Wolfenbüttel: Eine "bunte, kreative und intelligente Demo" mit dem Aufruf: "Ihr Brüder da drüben, bekehrt euch zur Demokratie, bekehrt euch zur Freiheit" *** mit Video und Fotogalerie ***

von Romy Marschall


| Foto: Romy Marschall



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Einen abgesperrten Bereich gab es für die unterschiedlichen Demonstrantengruppen, dazwischen: jede Menge Platz Foto:



Gestern nachmittag fand eine gut besuchte Gegendemonstration an der Friedenstanne auf dem Wolfenbütteler Stadtmarkt statt. Anlaß war eine von der NPD veranstaltete einstündige Wahlkundgebung. Laut Angaben der Polizei fanden sich zwischen 14 und 16 Uhr rund 400 Gegendemonstranten ein, um sich "Für Frieden und Demokratie" einzusetzen. Aufgerufen dazu hatten sowohl Bürgermeister Thomas Pink und das Wolfenbütteler Bündnis gegen Rechtsextremismus sowie Victor Perli unter dem Motto "Wolfenbüttel ist bunt statt braun - kein Platz für Nazis".


Die unter diesem Motto stattfindende erste Gegenveranstaltung vor dem Bankhaus Seeliger hatte Perli beantragt, um einen möglichen Ausweichplatz für die gerichtlich genehmigte Wahlveranstaltung der rechtsradikalen Partei zu blockieren. Zum Hintergrund: Am 31. Dezember hatte die NPD kurzfristig für den gestrigen Montag eine Kundgebung auf dem Stadtmarkt angekündigt. Die Stadt untersagte dies zunächst per schriftlicher Mitteilung am vergangenen Freitag. Daraufhin strengte die Partei im Eilverfahren eine Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht Braunschweig an, der stattgegeben wurde unter der Auflage, die Kundgebung zeitlich zu beschränken auf eine Stunde und räumlich auf die südöstliche Seite des Platzes. Auch in zweiter Instanz verlor die Stadt beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg den Einspruch, der unter anderem mit der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sowie der Bannmeile einer im Rathaus aufgestellten Briefwahlurne begründet wurde.

Von Ungeistern, Rattenfängern und lästigen Fliegen war die Rede, aber auch von Umkehr: "Ihr Brüder da drüben, bekehrt euch zur Demokratie," rief Probst Dr. Hans-Heinrich Schade der Partei hinter den Flatterbändern zu.


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Als das Fahrzeug der NPD ankam, eilten die Gegendemonstranten auf den Stadtmarkt zur lautstarken Begrüßung Foto:



Als sich gegen 13.30 Uhr die ersten Gegendemonstranten einfanden, flatterten auf dem Stadtmarkt erst mal nur die Bänder. Udo Dettmann ist bereits da und baut schon mal Lautsprecheranlagen auf. Initiator Victor Perli, befragt nach seinen Erwartungen, antwortet: "Es wäre schön, wenn wir insgesamt so um die 100 Leute wären." Nach Konstantin Weckers "Sage Nein!" eröffnet er um 14 Uhr die Veranstaltung "Wolfenbüttel ist bunt statt braun - kein Platz für Nazis". Der Erinnerer Jürgen Kumlehn rief verschiedene Einzelheiten aus der Geschichte Wolfenbüttels zur Zeit des Nationalsozialismus auf. In der Nacht vom 6. zum 7. Juli 1933 sei "unter Leitung des berüchtigten Kreisleiters Lehmann ... ein gewaltsamer Schlag gegen Wolfenbüttler Kommunisten" vorbereitet worden, deren Ehefrauen die "Schmerzensschreie noch in 70 Meter Entfernung" hörten. Einige Wochen später seien über 40 Männer und Frauen, die der Wolfenbütteler Linken angehörten, geprügelt worden in den Räumen der ehemaligen Weltlichen Schule Ecke Kanzleistraße/Klosterstraße. "Während der Züchtigungen spielte ein Nazi-Scherge auf einem Schifferklavier fröhliche Melodien, um die Schmerzensschreie zu übertönen." In ebendiesem Moment gegen 14.15 Uhr entsteht spürbare Unruhe, als das von der NPD so benannte "Flaggschiff" durch den Eingang vom Kornmarkt auf den Stadtmarkt fährt. "Wir müssen jetzt mit Zivilcourage und zivilem Ungehorsam dafür sorgen, dass die neuen Nationalsozialisten an ihrer Propaganda gehindert werden! Und ich hoffe, dass in dem zukünftigen stadtgeschichtlichen Museum angemessen an diese Zeit erinnert werden wird," beendet Kumlehn seine Worte. Gemeinsam begeben sich die Demonstranten zur Friedenstanne, wo für 14.30 Uhr die zweite Gegenveranstaltung vom Bündnis gegen Rechtsextremismus geplant ist, die Sabine Resch-Hoppstock unter dem Titel "Für Frieden und Demokratie" angemeldet hatte. Inzwischen sind auch die Polizeibeamten vor Ort, nach Schätzungen unserer Redaktion insgesamt rund 60 Beamte.


Nach einer Begrüßung durch Organisatorin Sabine Resch-Hoppstock, zugleich Sprecherin des Bündnisses gegen Rechtsextremismus, beginnt ein etwa anderthalbstündiges Programm. Zeitgleich beginnt die Kundgebung der NPD, außer tiefen Bässen ist jedoch nichts zu verstehen. Den 16 Zuhörern der Wahlveranstaltung stehen zeitweilig rund 400 Gegendemonstranten gegenüber, die der radikalen Propaganda den Rücken zukehren. Der erste Redner Dr. Kristlieb Adloff sieht "Gespenster aus einer Zeit, in der ganz Deutschland mit Lügen vollgepumpt war" in einer Stadt, in der "Lessing für Wahrheit und Freiheit des Geistes kämpfte." Er sprach vom "lärmenden Ungeist", betont aber auch: "die Gespenster sind wirkliche Menschen und Menschen können sich ändern. Wir haben zu kämpfen um Köpfe und Herzen." Demokratie sei eine "schwierige und anstrengende Angelegenheit", betont er und nimmt auch auf die rechtliche Situation Bezug. "Wenn Gerichte das hohe Gut der Meinungs- und Versammlungsfreiheit so hoch schätzen, daß es uns weh tut, dann ist das auch eine Stärke unserer Demokratie," führt Adloff aus.

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Eine bunte Demonstration der Stadt Wolfenbüttel Foto:



Nach einer musikalischen Einlage, bei der der regional bekannte Musiker Gerhard Pfeiffer das Lied "Im Abendrot" von Franz Schubert intonierte, spricht als nächstes Probst Dr. Hans-Heinrich Schade. Er sei hier für den Erhalt einer freiheitlichen Gesellschaft und "um meiner Sorge Ausdruck zu geben um den Bestand der Demokratie und um auf die Gefährdung aufmerksam zu machen." "Die Stichworte sind alle wieder da," mahnt er und zitiert das Parteiprogramm der NPD. "Ich möchte nicht die Menschen, die solcher Ideologie aufsitzen, nieder machen. Aber ich möchte warnen davor, mit solchen Stichworten Ressentiments und Feindbilder zu bündeln." Stattdessen spricht er die Gegner direkt an: "Ihr Brüder da drüben, bekehrt euch zur Demokratie, bekehrt euch zur Freiheit." Andreas Piltz gemahnt als nächster Redner auch an die Geschichte der katholischen Kirche. Sie trage eine besondere Verantwortung, "tagtäglich entgegen zu wirken", daß Menschen in Not nicht zu einem "Einfallstor für solch ein Gedankengut werden."

Nach einem "Ave Maria", das für eine getragene Stimmung sorgte, rüttelt Bürgermeister Thomas Pink die Gemüter wieder auf, indem er eine sehr deutliche Ansprache hält. "Hier hat unsere Demokratie heute funktioniert, denn alle maßgeblichen Kräfte, alle bürgerschaftlichen Kräfte sind da und dafür ein herzliches Dankeschön." Er hieß alle diejenigen "herzlich willkommen", die die Werte einer "toleranten, demokratischen, diskutierfreudigen, pluralistischen und liebenswürdigen Stadt" teilten. "Aufgrund unserer Geschichte können und dürfen wir es nicht ertragen, wenn Unfrieden mit dumpfen, dämlichen und widerwärtigen Parolen gesät wird," erklärte der oberste Stadtverwalter. "All denen, die dies tun, rufe ich zu: Verschwinden Sie aus dieser Stadt." Er appellierte daran, falls es wieder notwendig werde, auch beim nächsten Mal wieder zusammenzustehen. "Wir sind über Parteigrenzen hinweg so stark und können unsere Demokratie in einer Weise verteidigen, die beispiellos war," bedankte er sich abschließend.

Landrat Jörg Röhmann verwies auf die demokratische Grundordnung und zitierte den Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Er bedankt sich für die gemeinsam gezeigte Symbolik, "wir demonstrieren nicht gegen etwas, sondern für die parlamentarische Demokratie, für unser Grundrecht." Er betonte die Wichtigkeit, sich der Demokratie immer wieder zu vergewissern und erinnerte an ein zentrales demokratisches Element: das Zusammenkommen. Röhmann spann einen weiten Bogen über Europa und machte auf die Gefahren der Jugendarbeitslosigkeit aufmerksam, die in Nachbarländern teils über 50 Prozent liege. "In solchen Ländern ist es leicht, Rattenfängern - die nicht aus Hameln, sondern woanders herkommen, Rattenfängern aufzusitzen und ihnen nachzulaufen." Daher sei es eine zentrale Aufgabe, Jugendlichen in Europa eine Zukunft zu bieten. "Je mehr Leuten wir Chancen bieten, desto weniger gibt es eine Saat für diejenigen, die dort hinten mit lauter Musik und plumpen Parolen versuchen, die demokratische Grundordnung zu gefährden." Eine positive Zukunft gäbe es "nur in einem vereinten Europa", lautete das Fazit des Landrats.

Am Rande der Veranstaltung fand Aufklärungsarbeit statt: Wolfram Oppermann erklärte den beiden Schülern den Grund der Menschenansammlung. "Und wer hat jetzt gewonnen?" wollten sie zum Abschluß wissen. Nachdem Andreas Riekeberg noch darauf aufmerksam machte, daß es "nicht nur eine menschenverachtende Ideologie ist, die dort propagiert wird," sondern diese Ideologie in den vergangenen zwanzig Jahren über 100 Menschenleben gefordert habe, beendete Organisator Michael Sandte die Veranstaltung mit einer Fabel vom Esel: "Der Esel hat gesagt, der liebe Gott hat die Fliegen geschaffen und er hat mir einen Schwanz gegeben, damit ich die Fliegen abwehre. Lieber wär mir, es würde beides nicht geben. Das heißt für heute: wir haben sicherlich eine sehr eindrucksvolle Kundgebung und Veranstaltung hier gemacht, aber lieber wär's mir gewesen, die da drüben würd's nicht gegeben haben. Dann hätten wir nämlich gar nicht hier her gemußt."

Ein gemeinsames Ende fand die Gegendemonstration mit dem Lied "Die Gedanken sind frei!" Gegen 15.55 Uhr verließ der NPD-Laster den Stadtmarkt Wolfenbüttel. Sabine Resch-Hoppstock zog als Fazit: "Wir hatten mehr Leute als die Braunschweiger, da kann man zufrieden sein. Wolfenbüttel hat bewiesen, daß wir eine demokratische Stadt sind." Victor Perli sagte abschließend: "ich bin begeistert, daß meine Prognose von etwa 100 Leuten so deutlich getoppt wurde. Es war eine bunte, kreative und intelligente Demo für ein buntes Wolfenbüttel und gegen Nazis."



Rede von Bürgermeister Thomas Pink


Rede von Landrat Jörg Röhmann


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