Das neue Tierschutzlabel Einstiegsstufe. Quelle: Tierschutzbund Foto: Tierschutzbund
Ein neues Tierschutzlabel kennzeichnet Fleisch aus tierfreundlicher Haltung und Produktion. Das neue Siegel ist nicht nur für Verbraucher relevant, sondern interessiert auch Schweine- und Geflügelzüchter. Das Ministerium sieht sich in der Mittlerrolle. WolfenbüttelHeute.de fragt nach bei der Geflügelwirtschaft, dem niedersächsischen Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucher sowie in Denkte bei Geflügelbauer Ulrich Löhr.
Mehr Transparenz für die Verbraucher
Vergangenen Samstag ging die 75. Internationale Grüne Woche in Berlin zu Ende. Der Deutsche Tierschutzbund nahm die weltweit größte Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau als publikumswirksamen Startpunkt für die Handelseinführung des neuen Labels "Für Mehr Tierschutz". Verbesserungen für die Haltung, Schlachtung und den Transport von Zuchttieren verspricht sich der Verbund durch die neue Kennzeichnung. Zunächst ist eine Zertifizierung für Schweine und Hühner vorgesehen.
Entwickelt wurde das neue Siegel von der Göttinger Initiativgruppe "Tierwohl-Label", der neben Landwirten, Fleischproduzenten und Einzelhändlern auch Wissenschaftler und Tierschützer angehören. Das zweistufige Modell unterscheidet zwischen Mindestanforderungen als Einstieg und einer "Premiumstufe", die unter anderem deutlich mehr Platz und Freilandzugang für die Tiere, aber auch artgerechte Freizeit fordert. Alle Anforderungen liegen weit über den gesetzlichen Mindeststandards.
Damit ein fertiges Fleischprodukt die Etikettierung erhält, wird die gesamte Produktionsstrecke überprüft. Für industrielle Großzüchtereien ist das Siegel nicht erreichbar, da es Bestandsobergrenzen (max. 2 x 30.000 Mastplätze) beinhaltet und langfristig den Einsatz von Gentechnik ausschließt, wie es auf der eigenen Homepage heißt. Die Premiumstufe des Tierschutzlabels ist vergleichbar mit dem Bio- oder Neuland-Siegel, bezieht sich aber generell auf alle Produktionsstufen von Zucht bis Schlachtung. Neuland war an der Entwicklung des neuen Labels beteiligt.
Das neue Tierschutzlabel Premiumstufe. Logo: Tierschutzbund Foto:
Im Zuge vorbereitender und begleitender Studien der Universität Göttingen und des Bundeslandwirtschaftsministeriums ermittelten Forscher, daß die meisten Deutschen Wert auf tiergerechte Haltung legen, aber lediglich zwanzig Prozent bereit sind, für entsprechende Lebensmittel auch tiefer in die Tasche zu greifen. Es ist nun an den Konsumenten, durch den Kauf der teureren Tierprodukte ihre Wertschätzung für eine tiergerechte Haltung und Verarbeitung auszudrücken. Das neue Tierschutzlabel hilft ihnen bei der Auswahl.
Skepsis in Denkte bei Bauer Löhr
Geflügelbauer Ulrich Löhr, der in Denkte eine Mastanlage betreibt, hatte bereits im Oktober letzten Jahres für Einblick gesorgt (WolfenbüttelHeute.de berichtete). Im Rahmen einer Transparenzoffensive des Landesverbandes Niedersächsische Geflügelwirtschaft (NGW) öffnete der teils in örtlicher Kritik stehende Bauer seine Pforten. Im Vorfeld versuchte eine Bürgerinitiative vergeblich die Inbetriebnahme und den Bau der Geflügelmastanlage zu verhindern.
Bauer Löhr erwartet "keine Riesenwelle" und steht dem neuen Label insgesamt kritisch gegenüber. Man müsse erst mal abwarten, wie der Markt die Neuerung aufnehme. "Es gibt da eine Divergenz zwischen Sagen und Tun." Sein Hauptkritikpunkt ist eine uneinheitliche Siegellandschaft: "Wir verlabeln uns." Dies sorge für Verwirrung beim Kunden und führe in der Außenwahrnehmung dazu, daß der Tierschutz als "Marketingmasche" wahrgenommen werde.
"Ich erzeuge für den Markt und vermarkte meine Hühner an Wiesenhof", berichtet Löhr. Der Bauer schildert die Investitionen, die für eine Zertifizierung nötig wären. Beispielsweise müßte mit erheblichen Kosten die komplette Stallbelüftung umgestellt werden, "dafür, daß ich - profan gesagt - Löcher in die Wand bohre". Die Höhe der Investionskosten könne er nicht beziffern. Damit befasse er sich, wenn es am Markt deutliche Signale gäbe. "Ich lasse mir nicht einfach einreden, daß ich was Schlechtes tue. Die große Mehrheit der Verbraucher hat auch Vertrauen in die konventionelle Herstellung."
Eine Nische für die Geflügelwirtschaft
Im Gespräch mit unserer Online-Zeitung sieht der NGW-Verbandsvorsitzende Wilhelm Hoffrogge zunächst die Verbraucher in der Pflicht. "Wir begrüßen die Initiative und werden mit Neugierde beobachten, wie sich die Nachfrage entwickelt, um gegebenenfalls umzurüsten." Eine Marktprognose von zwanzig Prozent hält Hoffrogge jedoch für eine "sehr optimistische Wertung". Seiner eigenen Einschätzung nach werden nur etwa fünf Prozent der Käufer reagieren.
Wilhelm Hoffrogge besucht eine Geflügelfarm. Foto: Archiv
Der Vorsitzende der niedersächsischen Geflügelwirtschaft macht darauf aufmerksam, daß die Nachfrage nach Geflügelfleisch aus Biohaltung bisher weniger als ein Prozent ausmache und erklärt damit die Zurückhaltung des Verbandes. Notwendige Investitionen im Zuge einer angestrebten Zertifizierung werden zu einem Preisaufschlag von 30 Prozent bei ganzen Hähnchen und bis zu 100 Prozent bei Geflügelteilen gegenüber der konventionellen Ware führen. Fraglich sei auch, in welcher Breite der Handel die neue Ware anbieten werde. "Es wird eine Nische sein; und eine Nische bleiben."
Für den Verbandsvorsitzenden genüge die normale konventionelle Form der Geflügelhaltung den Tierschutzansprüchen. Daher sei eine grundlegende Veränderung der Standards nicht notwendig, bemerkte Wilhelm Hoffrogge. Das eingeführte Tierschutzlabel sehe er als ein "Angebot an den Verbraucher, sich tierschutzgerecht zu verhalten", dem man bei entsprechender Nachfrage gerne nachkomme.
Ein Marketinginstrument für den Großkonzern
Der Geflügelproduzent Wiesenhof, zu dessen Vertragspartnern auch Bauer Löhr gehört, ist Teil der PHW-Gruppe mit Hauptsitz im niedersächsischen Visbek-Rechterfeld. "Ich freue mich sehr, dass unser Privathof-Konzept die Kriterien des Deutschen Tierschutzbundes erfüllt, die für die Tiere einen Mehrwert an Tierwohl gewährleisten", erklärte Peter Wesjohann, der Vorstandsvorsitzende der PHW-Gruppe, anläßlich der Markteinführung des Labels.
Wintergarten im Privathof-Stall Attenberger. Foto: Wiesenhof/Armin Weigel
Das Premiumsegment "Privathof-Geflügel" wurde mit Münchner Wissenschaftlern entwickelt beispielsweise unter Einsatz von Stallkameras. Bereits im Januar hat der Konzern 27 Betriebe in Bayern und Baden-Württemberg mit dem Tierschutzlabel zertifizieren lassen, wie das Branchenmedium top agrar meldete. Zudem seien für Februar weitere 15 Zertifizierungen in Niedersachsen vorgesehen, heißt es in der Meldung weiter. Unsere Nachfrage, um welche niedersächsischen Höfe es sich dabei handle und ob sich darunter einer im Landkreis Wolfenbüttel befinde, konnte die Pressestelle bislang noch nicht beantworten.
Seit der Markteinführung im Oktober 2011 konnte der Absatz der Marke Privathof vervierfacht werden, teilt der Konzern in einer Pressemitteilung mit. "Wir freuen uns über den großen Erfolg und wünschen uns durch das Label des Deutschen Tierschutzbundes zusätzliche Absatzimpulse", wird der für die Marke verantwortliche Geschäftsführer Dr. Josef Bachmeier zitiert. Bachmeier ist auch Mitglied des Labelbeirates. Seit der Kalenderwoche 4 wird das Geflügel mit dem neuen Label ausgeliefert. Ein zusätzlicher QR-Code erlaubt dem Smartphonebesitzer sich im Laden über die Herkunft des Hähnchens zu informieren.
Eine gute zweitbeste Lösung für den Landwirtschaftsminister
Stefan Fenner, Sprecher des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, beschreibt im Gespräch mit unserer Redaktion das Tierschutzlabel als einen "ausgesprochen vielversprechenden Ansatz". Dem Verbraucher werde ermöglicht, beim Einkauf zu erkennen, wie ein Produkt erzeugt wurde. "Das schafft eine neue Wahlmöglichkeit und stärkt die Rolle als mündiger, entscheidungsfähiger Bürger."
Das Ministerium befürwortet das neue Siegel, warnt aber vor einer Vielzahl unterschiedlicher Labels ähnlichen Inhalts. "Dann würde der gewonnene Transparenzeffekt umschlagen in einen Informationsdschungel", so Fenner. Minister Gert Lindemann strebe ein europaweit einheitlich geregeltes Siegel an, aber dies sei derzeit nicht in Sicht. "Das Tierschutzlabel ist eine gute zweitbeste Lösung", zitiert der Pressesprecher den Amtschef.
Auf Landwirtschaftsminister Lindemann geht der Niedersächsische Tierschutzplan zurück, der 2011 ins Leben gerufen wurde. Entgegen dem Landesverband Niedersächsischer Geflügelwirtschaft sei das Ministerium und Lindemann nicht der Auffassung, die derzeitige Lage würde den gesetzlichen Tierschutzbedingungen genügen. "Mit dem Tierschutzplan arbeiten wir an der Erfüllung der gesetzlichen Mindestanforderungen in der gesamten Breite, für jeden Tierhalter im Land."
Stefan Fenner schildert die Überschneidungspunkte mit dem Tierschutzlabel. Einzelne Praktiken in der Tierhaltung wie beispielsweise das Schnäbel kürzen oder Ferkelschwänze kupieren sind unzulässige Eingriffe in den Tierorganismus. Dennoch werde es in der industriellen Tierhaltung mittels einer Ausnahmegenehmigung praktiziert. Hier will das Ministerium nachbessern. In Puncto Platzangebot und Auslauf gehe das Siegel aber weit über den Tierschutzplan hinaus.
Weitere Informationen zum Tierschutzlabel finden Sie auf der Homepage des Tierschutzbundes.
Weitere Informationen zum niedersächsischen Tierschutzplan finden Sie auf der Homepage des Ministeriums.
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