Wolfenbüttel/Braunschweig. 2013 war das Jahr der Windpark-Debatte im Landkreis Wolfenbüttel. Die Ausweisung eines potentiellen Windpark-Gebietes zwischen Ahlum und Dettum erhitzte die Gemüter, es kam erstmalig zu einer direkten Bürgerbefragung in der Stadt Wolfenbüttel (RegionalWolfenbüttel.de berichtete mehrfach). Eine Frage die damals immer wieder im Raum stand: Sind Windenergieanlagen schädlich für Menschen?
Manche glauben das, andere wiegeln ab. Infraschall steht in der Kritik – Schallwellen, die durch die Anlagen erzeugt werden und eigentlich nur als tiefes Wummern gerade noch wahrgenommen werden könnte. Inzwischen machen mehr als 500 Bürgerinitiativen gegen Windkraftprojekte Front. In Dänemark haben Berichte über gesundheitsschädliche Schallemissionen schon zu einer Verlangsamung des Ausbautempos geführt. Ein internationales Expertenteam hat sich jetzt der Problematik angenommen. Koordiniert wurde das Projekt von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Es liefert die Erkenntnis, das Menschen mehr "hören" als gedacht.
![<a href=](https://cdn.regionalheute.de/images/2020/1/453/500/b28150548ee4486a976538dbe39d66dd.jpg)
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig koordinierte das Projekt. Foto: Werner Heise
"Sowohl Panikmache als auch pauschales Abwiegeln führen hier nicht weiter", so PTB-Akustiker Christian Koch in einer Pressemitteilung. "Stattdessen müssen wir mehr darüber herausfinden, was bei der Wahrnehmung von Schall im Grenzbereich des Hörens passiert." Koch ist der Leiter des internationalen Projektes, in dem Messtechnik-Experten aus mehreren Metrologieinstituten sowie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und des Ear Institute am UCL (University College London) drei Jahre lang die Grundlagen des Hören von "unhörbarem" Schall untersucht haben. Sehr tiefer (Infraschall unterhalb von etwa 16 Hertz) beziehungsweise sehr hoher Schall (Ultraschall oberhalb von etwa 16 000 Hertz) tritt häufig so gut wie unbemerkt auf. Infraschall entsteht nicht nur bei Windenergieanlagen, sondern manchmal, wenn ein LKW am Haus vorbeifährt oder ein Hausbesitzer einen Stromgenerator im Keller installiert hat. Ultraschall kommt zum Beispiel aus einem Marderschreck.
Tiefere Töne als vermutet
Beteiligt waren auf PTB-Seite nicht nur Akustiker, sondern auch Experten in den Bereichen Biomagnetismus (MEG) und funktionelle Kernspintomografie (fMRT). Ihr Ergebnis: Der Mensch hört tiefere Töne als bislang bekannt angenommen. Und die Mechanismen der Wahrnehmung sind vielfältiger als bisher bekannt. Außerdem wurde beobachtet, dass Gehirnregionen angesprochen werden, die bei Emotionen eine Rolle spielen. "Das heißt, der Mensch nimmt eher diffus wahr, dass da irgendwas ist und dass das auch eine Gefahr bedeuten könnte", sagt Christian Koch. Ein weites Feld tue sich hier auf, auf dem auch die Psychologie nicht außer Acht gelassen werden dürfe. Und auf jeden Fall gibt es noch weiteren Forschungsbedarf, so die Experten.
Weitere Forschungen nötig
"Im Grunde stehen wir erst am Anfang. Weitere Forschung ist dringend notwendig", betont Koch. Der Antrag für ein Folgeprojekt läuft bereits. Darin wollen die Forscher gezielt Menschen untersuchen, die sich von "unhörbarem" Schall belästigt fühlen. Dazu sollen auch Psychologen mit ins Team. Es müsste auch untersucht werden, ob alleine die Angst vor einer objektiv gar nicht greifbaren Gefahr, die Personen krank machen würde.
Viel Forschungsbedarf sehen die Wissenschaftler auch beim Ultraschall. Obwohl die eingesetzten Messgeräte zu den genauesten der Welt gehören, konnten die Forscher nicht nachvollziehen, ob und was ein Mensch oberhalb der bisher angenommenen oberen Hörschwelle hört. Auch hier müssten weitere Forschung erfolgen. Die Ergebnisse des internationalen Forschungsprojektes könnten dazu führen, dass europaweit einheitliche – und bindende – Schutzbestimmungen für diese Grenzbereiche des Hörens eingeführt werden. Die fehlen nämlich bisher.