Wolfenbüttel. Ende März sollten eigentlich die neuen Pläne für die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus dem havarierten Endlager Asse vorgestellt werden. Doch Corona machte der Asse-Begleitgruppe einen Strich durch die Rechnung. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat in einem 146-seitigen Schreiben die wichtigsten Punkte für die Rückholung der nuklearen Altlasten ausformuliert. Das Projekt könnte Schätzungen zufolge etwa 3,35 Milliarden Euro kosten.
Das Schreiben führt "Meilensteine" auf dem Weg bis zur Stilllegung der Schachtanlage an. Bei der Bergung der Abfälle handele es sich laut BGE um ein "komplexes und anspruchsvolles Projekt". Daher sei mit einem Beginn der tatsächlichen Rückholung und dem Abschluss der vorbereitenden Maßnahmen dafür nicht vor dem Jahr 2033 zu rechnen. Die BGE lässt aber durchscheinen, dass es auf dem Weg noch Hürden zu bewältigen gibt: "Daher sind auch grundsätzliche Änderungen bis zur Erteilung einer Genehmigung in jedem Handlungspfad möglich." Am Ende der Planung steht die Errichtung eines Zwischenlagers in unmittelbarer Nähe der Schachtanlage. Eine Planung für eine tragfähige Endlagerung der atomaren Altlasten existiert bis zum heutigen Stand nicht.
Experten seien sich ohnehin einig, dass die Rückholung mehrere Jahrzehnte dauern werde. Um das Bergwerk gebrauchstauglich zu halten, seien umfangreiche Stabilisierungsmaßnahmen und weitere Umbauten möglich. Weiterhin könne die vollständige Rückholung der Abfälle nur über einen für die Rückholung geeigneten Zugang erfolgen. Es sei geplant, dafür einen neuen Schacht sowie ein daran angeschlossenes, neues Rückholbergwerk zu errichten. Dem gegenüber stehe immer noch die Gefahr massiver Flutungen über die Südflanke, obgleich man diese durch die Stabilisierungsmaßnahmen habe verlangsamen können.
Insgesamt geht es um die Bergung von 126.000 Behältern mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen. Ein Abfallvolumen von 47.000 Kubikmetern. "Wobei davon auszugehen ist, dass Abfallbestandteile aus zerstörten Gebinden ausgetreten sind und das umgebende Salzgrus
kontaminiert haben", so das Gutachten. Die kontaminierte Substanz müsse ebenfalls geborgen werden, sodass sogar von einem Abfallvolumen von 100.000 Kubikmetern ausgegangen werden müsse. Das übersteige die derzeitigen Kapazitäten der Bundesrepublik zur Verarbeitung radioaktiver Abfälle bei weitem. Entsprechend müsse eine Option zur Zwischenlagerung auf dem Gelände der Asse selbst oder daran angrenzend realisiert werden.
Ein neuer Schacht muss gebohrt werden
Asse 5 soll der neue Schacht heißen, der für die Rückholung der Abfälle erst noch gebaut werden muss: "da nur mit diesem die zu fördernden Mengen und Massen an Ausrüstungen, Salzhaufwerk aus Auffahrungen und Umverpackungen bei der Rückholung zu bewältigen sind", argumentiert das Schreiben der BGE. Die Nutzung des Schachtes Asse 2 sei zwar grundsätzlich möglich, bringe aber weder einen Sicherheitsgewinn, noch gewinne man dadurch Zeit. Die BGE geht davon aus, dass der neue Schacht bis 2028 fertiggestellt sein könnte.
Die Rückholung selbst
Der Prozess der Rückholung umfasst die Bergung der Abfälle, die Umverpackung unter Tage, den Transport nach über Tage, die Abfallbehandlung sowie die Zwischenlagerung. Grundsätzlich werde das Ziel verfolgt, Anlagen und Maschinen und insbesondere deren Antriebe derart auszuwählen, dass diese emissionsfrei arbeiten oder bei ihrem Betrieb mindestens emissionsarm sind, zum Beispiel durch die Anwendung elektrischer Antriebe. Außerdem soll die Technik möglichst keinen Staub aufwirbeln, der möglicherweise kontaminiert sein könnte. 512 Meter tief im Berg lagern die mittelradioaktiven Abfälle. Hier wird aufgrund der hohen Strahlungswerte sogar die Nutzung ferngesteuerter Maschinen angedacht.
Problematisch außerdem: Die Schachtanlage ist nicht dicht. Es kommt zu einem Luftaustausch zwischen den verschiedenen Kammern. Um die Ausbreitung von Radioaktivität durch die Luft zu vermeiden, muss daher sämtliche Abluft aus der Grube gefiltert werden. Bei der Rückholung muss außerdem immer bedacht werden, dass auch Behälter zerstört aufgefunden oder im Prozess zerstört werden könnten. Auch wenn dies "zu vermeiden" sei.
Der erste Prozessschritt bei der Durchführung der Rückholung beinhaltet die Bergung der Abfälle aus den Einlagerungskammern. Hierbei kommen Techniken zum Einsatz, die sowohl der Einlagerungssituationen (zum Beispiel Stapel- oder Abkipptechnik) als auch dem Zustand des umliegenden Gebirges gerecht werden müssen. Die Bergung der Abfälle findet in einem gesicherten Arbeitsbereich (Kontrollbereich) statt, der nur im Ausnahmefall mit Schutzausrüstung betreten werden darf.
Umverpackung der Abfälle unter Tage
Der zweite Prozessschritt beschreibt die Umverpackung der geborgenen Abfälle in einer Schleuse. Ein Schleusensystem unterteilt den Kontrollbereich und trennt den Kontrollbereich von einem Überwachungsbereich. Das Umverpacken der geborgenen Abfälle erfolgt in einer „Doppeldeckelschleuse“, sodass sichergestellt ist, dass die Umverpackungen außen kontaminationsfrei bleiben und nur die Innenflächen der Umverpackungen Kontaminationen tragen können.
Die Umverpackungen sind für den innerbetrieblichen Transport ausgelegt und verhindern die Freisetzung von Abfallbestandteilen und Staubteilchen (Aerosolen). Bei den Planungen wird angestrebt, deren Handhabung durch geringe Abmessungen und ein geringes Gewicht zu vereinfachen. Die Umverpackungen sind nicht gasdicht und enthalten ein Aerosolfilter, sodass ein Druckausgleich zwischen dem Inneren der Umverpackung und dem Umgebungsdruck jederzeit möglich ist.
Der innere Arbeitsbereich der Schleuse wird strahlenschutzseitig als Kontrollbereich eingeordnet. Hier werden Personen planmäßig tätig und führen zum Beispiel Kontaminationskontrollen an den Umverpackungen durch. Ist die Kontaminationsfreiheit an den Oberflächen der Umverpackung festgestellt, wird diese in den Überwachungsbereich ausgeschleust und im nächsten Prozessschritt zu Tage transportiert.
Transport der Umverpackungen nach über Tage
Der Transport der Umverpackungen findet über definierte Wege im Überwachungsbereich des Rückholbergwerks statt. Die Transportmittel sind so beschaffen, dass diese die erforderliche Sicherheit gewährleisten. Die Transportwege im Rückholbergwerk sollen nach Möglichkeit auf dem Boden verlaufen. Größere Höhenunterschiede im Rückholbergwerk sollen über Blindschächte oder flache Rampen überwunden werden.
Insgesamt bestehen für die Rückholung drei alternative Pläne, die jedes Szenario abdecken sollen. Dabei geht es primär um den Zustand der Schachtanlagen selbst.
Abfallbehandlung über Tage
In den nächsten Prozessschritten erfolgt die übertägige Abfallbehandlung. Die Einrichtungen zur Abfallbehandlung befinden sich angrenzend an das Betriebsgelände der Schachtanlage Asse II, sodass die Umverpackungen über Tage aus dem Förderkorb entnommen werden und mit geeigneten Transportmitteln in das Pufferlager der Abfallbehandlung gebracht werden. Hierbei findet kein Transport auf öffentlichen Verkehrswegen statt.
Zwischenlagerung vor Ort
Für die Zwischenlagerung empfiehlt die BGE den Neubau einer Einrichtung in der unmittelbaren Umgebung der Schachtanlage Asse 2. Entstehen soll ein Komplex auf einem Grundstück mit einer Kantenlänge von etwa 300 Metern. Die Möglichkeit eines Neubau-Zwischenlagers sei zu favorisieren, da dem Transportpersonal auf Transporten zu weiter entfernten Standorten ansonsten eine zu hohe Strahlenbelastung drohe. Die Strahlenbelastung für die umliegende Wohnbebauung sei verschwindend gering. Bereits ab einer Entfernung von 170 Metern zum Zwischenlager wäre die sogenannte "Unerheblichkeitsschwelle" demnach unterschritten.
Der vorliegende Entwurf sei jedoch noch keine abschließende Planung. Es sei lediglich eine "Grundlage für Abstimmungen" zwischen den Betreibern und den Behörden, die jeden einzelnen Schritt genehmigen müssen.
Den gesamten Bericht können Sie hier nachlesen
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