„Nicht hinnehmbare Hetze“ - TU und Helmholtz-Zentrum kritisieren Bildzeitung

Das Boulevard-Blatt hatte in einem Artikel suggeriert, drei namentlich und mit Foto genannte Wissenschaftler seien persönlich für aktuelle Corona-Einschränkungen verantwortlich.

Das Helmholtz-Zentrum stellt sich genau wie die TU hinter seinen Wissenschaftler. Symbolbild
Das Helmholtz-Zentrum stellt sich genau wie die TU hinter seinen Wissenschaftler. Symbolbild | Foto: Alexander Dontscheff

Braunschweig. "Die Lockdown-Macher - Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest", hatte die Bildzeitung am Samstag einen Artikel betitelt. Zu sehen waren die Köpfe der Wissenschaftler Michael Meyer-Hermann (Professor an der Technischen Universität Braunschweig und Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung), Viola Priesemann (Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen) und Dirk Brockmann (Wissenschaftler am Robert Koch-Institut). Als Angriff werten Technische Universität Braunschweig und Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung den Artikel in einer gemeinsamen Stellungnahme und werfen der Bildzeitung „nicht hinnehmbare Hetze“ vor.



Es handele sich um eine diffamierende und inhaltlich falsche Berichterstattung. Online und in der gedruckten Ausgabe habe Bild die abstruse Behauptung publiziert, die genannten Wissenschaftler seien persönlich für einschränkende Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie verantwortlich. Bild schaffe so ein Klima von Einschüchterung und Angst und trage zur Radikalisierung von Impfgegnern und Verschwörungsgläubigen bei.

"Wasser auf die Mühlen der Impfgegner"


„Wir stehen voll und ganz hinter den Forschungsarbeiten unseres Mitglieds Michael Meyer-Hermann und seiner Kolleginnen und Kollegen“, so die Präsidentin der TU Braunschweig, Professorin Angela Ittel. Die Physiker hätten die Entwicklung der vierten Welle der Corona-Pandemie modelliert und frühzeitig mögliche Gegenmaßnahmen aufgezeigt. Die Berichterstattung der Bildzeitung sei populistische Meinungsbildung und somit Wasser auf die Mühlen der Impfgegner, so die Präsidentin.

„Wir können dankbar sein, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Pandemieverlauf so präzise berechnen können und ihre Erkenntnisse der Politik und Gesellschaft zur Verfügung stellen, damit möglichst rasch geeignete Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung getroffen werden können,“ sagt Prof. Dirk Heinz, Wissenschaftlicher Geschäftsführer am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, an dem Michael Meyer-Herrmann die Abteilung System-Immunologie leitet. „Worauf sollen sich Politiker in Zukunft stützen, wenn die Wissenschaftler aus Sorge vor Hass-motivierter Verfolgung nicht mehr gewillt sind, ihre Expertise in die erforderlichen Entscheidungsprozesse einzubringen?“

Deutscher Presserat gefordert


Da nicht anzunehmen sei, dass Bild für die verbalen Übergriffe gegen Wissenschaftler um Entschuldigung bitten werde, seien jetzt der Deutsche Presserat und die Journalistenverbände aufgefordert, sich mit deutlichen Worten von derlei "Berichterstattung" zu distanzieren, so Ittel und Heinz. Immerhin stehe das hohe Gut "Freiheit von Forschung Lehre" unter dem Schutz desselben Grundgesetzartikels 5 wie die Pressefreiheit, die der anonyme Autor des Bildartikels für den Angriff auf die Wissenschaft in Anspruch nehme.

Auch Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler ruft zu mehr Sachlichkeit in Krisensituationen auf. „Mir ist es ein besonderes Bedürfnis, mich vor unsere Forscherinnen und Forscher zu stellen. Dies gilt besonders für diejenigen, die nach deutlichen Aussagen mit Angriffen auf sich und ihre Reputation konfrontiert werden", erklärt er in einem Pressestatement. Die Zahl derjenigen, die sich im Widerspruch zu wissenschaftlichen Ergebnissen legitimiert fühlten, jegliches Maß des Anstands aufzugeben, sei längst zu groß, um sie auf Einzelfälle zu reduzieren. Die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit sei gerade in diesen Zeiten eine gemeinsame Herausforderung. "Sowohl in der Pandemie als auch bei den darauffolgenden Herausforderungen im Zuge des demografischen und digitalen Wandels ist der Beitrag der Wissenschaft inzwischen unverzichtbar. Wissenschaft braucht Sichtbarkeit, aber Polemisierung spaltet die Gesellschaft“, so Thümler.


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