Jürgen Kumlehn: "Röhmann soll halsstarrige Diskriminierung durch Kirchen beenden"

von Marc Angerstein


| Foto: Privat



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Jürgen Kumlehn. Foto: Privat



Der selbsternannte Erinnerer Jürgen Kumlehn hat dem ehemaligen Wolfenbütteler Landrat, Staatssekretär Jörg Röhmann, einen offenen Abschiedsbrief geschrieben. Darin kritisiert er die "halsstarrige Diskriminierung von potentiellen Arbeitnehmern" durch kirchliche Arbeitgeber auch im Gebiet des Landkreises Wolfenbüttel. Röhmann solle, so Kumlehn,  in seiner Funktion als Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration etwas gegen diese Diskriminierung tun: "Ihr Ministerium ist als Kostenträger für kirchliche Einrichtungen maßgeblich zuständig. Daher bitte ich Sie im Rahmen Ihrer neuen Möglichkeiten, dahingehend Einfluss zu nehmen, dass dieses eigenständige und zu erheblichen Nachteilen für Nichtchristen führende Arbeitsrecht des Dritten Weges endlich abgeschafft wird."


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Staatssekretär Jörg Röhmann. Foto: Marc Angerstein



"Zum Beginn seiner neuen Tätigkeit in Hannover möchte ich unserem ehemaligen Landrat Jörg Röhmann ein paar Aufgaben, die auch den Landkreis Wolfenbüttel berühren, mit auf den Weg geben", so Jürgen Kumlehn gegenüber unserer Online-Zeitung. Röhmann hat heute in einem WolfenbüttelHeute.de-Interview zugesagt, Kumlehn in einem "geschlossenen Brief" zu antworten.

Wir veröffentlichen Jürgen Kumlehns offenen Abschiedsbrief - wie immer - ungekürzt und unkommentiert:
Sehr geehrter Herr Röhmann,

schade, dass Sie auf dem derzeitigen Höhepunkt der Asse-Diskussion ihr berufliches Engage-ment für den Landkreis Wolfenbüttel von einem Tag zum anderen aufgeben müssen. Wann Ihr Nachfolger die Arbeit aufnehmen kann und nach der Einarbeitung in seine Aufgaben als Landrat auch Ihren bisherigen Kenntnisstand zum Asse-Thema besitzt, ist bisher noch vollkommen ungewiss. Das macht mir Sorgen. So bleibt zur Zeit nur die Hoffnung, dass die führende Beteiligung des neuen Landrats in der Begleitgruppe so bald wie möglich erfolgen kann.

Zu Ihrer Ernennung zum Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration gratuliere ich Ihnen sehr herzlich. Für Ihre neue Aufgabe wünsche ich Ihnen viel Erfolg und vor allem die Gabe, Ihre Tätigkeit so zu gestalten, dass sie den Menschen direkt zugute kommt.

Ihre neue Aufgabe wird, da bin ich sicher, schon bald dazu führen, dass Sie zum Besuch sozialer Einrichtungen im Landkreis Wolfenbüttel eingeladen werden. Sie wissen ja, dass die hiesigen Einrichtungen der verschiedenen sozialen Aufgabengebiete auch verschiedene Träger haben. Und Sie haben sicherlich auch die Diskussionen in den Medien zu den Problemen verfolgt, die durch das eigenständige Arbeitsrecht - genannt der "Dritte Weg" - der christlichen Kirchen entstanden sind. Auch unsere Lokalpresse hat bereits darüber berichtet.

Die Christlichen Kirchen bieten in Deutschland ca. 1.3 Millionen Arbeitsplätze an. Es sind allerdings Arbeitplätze, die nicht allen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes offen stehen. Der Grund liegt darin, dass die Kirchen - hier vornehmlich die Caritas und die Diakonie - aufgrund ihres eigenständigen Arbeitsrechts nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einstellt, die einer der christlichen Kirchen angehören. Das heißt letztlich, dass 1,3 Millionen Arbeitsplätze z.B. Juden, Muslimen und Menschen, die nicht gläubig sein wollen, nicht zur Verfügung stehen. Zu beachten ist auch die Haltung der Kirchen gegenüber Mitarbeitern in ihren Einrichtungen, die zwar Mitglied der Kirchen sind, aber einen Glauben überhaupt nicht praktizieren. Das Prinzip der Kirche scheint hier weitgehend der Zwang zur Mitgliedschaft zu sein. Der Aspekt der sich mehrenden Kirchenaustritte und der, dass die Kirchenmitgliedschaft in den östlichen Bundesländern erheblich geringer ist als in den alten Ländern, kann nicht länger unbedacht bleiben. Glaubt man den Medienberichten, dann sind auch immer weniger junge Menschen Mitglied einer Kirche. Alle dieses Aspekte verringern den von den Kirchen betriebenen Sozialeinrichtungen die Möglichkeit, zukünftig genügend professionell ausgebil-dete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bekommen. Es besteht die Gefahr einer Qualitäts-verringerung.

Die Arbeitsplätze der Diakonie und der Caritas werden fast alle hundertprozentig vom Staat finanziert, also auch von Steuergeldern, die die o.g. "Ausgeschlossenen" quasi mitfinanzieren. Ich halte das für eine halsstarrige Diskriminierung. Dazu kommt, dass der Staat wegen des Arbeitsrechts der christlichen Kirchen keine Möglichkeit der Einflussnahme besitzt. Aus all den gerade von mir beschriebenen Verhältnissen entstehen ernste Probleme für die in den kirchlichen Einrichtungen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie ernst und zum Teil befremdlich sie sind, ist vor allem in den letzten Wochen in Berichten und Gesprächen im Radio und im Fernsehen deutlich geworden. Über Hannover wurde z.B. berichtet, dass das Ev. Johannesstift Berlin in Hannover katholische Caritasheime gekauft habe und die dort Beschäftigten nach dem geringeren Berliner Tarif bezahlen; alles unter den Augen des staatlichen Kostenträgers Sozialministerium. Da die Kirchen immer noch nicht merken wollen, dass ihre auf dem "Dritten Weg" beruhende "christliche Dienstgemeinschaft" nicht mehr unserer säkularen Gesellschaft, in der ja Staat und Kirche getrennt sein sollen, entspricht, müssen sie ernsthaft darauf hingewiesen werden, dieses besondere Recht endlich aufzugeben. Ein erster Schritt in diese Richtung ist ja bereits dadurch erfolgt, dass kirchliche Arbeitnehmer nun auch das Streikrecht erhalten haben - und, man glaubt es kaum, auch gewerkschaftliche Hilfe in Anspruch nehmen dürfen.

Vom Sozialministerium könnten die entsprechenden Initiativen ausgehen, um auch in den Kirchen das Arbeitsrecht des einundzwanzigsten Jahrhunderts einzuführen.

Ähnliche Problemdiskussionen entstehen auch in Einrichtungen hier im Landkreis Wolfenbüt-tel, zum Beispiel in der Firmengruppe Evangelische Stiftung Neuerkerode. Diese Holding inzwischen mehrerer GmbHs ist der größte Arbeitgeber in unserem Landkreis. Wie oben beschrieben, profitieren von diesen Arbeitsplätzen aber nur die Mitglieder christlicher Kirchen. Ein bestimmter Prozentsatz der Einwohner des Landkreises sind also von diesen staatlich finanzierten Arbeitsplätzen ausgeschlossen.

Ihr Ministerium ist als Kostenträger für diese Einrichtungen maßgeblich zuständig. Daher bitte ich Sie im Rahmen Ihrer neuen Möglichkeiten, dahingehend Einfluss zu nehmen, dass dieses eigenständige und zu erheblichen Nachteilen für Nichtchristen führende Arbeitsrecht des Dritten Weges endlich abgeschafft wird.

Nicht außer acht gelassen werden darf natürlich auch, dass Maßnahmen in den Einrichtungen zum Abbau von Personal wegen mangelnder Finanzierung durch die Sozialhilfeträger erfolgt. Wie sehr darunter die Betreuung und die Pflege alter und behinderter Menschen leidet, ist auch immer wieder ein öffentlich berichtetes und diskutiertes Problem.

Sehr geehrter Herr Röhmann, so sehr ich Ihren Weggang bedaure, fast so sehr freue ich mich, dass ein profilierter Vertreter unserer Region in Hannover nun in besonderer Regierungsver-antwortung steht. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! Hat das Foto vom verpackten Reichstag in Ihrem ehemaligen Büro eine symbolische Bedeutung?

Freundliche Grüße,

Jürgen Kumlehn, Erinnerer

Kumlehns Abschiedsbrief im Original veröffentlichen wir hier.  


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