Wolfsburg. Die Wolfsburger Region ist schon immer Grenzland gewesen – angefangen bei den Bartensleben bis zur deutschen Wiedervereinigung vor über 25 Jahren. Wolfsburg galt als „Stadt an der Grenze der politischen Systeme“. Dieser politisch-geografische Aspekt war mitbestimmend für die Richtung eines Veranstaltungsformates.
Neu war für unsere Region eine Begegnung von Künstlern alternativer Kunstformen wie Jazz, Kleinkunst und Chöre. Keine drei Jahre im Amt profilierte der damalige Kulturdezernent Dr. Wolfgang Guthardt mit der Kulturabteilung 1990 ein Festival auf Schloss Wolfsburg, in dem Kunst, Musik, Schauspiel und Spektakel in geradezu geballter Form präsentiert wurden. Das Festival mit der Bezeichnung „Grenzgänge“ bot über vier Wochen ein Kulturprogramm, das es in dieser Form in Wolfsburg noch nicht gegeben hat. Multimediale und grenzüberschreitende Darstellungsformen ließen das Festival zu einem sinnlichen Kulturerlebnis werden.
Nach Einschätzung von Dr. Guthardt besitzt Wolfsburg mit seinem Schloss „einen Ort mit der Atmosphäre des Alt-Ehrwürdigen mitten in der jungen Stadt“. Es ist ein Ort, des zugleich Imposanten und Geborgenen, ein Ort aus dem mehr gemacht werden sollte als Gegengewicht zu Wolfsburgs Image als Industriestadt. Man würde immer wieder feststellen, dass Künstler dieses Schloss für ihr Schaffen sehr anregte. Einen internationalen Anstrich erhielt das Festival „Grenzgänge“ durch die Teilnahme von Solisten und Ensembles aus der DDR, der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien, Ungarn, England, den Niederlanden, Frankreich, den USA, Uruguay, Portugal und der Bundesrepublik. Das Motto „Grenzgänge“ beinhaltete somit auch eine Begegnung zwischen Künstlern aus West und Ost. Als Archivalie des Monats dient ein Auszug aus der Pressemitteilung der Kulturabteilung vom 23.03.1990 (HA 11825) zu den konzeptionellen Überlegungen der Veranstaltungsorganisatoren. Der vollständige Titel des geplanten Kulturevents lautete „Grenzgänge – Festival für Musik & Theater, Klang, Stimme und mehr“. In der Pressemitteilung hieß es unter anderem: „Das Festival will den Wolfsburgern , aber darüber hinaus auch einem überregionalen Publikum etwas Besonderes bieten“.
Jazz bildete den Veranstaltungsschwerpunkt des ersten Wochenendes. Höhepunkte waren Auftritte des amerikanischen Jazz-Klarinettisten Perry Robinson und der „Barrelhouse Jazzband“, die die Geschichte des Jazz von Dixi bis Bebop musikalisch mit Spielfreude und Professionalität umsetzte. Dem Festivalmotto gerecht wurde auch die Musikgruppe „Contaminatio“, die verschiedene Musikstile von Kammermusik bis Jazz verknüpfte. In Zusammenarbeit mit der Veranstaltungsreihe „Musikland Niedersachsen“ gelang es, das „John McLaughlin-Trio“ für einen Auftritt im Schloss Wolfsburg zu verpflichten. Der amerikanische Musiker McLaughlin gilt als einer der weltbesten Gitarristen, und er bot mit seiner Formation einen Querschnitt aus Flamenco, Blues, Jazz und Funk. Die letzten Veranstaltungen des Festivals waren dem Chorgesang vorbehalten. Neben dem Rundfunk-Jugendchor Wernigerode traten auch die Wolfsburger Chorgemeinschaft und der Wolfsburger Männerchor mit ihrem Repertoire auf. Kinderchören des Sängerkreises Wolfsburg/Gifhorn/Peine wurde ebenfalls ein Programmpunkt eingeräumt. Eine West-Östliche-Chorbegegnung und der Auftritt des russischen Zigeunerensembles „Schwarze Augen“ bildeten den Abschluss des Festivals „Grenzgänge“.
Nicht nur diente der Schlosspark auch als Bühne, sondern dem Thema „Grenzgänge“, Bühne, Grenzüberschreitung und Balance wurde durch Objekte im Park visueller Ausdruck verliehen. Der Erfolg des Festivals ermutigte den Kulturdezernenten Dr. Guthardt und seine Mitarbeiter in der Kulturabteilung zur Fortsetzung in den Folgejahren, allerdings erhielt das Festival den Namen „Intern. Sommerbühne Schloss Wolfsburg“, der sich schnell etablierte und zu einem überregional bekannten Markenzeichen wurde. Der emotionale Reiz des historisch-authentischen Veranstaltungsortes wirkt auf Besucher unvergleichlich in der modernen funktional angelegten Stadt. Die „Sommerbühne“ hat den Kulturort Schloss Wolfsburg aufgewertet und verfügt über einen festen Platz als Highlight im jährlichen Veranstaltungskalender der Stadt. Auch überregional wurde die Sommerbühne, die mittlerweile 25 Jahre besteht, zum Fixpunkt im Kulturangebot.
Ansprechpartner: Werner Strauß, Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS), E-Mail: werner.strauss@stadt.wolfsburg.de
Kulturfestival „Grenzgänge“ 1990 im Schloss Wolfsburg
Ein Festivalplakat von 1990. Foto: Stadt Wolfsburg | Foto: Stadt Wolfsburg