Wolfenbüttel: "Rollende Arztpraxis" macht künftig Hausbesuche




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Was tun, wenn in wenigen Jahren auch im Landkreis Wolfenbüttel die Menschen immer älter werden, aber die Zahl der Hausärzte immer mehr zurückgeht? Ein Ansatz unter mehreren ist die „Rollende Arztpraxis“, die immobile Patienten in ihren Heimatdörfern versorgen könnte. Auf einer Informationsveranstaltung für die im Landkreis niedergelassenen Ärzte präsentierten Landrat Jörg Röhmann und Experten des Projektes „Zukunftsregion Gesundheit“ ihren Überlegungen zur mobilen Patientenversorgung. Rund 60 Gäste waren der Einladung in das „SchmidtTerminal“ in Wolfenbüttel gefolgt, darunter auch viele Bürgermeister, denen die ärztliche Versorgung ihrer Gemeinden unter den Nägeln brennt.


Ein kurzer Filmbeitrag eingangs machte deutlich: Was bei uns noch Zukunftsmusik ist, gehört in der Schweiz längst zum Alltag. Auch die Gebiete um Zürich und Basel sind vom Ärztemangel gebeutelt. Um die Lücken zu schließen, kommen Ärzte in Kleinbussen zu den Patienten, um die medizinische Basisversorgung sicherzustellen.

So könnte das auch im Landkreis Wolfenbüttel funktionieren, umriss Landrat Jörg Röhmann anschließend das Konzept. Im Rahmen eines Pilotprojektes soll in Zukunft eine „rollende Arztpraxis“ über die Dörfer fahren, um dort vor allem ältere, immobile Patienten zu betreuen. Denn die Wege in die Arztpraxis werden künftig länger werden und für manche Patienten nicht mehr zu schaffen sein. Umgekehrt könnten die Hausärzte in ihren Praxen von den notwendigen Haus- und Heimbesuchen entlastet werden – das übernehmen die mobilen Kollegen oder Kolleginnen. Die Praxen gewinnen dadurch freie Kapazitäten für zusätzliche Patienten.

Der Wille zur Zusammenarbeit entscheidet

Das klingt einfach, ist im Detail aber schwierig. Das fängt beim Datenabgleich an: Um dem Besuchsarzt den Zugriff auf die Patientendaten der behandelnden Praxis oder Klinik zu ermöglichen, ist eine aufwändige Funkvernetzung unterschiedlicher EDV-Systeme erforderlich. Prof. Reinhold Haux vom Institut für medizinische Informatik der TU Braunschweig, der das Projekt technisch betreuen wird, zeigte sich aber zuversichtlich, dass die technischen Hürden gemeistert werden können.

Auch Fragen der ärztlichen Abrechnung, der Finanzierung der „rollenden Praxis“, der Arbeitsorganisation der beteiligten Ärzte sind lösbar, waren die Experten überzeugt. Entscheidend ist der „Faktor Mensch“: Wird die „rollende Arztpraxis“ von den Patienten auch angenommen? Vertrauen sie dem mobilen Besuchsarzt? Genau dies soll das Projekt herausfinden.

Und auch die beteiligten Ärzte müssen sich kollegial zusammenfinden. „Wir wollen mit der rollenden Arztpraxis den Hausärzten keine Konkurrenz machen!“ betonte Landrat Jörg Röhmann mehrfach. „Unsere Grundprämisse ist eine enge Zusammenarbeit mit den Hausärzten. Es gibt keine Behandlung an den Ärzten vorbei!“ Der Patientenstamm der Praxen, die Patientenbindung an die Ärzte müssten erhalten bleiben. Die mobile medizinische Betreuung als künftige dritte Säule der Versorgung diene nur der Entlastung der bestehenden Strukturen. „Wir werden hoffentlich nie eine Grundversorgung in dieser Form bekommen“, so Röhmann.

Die Zeit drängt

Die Idee wurde in der Arbeitsgruppe „Mobilität und Infrastruktur“ im Rahmen des Landesprojektes „Zukunftsregionen Gesundheit“ entwickelt. In interdisziplinären Arbeitsgruppen werden innovative und bedarfsorientierte Projekte zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Landkreis erdacht.

Der Landkreis Wolfenbüttel ist eine von drei „Zukunftsregionen Gesundheit“ in Niedersachsen. Er will mit der „rollenden Arztpraxis“ keine Zeit verlieren. Denn er wird vom Ärztemangel früher betroffen sein als die meisten anderen Gebiete Niedersachsens. „Die Versorgungssituation ist hier besonders schwierig“, umriss Stefan Hofmann, Geschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), Bezirksstelle Braunschweig, die Situation. „Der Landkreis ist akut von Unterversorgung bedroht.“ Jörg Reyttarowski von der AOK skizzierte die künftige Bedarfslage: Der Altersdurchschnitt werde im Landkreis deutlich ansteigen; Auswertungen der AOK zeigten, dass Patienten in dieser Altersgruppe rund 30 Prozent mehr an ärztlichen Leistungen benötigten als der Durchschnitt. „Wir werden die Versorgung mit den jetzigen Mitteln nicht mehr sicherstellen können.“

Um die „rollende Arztpraxis“ starten zu lassen, haben sich mehrere Partner der „Zukunftsregion Gesundheit“ zu einer Allianz zusammengefunden. Die VW AG stellt das Fahrzeug zur Verfügung, das medizinische Inventar finanzieren die KVN und die AOK, die telemedizinische Einrichtung kommt von T-Systems, die laufenden Kosten werden aus Projektmitteln des Landkreises bestritten. Und die TU Braunschweig wird das Projekt wissenschaftlich begleiten. Julius von Ingelheim, Vorstandssprecher der Wolfsburg AG und Geschäftsführer des Projektes Region Braunschweig GmbH, begründete das Engagement der Volkswagen AG mit der hohen Bedeutung der Region für das Unternehmen. Das Umland von Braunschweig sei eine wirtschaftsstarke Region mit großartigen Einrichtungen, habe aber ein Imageproblem. Es gelte, auch durch Gesundheitsförderung die Lebensqualität für die künftig dringend benötigten Fachkräfte vor Ort zu steigern. „Wir haben noch Chancen, den Trend umzukehren. Dafür muss die Region attraktiver werden.“

Die Initiatoren des Projektes sind sicher, auf der Informationsveranstaltung gute Überzeugungsarbeit geleistet zu haben. Gesucht werden eine oder mehrere Praxen, die bereit sind, mit der mobilen Arztpraxis auf neue Wege zu rollen. Der Zeitplan ist ehrgeizig. Bis Ende des Jahres sollen alle Vorarbeiten abgeschlossen sein. Im Frühjahr, spätestens Sommer 2013 soll das Arztmobil anrollen. „Wir haben noch kein fertiges Konzept in der Schublade“, so Stefan Hofmann, „aber wir sind arbeitsfähig und können loslegen.“




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