Wolfenbüttel. Die Wolfenbütteler Innenstadt liegt im Wandel. Sowohl strukturell als auch optisch hat sich in den letzten Jahren einiges verändert. Und das wird es auch weiterhin. Bereits im kommenden Jahr wird sich die Politik mit der Weiterführung der Neugestaltung der Fußgängerzone beschäftigen. Auch die Frage nach der künftigen Verkehrsplanung im Zentrum der Lessingstadt soll dann eine zentrale Rolle spielen.
Holzmarkt, Kornmarkt sowie Schlossplatz wurden neu gestaltet, das Einkaufshaus Löwentor steht und die Fußgängerzone erstrahlt vom Kleinen Zimmerhof bis hin zu den Krambuden im neuen Glanz. Auch der Jugendplatz an der Langen Straße sowie das neue Allwetterbad Okeraue sind neben weiteren städtischen Bauprojekten in den letzten Jahren für die Bürger entstanden.
"Unfassbar, was diese Stadt für die Innenstadt getan hat"
"Wir sind seit zehn Jahren pro Kopf die investitionsstärkste Kommune im Bereich kommunaler Infrastruktur. Wir haben auch in unsere Innenstadt mehr investiert als irgendeine andere Stadt in Niedersachsen", macht Wolfenbüttels Stadtbaurat Ivica Lukanic im Gespräch mit regionalHeute.de deutlich. "Es ist unfassbar, was diese Stadt für die Innenstadt getan hat. Das wird nicht immer so wertgeschätzt, aber wenn man genau hinguckt, dann sieht man was da passiert und das ist schon toll", resümiert er und zollt der Kommunalpolitik seinen Respekt für diese Entscheidungen.
Nach einer kurzen Verschnaufpause für die Bürger sollen dann bereits 2023 die Bagger wieder rollen, um in prognostizierten 1,5 Jahren die Modernisierung der Fußgängerzone auf der Langen Herzogstraße fortzuführen. Doch bis dahin gebe es noch viel zu planen. Vor allem wird man sich generelle Gedanken über die Zukunft der Innenstadt machen müssen, bei der die Neugestaltung der Fußgängerzone nur einen von mehreren Bausteinen darstellt, sagt Lukanic.
Unter den Krambuden wurde die Fußgängerzone bereits saniert. Stadtbaurat Ivica Lukanic spricht sich dafür aus die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu steigern. Foto: Werner Heise
"Es geht darum die Attraktivität der Innenstadt zu erhöhen und Aufenthaltsräume zu schaffen, damit es für die Bürger wieder spannend und interessant wird in die Stadt zu gehen", so Lukanic und fügt hinzu, dass man die Innenstadt selbst auch wieder als Wohnraum entdecken müsse. Mit diesen Ansichten stimmt er mit denen des renommierten Architekten und Städteplaners Jan Gehl, der Innenstädte zu Orten der Begegnung ausruft, überein.
Der größte Anziehungspunkt für Menschen, sind andere Menschen
Der 83-jährige Däne Gehl hat mehrere Weltmetropolen umgebaut, die sich regelmäßig in Rankings der lebenswertesten Städte weltweit wiederfinden, darunter Stockholm, Melbourne, Zürich und natürlich Kopenhagen. Aber auch am Wolfsburger Nordkopf ist sein Büro derzeit tätig. Im Gespräch mit regionalHeute.de erklärt Gehl, dass er die Attraktivität der Innenstadt nicht primär in ihrer Einkaufsvielfalt sieht, sondern glaubt, dass der größte Anziehungspunkt für Menschen andere Menschen sind. Und er führt einen Punkt auf, der in Wolfenbüttel schon oft für Diskussionen gesorgt hat. "Städte müssen für Menschen gebaut sein, nicht für Autos", sagt Jan Gehl. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien viele Städte im Stil des Funktionalismus gebaut worden: Hochhäuser, breite Straßen, Glasfassaden. Sie seien nicht mehr organisch gewachsen, wie in der Vergangenheit, beeinflusst durch die aktuellen Interessen der Bewohner, sie seien funktional geplant wurden. Gut für Gebäude und Autos, nicht für Menschen, glaubt der erfolgreiche Städteplaner. Das müsse sich wieder ändern.
Jan Gehl hat Großstädte auf der ganzen Welt geplant und umgebaut. Der 83-jährige Architekt gilt als Pionier der fahrradfreundlichen Innenstadt. Foto: Sandra Henningson
Und so wirft auch Ivica Lukanic die Frage auf, wie man künftig mit dem Verkehr in der Innenstadt umgehen will. Eine Frage, die die Politik beantworten müsse. "Es wird ja immer sehr polarisierend über den Verkehr diskutiert. Aber aus fachlicher Perspektive ist für die Probleme der Innenstadt der Verkehr nicht die alleinige Lösung. Wir können uns noch so viel über Verkehrsfragen Gedanken machen, der strukturelle Wandel in der Innenstadt hat viele andere Ursachen und nicht nur die Verkehrsplanung. Zu behaupten, wir lösen mit Stellplätzen und Radverkehr die strukturellen Probleme, das ist aus fachlicher Sicht zu kurz gesprochen."
Aus fachlicher Perspektive ist für die Probleme der Innenstadt der Verkehr nicht die alleinige Lösung.
Aus Lukanics Sicht müsse man den Verkehr insgesamt unter die Lupe nehmen und sich vor allem damit befassen, was man in der Innenstadt wolle. Optionen gebe es viele, die von der Kommunalpolitik auch teilweise schon ins Spiel gebracht wurden. So erwähnt der Stadtbaurat beispielsweise die Öffnung der unteren Fußgängerzone für den Autoverkehr. Zugespitzt könne man fragen: Wie viel Fußgängerzone brauchen wir noch?
Die Pandemie als Brandbeschleuniger
"Was mich wirklich besorgt ist, dass die Pandemie ein Brandbeschleuniger für die Entwicklung ist, die wir vorher schon hatten", mahnt Ivica Lukanic. Alle für den Umsatz relevanten Sortimente im Einzelhandel würden zu den stärksten E-Commerce-Produkten gehören. Tatsächlich hat der ohnehin boomende Onlinehandel durch die Corona-Pandemie noch einmal einen deutlichen Aufschwung erhalten. Eine Abkehr davon halten Experten für ausgeschlossen.
So werde es laut Lukanic die harte Aufgabe sein, zu ergründen, wie man den Besatz der Fußgängerzone in Wolfenbüttel konzentrieren wolle. Eine Option wäre mehr Wohnanteil in der Innenstadt zu schaffen, statt "am alten Bild der Wiederbelebung des Einzelhandels festzuhalten." Das sieht auch Jan Gehl so und geht noch einen Schritt weiter. Er ist davon überzeugt, dass Kunst und Kultur den Leerstand in der Innenstadt auffüllen könnten und durch ihre Sogwirkung wiederum neue Unternehmen anziehen. Vereine, Künstler und Verbände müssten in die Innenstadt, um das gesellschaftliche Leben wieder aus der Peripherie zu holen, in den Fokus aller Menschen.
Der Arbeitsschwerpunkt, mit dem sich Bauamt und Politik jetzt beschäftigen müsse, werde sich somit in strukturelle Fragen verlagern. Optisch, so schlägt es zumindest das Bauamt vor, soll die Sanierung wie bereits im ersten Abschnitt angefangen, auch im weiteren Verlauf der Fußgängerzone fortgesetzt werden.
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