KolumneHeute: Die Freiheit sich zum Narren zu machen

von Sina Rühland




Braunschweig. In Anbetracht der Tatsache, dass der Braunschweiger Karnevalsumzug aufgrund einer Anschlagwarnung am Vormittag abgesagt wurde, bekommt der Kontext dieser Kolumne eine weitaus relevantere Bedeutung. 

Aktualisiert (13.07 Uhr)


Unser größtes Gut ist die Freiheit. Als ich den Text geschrieben habe, war meine Intention eben diese zu verdeutlichen; ich wollte darauf hinaus, dass sich meine persönliche Definition von Freiheit nicht an Sinn oder Unsinn einer Veranstaltung orientiert, sondern an der eigentlichen Bedeutung des Wortes für unsere Gesellschaft. Wir haben die Freiheit uns hemmungslos zum Narren machen zu können. Dass der Umzug nun also abgesagt werden musste, ist eine notwendige, aber tragische Beschneidung unserer Freiheit. Für all die Menschen, die sich monatelang engagiert haben, für alle Kinder, die sich auf das Spektakel gefreut haben, ist der heutige Tag ein trauriger.

KolumneHeute


Morgens beim Bäcker steht ein mutiert aussehendes Küken neben mir und versucht verzweifelt mit den ungestutzten Krallen an das Kleingeldfach zu gelangen. Auf dem Weg in die Stadt kommt mir jemand mit einem unnatürlich großen Kopf entgegen, der Mühe hat sich in der Senkrechten zu halten. „Jaaa, helau und so.“ Die Chaostage haben begonnen, genaugenommen sind sie schon fast wieder vorüber. Helau und Alaaf – die spinnen doch, die Karnevalisten.

Während man in anderen Teilen Deutschlands wenig von dem bunten Karnevalstreiben mitbekommt, steht die fünfte Jahreszeit von Mainz über Köln bis hin zu uns hoch im Kurs. Schon Monate vor den traditionellen Umzügen wird gesägt, gebastelt und geschneidert – immer die karnevalistische Ästhetik im Sinn. Bunt, frech, aufmüpfig und maximal aufwendig soll das passende Kostüm sein. Ich frage mich, woher kommt nur die Lust bei eisigen Temperaturen in einer kratzenden Kostümierung jedes Jahr auf der Straße zu stehen und sich Bolchen an den Kopf werfen zu lassen? Hinzu kommt, dass der Geräuschpegel an ein Manowar-Konzert erinnert. Die geschätzten Promille-Werte einiger Besucher im Übrigen auch. Erwachsene Menschen, die sich komplett zum Narren machen.



Ist das nicht eigentlich schön? Wir haben die Freiheit uns ebenso benehmen zu bedürfen. Wir dürfen so aus dem Haus gehen, wie wir nie bei der Arbeit erscheinen würden. Wir dürfen mit Politikern und Ökonomen abrechnen. Wir dürfen laut gruselige Schlager singen und Süßigkeiten essen, die auf der Straße lagen. Einfach so. Karneval ist sicherlich nicht jedermanns Sache, aber auch die, die diesem Spektakel rein gar nichts abringen können, haben die Freiheit daheim bleiben zu können. Und für all die Anti-Karnevalisten: schauen Sie sich die Kinder an. Wenn glückselig strahlende Mini-Marienkäfer, Mini-Sonnenblumen und Mini-Schneeflocken an Ihnen vorbeiziehen, dann kann das alles doch gar nicht so schrecklich sein. Oder?


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