Wolfenbütteler Justizvollzugsanstalt, Martina Staats, „wurde Heinrich Erbstößer als jugendlicher Schwerverbrecher und Volksschädling zum Tode verurteilt und mit ihm noch drei Mitangeklagte.“ Erbstößer – als Heimkind aufgewachsen, als Wiederholungstäter abgestempelt, als Arbeitsvertragsbrüchiger und Dieb betitelt – hatte keine Chance: Fahrräder hatte er gestohlen, Gummistiefel, Geld und Lebensmittel. Aufgrund seiner drei vorsätzlichen Taten bekam der ‚gefährliche Gewohnheitsverbrecher’ keine mildernden Umstände.

Mechthild Ludwig-Mayer von der Kolpingfamilie Wolfenbüttel malte in ihren Predigtgedanken den tragischen Lebensverlauf des jungen Mannes aus, der ohne Fürsprecher, ohne Anwalt, ohne Geld und der Willkür ausgesetzt war. Hilfe für einen Neuanfang war ihm verwehrt geblieben. „Gekifft, geklaut, abgetrieben, . . . solche Grenzerfahrungen mit dem Wunsch, das Leben zu ändern, kommen bei Jugendlichen vor“, so Ludwig-Mayer. Erbstößer konnte nicht aus seinen Fehlern lernen und es blieb lediglich eine dünne Akte und ein handgeschriebener Lebenslauf von ihm. Kein Grab, keine Familie. Im Matthäus-Evangelium wird Jesaja mit passenden Worten zitiert: ‚Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen’.

Nach dem Gottesdienst nahmen viele Besucher die Gelegenheit wahr, sich im Roncalli-Haus der St.-Petrus-Kirche bei Tee und Fladenbrot auszutauschen, wozu die Kolpingfamilie herzlich einlud. Die Wolfenbütteler Gruppe von Amnesty International und Mitarbeiter der Gedenkstätte hatten jeweils ihren Informationsstand aufgebaut.


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