Unter dem Titel „Bei aller Liebe…!“ widmeten sich etwa 30 vornehmlich Teilnehmerinnen in der allgemein idyllisch-besinnlichen vorweihnachtlichen Stimmung einer Fachtagung zu dem sehr ernsten Thema von Aggressionen und Konflikten in der häuslichen Pflege. Dies teilte das Frauengesundheitsforum heute mit.
Das Frauengesundheitsforum im Sozialpsychiatrischen Verbund des Landkreises Wolfenbüttel hatte sich dieses Tabu-Themas angenommen, weil gerade in Gesprächen mit pflegenden Angehörigen, aber auch mit professionellen Pflegekräften immer wieder von Konfliktpotentialen und Überforderungssituationen berichtet wird.
Zum Frauengesundheitsforum gehören Bettina Böttcher (Präventionskraft Gesundheitsamt), Heike Küsel (Jugendhilfe WF e. V.), Doris Liefner (sozialpolitisch Interessierte), Susanne Löb (Gleichstellungsbeauftragte), Sabine Resch-Hoppstock (Dipl. Sozialarbeiterin) und Simone Wieczorek (Lukas-Werk Gesundheitsdienste e. V.), die Veranstaltung fand im Tagungshaus auf dem Kirchencampus statt Die jährliche Fachtagung zu verschiedenen gesundheitspolitischen Frauenthemen fand in diesem Jahr bereits zum 15. Mal statt und wendet sich schwerpunktmäßig immer an Multiplikatorinnen, Beratungs- und Fachkräfte aus dem regionalen Sozial- und Gesundheitsbereich.
Nach Eintreffen der Teilnehmerinnen bei einer Tasse Kaffee begrüßte Susanne Löb, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises und führte sowohl organisatorisch als auch inhaltlich in die Fachtagung ein.
Das Grußwort aus der politischen Sozialszene des Landkreises Wolfenbüttel hielt die stellvertretende Landrätin Christiane Wagner-Judith mit einigen inhaltlichen Statements zum Thema Gewalt in der Pflege.
Dann folgte das erste Referat unter dem Titel „Das Eine was ich will – das Andere, was ich kann! – wie gewaltträchtig sind Pflegesituationen?" von Sabine Resch-Hoppstock. Die Diplom-Sozialarbeiterin und Leiterin eines Alten- und Pflegeheimes orientierte sich in ihrem Vortrag an einer pflegewissenschaftlichen Maßeinheit, den sog. AEDLs (Aktivitäten und existenzielle Erfahrungen des Lebens). Es handelt sich hierbei um insgesamt 13 Oberpunkte, die den Alltag jedes Menschen abbilden. Im Falle von Pflegebedürftigkeit übernimmt der Pflegende in Teilen Aufgaben aus allen 13 Bereichen und beeinflusst dadurch die jeweilige Aktivität des zu Pflegenden positiv oder negativ. So kommt es häufig zu Konfliktsituationen, die in dem Referat beleuchtet wurden.
Nach einer Pause, die auch Gelegenheit bot, die begleitende Fotoausstellung mit über 20 z. T. verfremdeten Portraits von alten und pflegebedürftigen Menschen sowie den Büchertisch, ausgestattet von der Fa. Steuber, anzusehen, folgte ein weiteres Referat.
Unter dem Titel „Manchmal würde ich am liebsten weglaufen – Ursachen und Bedingungen für häusliche Konflikte bei der Pflege“ berichtete die Diplom-Sozialpädagogin und Mediatorin Gabriele Tammen-Parr, Projektkoordinatorin der Beratungsstelle „Pflege in Not“ des Diakonischen Werks Berlin Stadtmitte e. V., aus ihrer Arbeit.
Anhand von praktischen Beispielen zeigte sie Lösungsmöglichkeiten für Konfliktfälle in der Pflegesituation auf und berichtete von längerfristigen Begleitungen, in denen verdeckte Familienauseinandersetzungen aufgearbeitet werden. Inhalt der Arbeit kann und soll natürlich Schutz und Unterstützung für den schwächsten Teil der Beziehung sein, in diesen Fällen vermeintlich meist der zu Pflegende. Aber pflegende Partner, Kinder oder Schwiegerkinder sind häufig genauso schutz- und unterstützungsbedürftig, sie fühlen sich emotional und moralisch in die Ecke gedrängt, sind überfordert und alte Familienwunden reißen in der Pflegesituation wieder auf. Mit einfühlsamer Beratung kann den Ursachen auf den Grund gegangen werden, es wird Entlastung für die Beteiligten geschaffen und sachgerechte Lösungsmöglichkeiten, die beziehungserhaltend zwischen den Parteien sind, werden durch die Arbeit von Gabriele Tammen-Parr und ihren Kolleginnen geschaffen.
Die Berliner Beratungsstelle „Pflege in Not“ ist die einzige der 14 bundesweiten Beratungsstellen, die speziell auch auf pflegende Angehörige ausgerichtet ist, deshalb konnte Gabriele Tammen-Parr auch von Anfragen aus allen Teilen der Republik berichten.
Nach eingehender Diskussion mit den Teilnehmenden und der Darstellung zahlreicher persönlicher Facetten endete diese Fachtagung mit Tiefgang am frühen Nachmittag. Sicher konnte das Thema „Gewalt in der Pflege“ nur angerissen werden und Ausrichterinnen, Teilnehmende wie Referentinnen sind sich darüber einig, dass Gewalt- oder Drucksituationen zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden nicht mit Vorsatz und aus Gewaltbereitschaft heraus entstehen, sondern durch die Umstände bedingt werden. Trotzdem oder gerade deswegen gibt es in diesem Bereich weiterhin viel Gesprächs- und Aufklärungsbedarf, dem in den nächsten Jahren aufgrund der Zunahme der Pflegebedürftigen noch viel mehr Rechnung getragen werden muss.
Wolfenbüttel: Fachtagung "Konflikte in der Pflege"
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