NLWKN: Forschungsstelle Küste feiert 75-jähriges Bestehen - eine Bilanz




Es geht schon lange nicht mehr um Norderney allein, aber der Insel- und Küstenschutz spielt damals wie heute eine zentrale Rolle in der Arbeit der Forschungsstelle Küste, die in diesem Jahr das 75jährige Bestehen feiert. Seit 2005 gehört die Forschungsstelle zum NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz), der wiederum zum Geschäftsbereich des Niedersächsischen Umweltministeriums gehört. „Eine sinnvolle Ergänzung der Kompetenzen des Landesbetriebs", findet Umweltminister Dr. Stefan Birkner, der im Rahmen eines Kolloquiums zum Jubiläum gratulierte und vor Journalisten in Oldenburg betonte, dass sich die Forschungsstelle weltweit einen sehr guten Ruf erarbeitet habe. Birkner: „Für die niedersächsische Landesregierung ist es wichtig, dass wir die Kompetenz zur Wahrung der niedersächsischen Interessen und vor allem der Interessen der Menschen, die an der Küste leben, jederzeit abrufen können".

Die Forschungsstelle Küste hat ihren Sitz nach wie vor auf Norderney. Der Standort hat historische Gründe: Den Westteil der Insel zu schützen, war vor fast 100 Jahren eine schwierige Aufgabe, da fachliches Neuland betreten wurde. Deshalb wurde Anfang der 1920er Jahre ein Baubüro des damaligen Wasserbauamtes Norden auf der Insel eingerichtet - der Vorläufer der Forschungsstelle, die 1937 offiziell gegründet wurde. Als Aufgabe wurde damals festgelegt: „Unterlagen für den Insel- und Küstenschutz und die Landgewinnung zu schaffen, damit die notwendigen Baumaßnahmen in technisch richtiger Weise, an richtiger Stelle und mit den geeigneten Baustoffen und Mitteln ausgeführt werden können". Und Dr. Andreas Wurpts, Leiter der Forschungsstelle, ergänzt: „Das gehört auch heute noch zu unseren Aufgaben".

Das Ergebnis sind zum Beispiel maßgeschneiderte Deiche in Niedersachsen. „An der Küste ist kein Deich wie der andere", erläuterte der Wasserbau-Ingenieur: „Damit jeder Deich für höchste Sturmfluten gewappnet ist, wird vor der Planung und dem Bau der Deiche bei der Forschungsstelle genau gerechnet - und zwar im Auftrag des jeweiligen Deichverbandes."

Die örtlich unterschiedlichen Eingangsgrößen wie das mittlere Tidehochwasser, der höchste gemessene Wasserstand bei Sturmflut und der Seegang, der bei Sturmflut auf den Deich prallt, gehen zusammen mit dem Vorsorgemaß für den Meeresspiegelanstieg in Höhe von 50 Zentimeter pro Jahrhundert in die Berechnung ein. „Der Seegang wird mit mathematischen Modellen ermittelt". Das rechnerische Bestick wird als Gutachten dem Deichverband übergeben.

Für Siegfried Popp, Direktor des NLWKN, passen die Aufgaben der Forschungsstelle hervorragend in den Landesbetrieb, dessen älteste Aufgabe der Küstenschutz ist: „So können wir den Deichverbänden umfassend zur Seite stehen: Bemessung, Bestick-Festsetzung und Planung sowie Bauleitung - auf diese Kompetenz des NLWKN können sich die Deichverbände verlassen". Und die Bürgerinnen und Bürger im Übrigen auch: Popp betonte, dass Niedersachsen über die sichersten Deiche und Küstenschutzanlagen verfüge, die es in der rund 1000-jährigen Geschichte des Küstenschutzes je gab. „Dennoch müssen wir wachsam bleiben. Deshalb wird die Forschungsstelle bis 2013 alle See- und Ästuardeiche systematisch überprüfen". Diese Bilanzierung der Sturmflutsicherheit an der niedersächsischen Küste ist nach Vorgabe des Umweltministeriums im Zehn-Jahres-Rhythmus zu wiederholen; die so ermittelten Daten seien die Grundlage für künftige Ausbau-Programme.

„Die Forschungsstelle Küste ist seit jeher auch vielfältig in die nationale und internationale Forschungslandschaft eingebunden", sagte Wurpts und nannte als Beispiel das vom Wissenschaftsministerium initiierte Verbundprojekt „Klimafolgenforschung in Niedersachsen", kurz KLIFF genannt. Hier wird auf Landesebene die Bandbreite der Auswirkungen des globalen Klimawandels untersucht. Die Forschungsstelle befasst sich mit den Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die Küsten Ostfrieslands. „Anhand von regionalen Klimaprojektionen wollen wir alternative Küstenschutzstrategien erarbeiten und systematisch bewerten". Die zentrale Frage sei: Was ist auch in der Zukunft sicher, dauerhaft technisch machbar, finanzierbar und gesellschaftlich akzeptiert? Die Erkenntnisse zur Bewertung von Anpassungsoptionen an beschleunigt steigende Wasserspiegel und zunehmende Sturmintensitäten haben zusammen mit anderen u.a. an der Forschungsstelle erarbeiteten Forschungsergebnissen auch Eingang gefunden in die „Empfehlungen für eine niedersächsische Strategie zu Anpassung an die Folgen des Klimawandels" der Landesregierung. Als wichtigstes Ergebnis nannte Wurpts, dass auf absehbare Zeit für die Einführung alternativer Strategien zum derzeit praktizierten linienhaften Schutz keine zwingenden Gründe vorliegen.

Der Umweltminister erwähnte das Forschungsvorhaben „Integrierte Bemessung von See- und Ästuardeichen": Hier wurde bei der Bemessung von Seedeichen auch die Widerstandsfähigkeit der verwendeten Baustoffe einbezogen. Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Vorhaben sei der Nachweis, dass bei gutem Deichbaumaterial noch Reserven in den heutigen Deichen stecken können. Birkner: „Beide Vorhaben zeigen, wie erworbene Kenntnisse aus Forschungsvorhaben als Grundlage für konkretes Verwaltungshandeln genutzt werden können".

Die traditionell an der Forschungsstelle praktizierte interdisziplinäre Zusammenarbeit ist für Wurpts das Geheimnis deren Erfolgs: Küsteningenieure, Geodäten und Geologen arbeiten ebenso in Norderney wie Umweltwissenschaftler und Ökologen.

Zunächst konzentrierten sich die Untersuchungen der Forschungsstelle auf die örtlichen Probleme in Norderney, seit den fünfziger Jahren wurde das Zuständigkeitsgebiet über die Ostfriesischen Inseln auf die gesamte niedersächsische Küste ausgeweitet.