Dass es mir die Sprache verschlägt oder ich an Schnappatmung leide, passiert eher selten, habe ich doch schon so manches erlebt. Der Monat August und der laufende September hatten jedoch so viele eindrucksvolle Ereignisse parat, dass man in Dauersprachlosigkeit oder eine Art mediale Apnoe verfiel.
So waren es vor allem die überregionalen Geschehnisse, wie etwa die täglichen Einblicke in eine strauchelnde Bundesregierung, die nur noch durch das Festhalten an einen fasrigen Strohhalm des Machterhalts beisammenbleibt. Hier fällt einem förmlich ein: Hol mich hier raus, ich bin es leid! Dazu die unsäglichen Wahlergebnisse im Osten, die nun einer pathologischen Untersuchung unterzogen werden, mit teils hanebüchenen Erklärungen, wie ich meine, und die ebenfalls wenig aufmunternden internationalen Katastrophen, die das übelschmeckende Sahnehäubchen auf einem verdorbenen Informationsgebäck darstellen.
Da lobe ich mir die kommunale Wirklichkeit. Auch hier schmeckt das Mahl nicht immer und nicht jedem, aber die Themen sind halt oft lokale oder regionale Leckerbissen, die mit einem Augenzwinkern betrachtet vieles erträglicher machen: Pro und Contra Landesgartenschau, neues Format – „Frag den Bürgermeister“, ein plötzlich aufploppendes thematisches Wettrennen zur Umgestaltung des Schlossplatzes und nicht zuletzt die mehrmals erklärte ultimative Kriegserklärung an die Schottergärten in dieser Stadt und besonders der Klima-Taler! Ein Projekt des Regionalverbandes Großraum Braunschweig, mit dem man sich durch „nachhaltiges“ Verhalten quasi die Sonntagsbrötchen verdienen kann! Voraussetzung: Ein Bäcker macht mit! Leider kann ich mich aus Platzgründen nicht mit allen regionalen Delikatessen beschäftigen, sodass ich mich auf einige wenige lokale Themen beschränken muss.
Halt! Was ich immer schon mal loswerden wollte: Insbesondere bei den täglichen Internetrecherchen erfreuen mich die aufmunternden Beiträge selbsternannter Fachleute in den unterschiedlichen sogenannten „Sozialen Netzwerken“. Ich bin mir noch nicht im Klaren! Entweder plant man eine radikale Neugestaltung unserer schönen Sprache oder einige Kommentatoren haben während ihrer Schullaufbahn sehr schnell den Deutschunterricht abgewählt und stattdessen Freistunden bevorzugt. Auch die fachlich inhaltlichen Ratschläge, hauen einen oft mit Macht vom Hocker! Klasse! Ich liebe das! Wirklich! Zwischenzeitlich lege ich eine Sammlung der besten Gedankensplitter an!
Wohltuend – und das meine ich jetzt mal vollkommen ernst – war die Diskussion in der gemeinsamen Sitzung des Kultur- und Bauausschusses der Stadt zum Thema „Bewerbung zur Landesgartenschau 2030“. Nach langer Zeit besuchte ich mal wieder eine Gremiensitzung, um mir den Rathauswind um die Nase wehen zu lassen und erlebte eine intensive und sachorientierten Diskussion. Folgte einer ausführlichen Vorlage ein fachlich sehr guter Vortrag zur Sache, stritt man dann, im positiven Sinne, um eine Entscheidung. Und hier sah man wieder einmal den Unterschied zwischen der oft mehr als rüden parlamentarischen und der kommunalen Streitkultur! So geht Demokratie!
Überschriften in sämtlichen Medien sollen den Nutzer leckerig machen! Das gelang regionalHeute.de mit der Meldung: Neues Format: „Frag den Bürgermeister“. Interessiert öffnete ich den Bericht und las, dass Bürgerinnen und Bürger nunmehr die Gelegenheit hätten an einem Samstag ab 10.00 Uhr, ihre Fragen direkt vor Ort an den Amtsnachfolger zu richten und das ab 12.00 Uhr „häufig gestellte Fragen“ im WOW (Wissensort Wolfenbüttel) beantwortet werden. Wieso nur häufig gestellte Fragen? Und - huch - es dämmerte mir: Gab es dieses Format nicht ganz, ganz ähnlich schon in der grauen Vorzeit? So, vor ein paar Jahren? Oder erliege ich gerade sentimentalen Wunschträumen eines alternden Bürokraten?
„Nein, nein“, so ehemalige Kolleginnen und Kollegen, die meine verblassenden „Erinnerungen“ auf vorsichtige Nachfrage aufhellten: Spätestens seit 2012 soll sich der Amtsvorgänger mit seinem Team aus der Verwaltung in die Fußgängerzone unter ein Zelt gewagt haben, um tatsächlich mit Bürgerinnen und Bürger ins Gespräch zu kommen. Ja, und Fragen durften die Menschen, die es unter das Zelt verschlug, auch stellen. Themen, die nicht direkt vor Ort geklärt werden konnten, wurden dann abgearbeitet und in der Regel per Mail beantwortet, so meine Informanten. „Hmh“…., was war also neu? Etwa Fragen auf eine vorbereitete Postkarte zu schreiben oder über das Smartphone einzureichen? Tja, so innovativ war man damals in der digitalen Steinzeit natürlich noch nicht! Aber: Ohne Postkarte durften Bürger Fragen per -Mail oder telefonisch vorab stellen! Und erörtert wurde das dann in der…..wie hieß es noch? Richtig - Bürgersprechstunde! Einmal im Monat, live mit Bürgermeister. Ich blieb zunächst ratlos zurück! Aber beruhigend fiel mir alsbald ein: Neue Besen kehren gut und aus dem Schokoriegel Raider wurde ja auch Twix!
Dennoch blieb meine Spannung hoch und förmlich elektrisiert las ich dann, dass die Gestaltung des Schlossplatzes Thema war. Es wurde quasi der Eindruck zwischen den Zeilen vermittelt, dass das Überqueren des Schlossplatzes zur Sommerzeit einem Fußmarsch durch die Sahelzone gleicht! Betonwüste - pfui Spinne! Jawoll – soll grüner werden! Aha, dachte ich boshaft, in Ermangelung anderer tiefgründiger Themen, der Schlossplatz als „Evergreen“! Alle Jahre wieder! So, wie die jährlich spannende Abfrage der örtlichen Medien vor den Festtagen: Was gibt´s in Wolfenbütteler Familien zu essen? Und tatsächlich! Ich wurde nicht enttäuscht, sprang dann ein paar Tage später auch noch ein gedrucktes örtliches Presseorgan auf den medialen Schlossplatz-Zug auf! Vieles, was dann zur Planungsentwicklung zu lesen war, stimmte durchaus, verschweigt aber geringfügig auch Fakten, die ich als Mitglied der staubtrockenen „Old School-Generation“ und chronischer Besserwisser gerne nachliefere!
Dem gesamten Prozess der Umgestaltung des Platzes war ein intensives Bürgerbeteiligungsverfahren vorgeschaltet. Donnerwetter, erinnerte ich mich melancholisch, das gab es in meinem bürokratischen Mittelalter auch schon! Und? Ja, es funktionierte! Dann schloss sich ein Realisierungswettbewerb mit bundesweit agierenden Fachbüros an und es folgte eine umfassende politische Diskussion in den Gremien der Stadt mit einem Ratsbeschluss 2016. In dieser mehrjährigen Gestaltungsphase waren tatsächlich alle Bürgerinnen und Bürger und natürlich die betroffenen Anlieger eingeladen, sich zu beteiligen. Was jedoch leider nicht alle taten.
Muss man ja auch nicht, ist doch das anschließende Nörgeln und Meckern vom heimischen Sofa aus viel bequemer und einfacher! „Habe ich doch immer gesagt, dass der Platz doof aussieht!“ Und „…früher war sowieso alles besser“! Oder auch das überzeugende Argument: „Der schöne Pink Place“!
Sicher, hier sollte eine Fläche für innerstädtische Veranstaltungen geschaffen werden - aber eben nicht nur: Landesgeschichtlich betrachtet ist der Schlossplatz einer der herausragenden Plätze in Niedersachsen und der Region. Es war ein denkmalpflegerischer Hinweis, den Platz möglichst in seiner ursprünglichen Gestaltung und Nutzung wiederherzustellen, als Exerzier- und repräsentativen Vorplatz zum Schloss, der Residenz der Herzöge von Braunschweig – Wolfenbüttel. Und nicht zuletzt dafür gab es eine Landesförderung in Höhe von 2,7 Millionen Euro.
Nur zur Erinnerung! Wie sah es denn vor der Umgestaltung aus? Ein Foto dieser Zeit macht deutlich, wie lieblich und entzückend das Quartier war. Sicher – der Pinsel der Vergangenheit malt gülden und blendet so manche nackte Tatsache aus!
Achtung! An alle Nostalgiker! Mehr Schatten als heute gab es auch damals nicht, da die Sonne schon ähnlich schien. Und bereits bei der Einweihung wurde nicht ausgeschlossen, bestimmte weitere Gestaltungsobjekte in der Zukunft zu prüfen! Förmlich umgehauen hat mich jedoch, mit welcher Schnelligkeit die Verantwortlichen auf die „überwältigenden“ Protestnoten der Bürgerschaft in diesem Fall reagierten. Als ob man es ahnte, präsentierte man den 8 Besuchern des „neuen Dialogformates“ prompt die Lösung! Sozusagen in vorauseilendem Gehorsam! Ungefragt beschäftigte sich die Verwaltung mit der Aufgabe, wie man den Schlossplatz „gemütlicher“ bekommt. Ooch – gemütlicher, wie schön, dachte ich. Ich Klotz war gerührt! Nun sprudelten die Ideen! Temporäre Begrünung mittels mobiler Bauminseln soll es geben! Prima! So etwas hatten wir schon vor ein, zwei Jahren mal! Sollen sie allerdings künftig länger grün bleiben, bietet sich das regelmäßige Gießen an, damit der unter der Bauminsel Buch lesende Zeitgenosse den Schatten bekommt, der ihm versprochen wird.
Meine schräge Fantasie entwickelte unvermittelt ein Ideenfeuerwerk, als weitere Gestaltungselemente für den historischen Schlossplatz im Digitalmedium regionalHeute.de genannt wurden: Die Anlage eines Schachfeldes! Aha, dachte ich, der ausschließlich „Mensch ärgere dich nicht“ unfallfrei beherrscht, das passt intellektuell punktgenau in dieses Quartier! Und: Jetzt festhalten! Eine Tischtennisplatte! Eine Tischtennisplatte soll den Schlossplatz zieren und zur Hebung der Aufenthaltsqualität beitragen! Wie gemütlich! Meinem zunächst nicht endenden lauten Glucksen, welches meine Frau förmlich irritierte, folgte aus alter Gewohnheit postwendend ein innerer Gestaltungsdrang!
Rein theoretisch betrachtet spielen rund 554.000 Aktive in Deutschland im Verein Tischtennis. Großartig! Aber demgegenüber stehen 2,3 Millionen Kickende und eine unglaubliche Zahl an Fußballfans! Dem muss doch Rechnung getragen werden, Donnerwetter! Wenn der Schlossplatz schon zu einem Multifunktionalfeld umgestaltet werden soll, dann bitte unter Einbeziehung und gerechter Abwägung aller gesellschaftlicher Interessen! Wenn schon, müssen wir es allen recht machen! Ich fordere daher, auch im Namen aller Fußballfreunde, die Aufstellung eines „Menschenkickers“ als ultimative Steigerung der Gemütlichkeit auf dem Schlossplatz und als sportlichen Anreiz. Flankierend sollten für die Durstigen an jeder Ecke ein Trinkbrunnen installiert werden, von denen wenigstens immer einer betriebsbereit ist!
Hier ein Menschenkicker wie es ihn im Juli 2022 beim Fest im Sportpark Meesche gab. Foto: Werner Heise
Aber halt! Meiner aufkeimenden Euphorie folgte auf dem Fuße die kalte Ernüchterung! Man sollte immer bis zum Schluss lesen! „Es seien Ideen der Stadtverwaltung“, musste ich lesen, „die man derzeit nicht mit höchster Priorität verfolge und auch explizit kein Versprechen“, so der Hauptverwaltungsbeamte!“ Ja und was sollte das Ganze dann? Wieder blieb ich ratlos zurück!
Einen schönen Herbstanfang und kuschelige Zeiten
Ihr
Thomas Pink
PS: Endlich! Die Kanonen stehen wieder! Da wird wohl so manchem Kommunalpolitiker der Traditionsstein von der Seele gefallen sein! Die Ausrichtung der geballten Artillerie muss ich noch prüfen!
Pi(n)kant ist die Kolumne von Wolfenbüttels Bürgermeister a.D. Thomas Pink auf regionalHeute.de. Sie erscheint in unregelmäßigen Abständen und gibt allein die Meinung des Autors wieder. Lesen Sie auch die Overtüre "Pi(n)kant: Spezialitäten unserer Zeit" sowie die zuletzt erschienene Pi(n)kant-Kolumne "Abenteuer Innenstadt - Gräben, Pfützen, Schotterparcours".
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