Wolfenbüttel. Der Angriff auf eine komatöse Patientin im Wolfenbütteler Klinikum (WolfenbüttelHeute.de berichtete) sorgte unter den Lesern unserer Online-Tageszeitung nicht nur für Gesprächsstoff, sondern warf vor allem Fragen auf. WolfenbüttelHeute.de sprach jetzt mit den Angehörigen des 87-jährigen Opfers.
Nach den Vorfällen im Klinikum, bei der eine geistig behinderte Patientin ihre komatöse Bettnachbarin mit einem Wasserglas attackierte, hat die Familie des Opfers Anzeige gegen Unbekannt erhoben. Derzeit kann die Staatsanwaltschaft Braunschweig keine Angaben zum Verfahren geben, weil sie sich noch nicht einarbeiten konnte: "Die Anzeige wurde von der Polizei an uns weitergegeben, ist aber noch nicht bei uns eingegangen. Wenn die Anzeige bei uns eingegangen ist, wird sie geprüft und der Staatsanwalt wird entscheiden, ob weitere Ermittlungen erfolgen", erklärt Staatsanwältin und Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Braunschweig, Birgit Seel, auf Nachfrage unserer Online-Zeitung.
Die Angehörigen der Verstorbenen möchten die Vorfälle aus ihrer Sicht schildern und sprachen jetzt mit WolfenbüttelHeute.de. Sie möchten, dass der Angriff auf ihre Mutter nicht als Lappalie abgetan wird. Und sie möchten Antworten auf zahlreiche Fragen.
Auf den ersten Blick wirkt die trauernde Familie Bergien/Wenzel gefasst, so kurz nach dem Tod der geliebten Mutter. Doch innerlich sind die Kinder und Enkel der Adersheimerin aufgewühlt, verwirrt und entsetzt. "Wissen Sie, meine Mutter war 87 Jahre alt und das ist gewiss ein Alter, wo der Tod zum Leben gehört. Doch die Umstände, wie das alles passiert ist, passen hinten und vorne nicht zusammen", so Hans-Joachim Bergien, Sohn der Verstorbenen.
Und dann schildern Hans-Joachim und Ulrike Bergien und Bettina und Markus Wenzel (Tochter und Schwiegersohn der Verstorbenen) die Vorfälle aus ihrer Sicht.
Keine Vorwürfe gegen die Angreiferin
Dabei machen sie der Frau, die ihre wehrlose und schwerkranke Mutter aus nicht geklärter Ursache angriff, überhaupt keinen Vorwurf. Sie erheben eher schwere Vorwürfe gegen das Klinikum, das ihres Erachtens nach die Situation falsch und unangemessen eingeschätzt und abgehandelt habe.
"Wie kann man denn eine Patientin, die laut Klinik geistig behindert war, zusammen mit einer komatösen, alten Frau in einem Zimmer unterbringen?", fragt sich Markus Wenzel. "Und was hat das mit Inklusion zu tun?", fügt er an. Die Familie hat kein Verständnis dafür, dass man eine offenbar geistig verwirrte Frau ohne Betreuung in einer für sie fremden Umgebung zurückließ.
Doch noch mehr, als der Grund nach der ungewöhnlichen Zusammenlegung der beiden Frauen, beschäftigt die Familie die Frage: Warum ist das alles passiert und warum wurden sie nicht über den Vorfall unterrichtet? Und was hat ihre Mutter von dem Angriff mitbekommen? War sie vielleicht noch einmal zu Bewusstsein gekommen? Fragen über Fragen, die bisher unbeantwortet blieben.
Einzig eine schriftliche Stellungnahme des Krankenhauses, die auf Bitten der Familie erfolgte, sagt etwas über die Vorkommnisse des Abends des 8. Januars aus. Darin beschreibt das Klinikum, wie sich der Angriff, der gegen 19 Uhr stattfand, abgespielt haben musste. Eine Information der Familie erfolgte an diesem Abend nicht mehr, sondern erst am nächsten Morgen unternahm man zwei Versuche, die Angehörigen telefonisch zu erreichen.
"In der Stellungnahme des Krankenhauses heißt es, man hatte uns am Morgen nach dem Übergriff auf unsere Mutter zweimal versucht zu erreichen. Davon wissen wir nichts. Meine Schwester, die als Kontaktperson angegeben war, konnte auf ihrem Anschluss keinen verpassten Anruf feststellen. Erst als wir am Nachmittag nach unserer Mutter schauen wollten, wurden wir mit deren Tod konfrontiert. Von der Verletzung und dem Übergriff mit einem Wasserglas auf unsere Mutter, sagte die diensthabende Ärztin allerdings kein Wort, als sie uns die Todesnachricht überbrachte. Erst als wir noch einmal zu unserer Mutter ins Zimmer gingen um uns zu verabschieden, fielen uns die Verletzungen an Kopf und Arm auf", schildert Tochter Bettina Wenzel den Nachmittag des 9. Januars.
Kurze Erklärungen und fehlende Sensibilität
Mit einer kurzen Erklärung, die erst auf Nachfrage der Familie erfolgte, habe die Ärztin den Vorfall geschildert und die Familie mit ihren Fragen allein gelassen. "Das war ja überhaupt das Schlimmste. Erst bekommen wir die Nachricht vom Tod unserer Mutter und dann folgte noch die Hiobs-Botschaft über den Angriff auf unsere Mutter am Vorabend", so Ulrike Bergien betroffen.
Das diensthabende Personal sah am Abend des Angriffs keine Notwendigkeit, die Familie über die Geschehnisse zu informieren. So heißt es in der schriftlichen Stellungnahme der Klinik, die unserer Redaktion vorliegt: "Es ist bedauerlich, dass Sie nicht sofort am 08.01.2014 nach der Verletzung Ihrer Mutter informiert wurden. Der Vorfall ereignete sich allerdings außerhalb der regulären Arbeitszeit. Von den Anwesenden wurde in der Situation nicht die Notwendigkeit gesehen, Sie sofort zu informieren [...]"
Eine Versäumnis räumt Prof. Dr. Dirk Hausmann vom Klinikum dennoch ein, so heißt es in der Stellungnahme weiter: "[...] es ist eindeutig unser Versäumnis, dass Sie keine Informationen über das Ereignis am 08.01.2014 erhalten haben. Für dieses Versäumnis möchte ich mich entschuldigen. Es ist bedauerlich, dass Sie erst bei Ihrem Besuch am 09.01.2014 die Verletzungen feststellen mussten [...]"
Die Familie Bergien/Wenzel empfindet den Ablauf und die Art und Weise, wie man seitens der Klinik mit ihnen umgegangen ist, als unmenschlich und unsensibel. "Warum hat das Klinikum nicht einfach zugegeben, dass einige Dinge nicht richtig gelaufen sind? Das wäre doch mehr als menschlich gewesen. Die Sache aber so abzutun, als hätten sie keine Fehler gemacht, ist alles andere als menschlich", so Ulrike Bergien.
Auch die Begegnung mit den verantwortlichen Ärzten und dem Pflegedirektor empfand die Familie als befremdlich. Während sich die beiden Ärzte ehrlich betroffen gezeigt hätten, habe der Pflegedirektor aus Sicht der Angehörigen distanziert und herablassend auf die Familie gewirkt und mit Unverständnis reagiert.
Der Fall wurde seitens der Polizei Wolfenbüttel jetzt der Staatsanwaltschaft Braunschweig zur Prüfung übergeben. Der Staatsanwalt wird dann entscheiden, wie der Fall weiterbehandelt wird und ob weitere Untersuchungen notwendig sind und eingeleitet werden müssen.
"Sollte das Verfahren eingestellt werden, wäre das eine Katastrophe. Wir können nur hoffen, dass die Staatsanwaltschaft auch in andere Richtungen ermittelt und sich auch die Abläufe im Klinikum einmal genauer ansieht", hofft die Familie.
Ihre Mutter, die am Tag des Angriffs ihren 87. Geburtstag feiern wollte, konnte die Familie inzwischen beisetzten. "Sie hatte sich bis zu dem Tag alleine gelebt und sich versorgt. Sie plante sogar schon ihre Geburtstagsfeier. Nie zuvor hatte sie einen Krampfanfall. Sie hatte lediglich Schmerzen in ihrem Knie", so Sohn Hans-Joachim Bergien ratlos.
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