Die Gleichstellungsbeauftragte des Landes und das AWO-FrauenschutzHaus Wolfenbüttel informieren Passanten in der Fußgängerzone zum Thema Gewalt gegen Frauen und Frauenrechte Foto:
Tatort Zuhause: häusliche Gewalt ist die häufigste Verletzungsursache bei Frauen. Der aktuelle Fall in Braunlage hat das in aller Drastik einmal mehr gezeigt. Niedersachsenweit kommt es täglich zu 29 Polizeieinsätzen in Fällen häuslicher Gewalt. Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November ist seit 1981 ein weltweiter Aktionstag von Frauenbündnissen mit dem Ziel der Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen. "terres des femmes e.V.", die bekannteste Vereinigung für die Menschenrechte von Frauen setzt bereits seit zwölf Jahren ein weltweites öffentliches Zeichen an diesem Tag. Bis zum 10. Dezember sind auch in Wolfenbüttel zehn Fahnen mit dem Motto "Frei Leben - ohne Gewalt" an zentralen öffentlichen Gebäuden und Plätzen gehisst.
Im Vorfeld des Aktionstages informierten letzten Mittwoch Tanja Friese und Andrea Reinhardt-Ziola vom AWO FrauenschutzHaus Wolfenbüttel (FSH) gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Susanne Löb während des Wochenmarktes über die Rechte der Frau. "Statistisch verbleibt eine Frau bis zu acht Jahre in einer gewalttätigen Beziehung," schildert die Leiterin des FSH. Die Schamschwelle sei immer noch enorm hoch, "viele scheuen sich in Berührung mit dem Thema zu kommen," so Reinhardt-Ziola weiter. Es finde häufig eine Verschleierung in dem Sinne statt, daß Betroffene sich für ihr Kind, die Schwester oder Freundin erkundigten. Positiv schlage allerdings der Generationenwechsel zu Buche, insbesondere hilfsbedürftige Migrantinnen seien heute aufgeklärter und holten sich schneller Hilfe.
[image=5e176525785549ede64ce0c9]Pro Jahr werden in Wolfenbüttel etwa 50-70 Frauen mit ebensovielen Kindern im FrauenschutzHaus aufgenommen, erzählt dessen Leiterin. An die Beratungsstelle der AWO wenden sich jährlich rund 120 Frauen, berichtet Tanja Friese und ergänzt: "die in aller Regel vorher einen Polizeieinsatz hatten." Susanne Löb unterstreicht, daß die bereits erwähnten 29 täglichen Einsätze in Fällen häuslicher Gewalt der Polizei Niedersachsen "nur die angezeigten Fälle" seien. Studien der Bundesregierung belegen, daß auch heute noch jede vierte Frau in Deutschland mit häuslicher Gewalt konfrontiert ist. Einen besonders schwierigen Fall konstruiert die Gleichstellungsbeauftrages des Kreises: in kleinen Gemeinden, wenn der gewalttätige Mann über soziale Netzwerke fest eingebunden ist, finde eine betroffene Frau nur sehr schwer Gehör. Ihre Glaubwürdigkeit werde in Frage gestellt und anonyme Hilfe sei durch fehlende öffentliche Anbindung nicht erreichbar, so befänden sie sich in einer sehr isolierten Position.
Andrea Reinhardt-Ziola berichtet aus ihrer Erfahrung im Frauenschutzhaus, "die schwierigste Phase ist die Trennungsphase." Trennung und Trennungsabsicht gehören neben Gewalterfahrung in Kindheit und Jugend zu den Risikofaktoren für häusliche Gewalt an Frauen. Eine weiteres Problem neben Risikofaktoren und Tabuisierung des Themas sei ein zu beobachtender "roll-back", wie Susanne Löb ausführt. Trotz besserer Voraussetzungen seien junge deutsche Frauen weniger kämpferisch geworden, "es finde kein Infragestellen der Rollenbilder mehr statt," erläutert sie ihre Prognose. Immer noch steckten mehr junge Frauen zugunsten der Familienplanung zurück. Die 2009 veröffentlichte Bundesstudie "Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen" belegt, daß Frauen in mittleren und höheren Bildungs- und Sozialschichten in viel größerem Umfang als bisher bekannt Opfer von Gewalt werden.
Im September 2007 legte die Bundesregierung einen Aktionsplan II zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen vor, mit dem 130 Maßnahmen gefordert wurden. Eine davon soll Ende 2012 umgesetzt werden: ein bundesweites Hilfstelefon. Bei diesem niedrigschwelligen Hilfsangebot handelt es sich um eine bundeseinheitliche Rufnummer, die anonym und rund um die Uhr erreichbar sein solle.
Die derzeit gehissten Flaggen für ein freies Leben werden begleitet von der Fotoausstellung "Häusliche Gewalt". Eröffnet wird sie von der stellvertretenden Landrätin Christiane Judith-Wagner am 27. November um 15 Uhr im Erschließungsturm der Landkreisverwaltung. Ein Motiv aus der Ausstellung wird zusätzlich auf drei Großflächenplakaten am Neuen Weg, am Wasserwerk sowie am Bahnhof auf das Thema aufmerksam machen.
1960 entschlossen sich in der Dominikanischen Republik die Schwestern Mirabal Widerstand gegen das diktatorische System zu leisten. Dafür wurden sie verschleppt, gefoltert und schließlich ermordet. Vor diesem Hintergrund wurde vor über 30 Jahren der internationale Gedenktag gegen die Gewalt an Frauen gegründet.
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