Bei Tires gibt Senf und viel, viel mehr

von Andreas Molau




Tires ist mehr als ein Senfladen. Das Feinkostgeschäft und Bistro ist längst schon über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und findet immer neue Freunde.


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Wer über die Lange geht in Wolfenbüttel, kommt über Seeliger oft nicht hinaus. Zumindest seit das ehemalige Karstadt-Gebäude leer steht. Und das ist eine gefühlte Ewigkeit so. Immer wieder heißt es, Investoren seien dran. Aber so richtig glauben möchte man das erst, wenn an das verlassene Kaufhaus Hand angelegt wurde. Wer vor dem Krambuden stehenbleibt – dort, wo sich vor einigen Jahrzehnten an der engsten Stelle noch eine Straßenbahn hindurch gezwängt hatte – verpasst allerdings etwas. Denn auch hier gibt es gute Fachgeschäfte, die einiges zu bieten haben. Allen voran Tires. Bis Mittag und am Wochenende steht meist Nourdin Tires hinter dem Grill und zaubert einen leckeren Imbiss. Dabei scheint er sich mit mehreren Sachen gleichzeitig beschäftigen zu können. Während er etwa einer seiner neuen Burger-Variationen zubereitet, plaudert er mit den Gästen, grüßt vorbei eilende Passanten, nimmt Bestellungen auf und kassiert zwischendurch noch Geld. Bei alledem lächelt er so, als sei er selbst Gast und würde nicht Stunde um Stunde zwischen Geschäft und Imbiss rotieren.

An einem Montag bei Tires

Wir treffen uns mit seiner Mutter Steffi an einem Montag. Denn das ist der Tag, wo die beiden Kraft tanken. Dinge organisieren und einkaufen. Und heute wollen wir über das Geschäft reden. Über das woher und wohin. Das Stichwort »Senfgeschäft« ist bei den beiden ein guter Einstieg. Denn sie arbeiten seit nunmehr sechs Jahren daran, dieses Image loszuwerden. »Wir haben das Geschäft im Mai 2010 als Senfgeschäft übernommen und uns war schnell klar, dass daraus ein Bistro und Feinkostgeschäft werden soll«, erzählt Steffi Tires. Aber Etiketten haften lange. Und so werben sie für ihr breites Angebot, das von edlen Weinen, Käse, Oliven, Tees, auch Senf, Limonade bis hin zu Wurstspezialitäten aus dem Vogtland geht. Denn dorther stammt Steffi Tires, die als Flüchtling 1980 aus der DDR kam. Nicht direkt nach Wolfenbüttel. Sie nahm einen »kleinen Umweg« über Algerien. Aus dem Land kam ihr damaliger Mann.


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Der große Umbruch

Das muss ein großer Umbruch gewesen sein. Aus dem wohlbehüteten Plauen nach Nordafrika. Steffi Tires wird ahnen, wie schwer es etwa für einen syrischen Flüchtling heute sein muss, wenn er über eine Odyssee heute in Deutschland landet. Dabei war Algerien nur ein kurzer Abschnitt in ihrem Leben. Jedenfalls oberflächlich. Nach einem Erdbeben kommt die junge Familie nach Wolfenbüttel. Das Arabische hat sie jedoch bis heute fasziniert. »Es ist die ganze Kultur, die Herzlichkeit der Menschen, die gute Küche, die mich immer noch fasziniert und nicht losgelassen hat«, schwärmt sie. Und so musste sie mit der distanzierten Art hierzulande erst einmal wieder zurechtkommen. »Das war nicht leicht« , bekennt sie. Aber wenn man hier dann Freunde gefunden habe,seien es auch echte Freunde. Die Ehe ging nach zwölf Jahren zu Ende und Steffi Tires fand später einen neuen Lebenspartner für sich und ihren Sohn Nourdin, der in Wolfenbüttel geboren wurde und hier aufwuchs.

Das Arabische bei Tires

Kochen und Gewürze, das waren von jeher die Leidenschaft von Steffi Tires. Zu ihrer Berufung hat sie dies aber erst nach vielen Umwegen gemacht. In den 80er Jahren war sie bei Druckereien als Anlagentechnikerin tätig, um dann nach dem 50. Lebensjahr noch einmal den großen Schritt zu wagen. »Als ich 50 war, war ich ausgeglichen genug, um das zu wagen«, und nach einem ersten Versuch in Wolfsburg stand das eigene Feinkostgeschäft in Wolfenbüttel auf dem Plan. Ihr damaliger Lebensgefährte schob das Projekt mit an und verstarb nach wenigen Monaten jedoch im September 2010. Das war der Augenblick, an dem sich Nourdin Tires in die Pflicht genommen sah: »Ich habe meine Ausbildung als Fachinformatiker für Entwicklungstechnik abgebrochen und bin in den Familienbetrieb eingestiegen. Das war für mich eine klare Sache. Die Familie ist das Wichtigste«, bekennt er. Hinzu kam, dass auch Nourdin Tires ein leidenschaftlicher Koch ist und kommunikativ dazu. Mit seiner Mutter führt und entwickelt er nun den Laden. Es kommen im Geschäft immer neue Produkte dazu. Feine Tees, edle Lebensmittel. »Ich fühle mich wie ein Weltenbummler, der von überall das Beste aufzunehmen versucht« erklärt er.


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Die Zukunft

Das Wichtigste für beide, sind zufrieden, glückliche Kunden. Egal, ob sie draußen einen Imbiss einnehmen oder im ersten Stockwerk im gemütlichen Bistro, in dem man gern verweilt oder ob sie sich die Zutaten für ihr Essen zu Hause im Geschäft holen. Wann und ob im Karstadtgebäude endlich etwas passiert, das treibt die beiden um. Wie es mit der Sanierung des Pflasters auf dem Krambuden weitergeht ebenso. Denn wenn hier gebaut wird, dann wird so einem kleinen Einzelhändler wie Tires die Lebensader eingedrückt. Aber die beiden sind kämpferisch und können wohl zurecht hoffen, dass eine treue Fangemeinde auch bauliche Hürden überwindet. Für eine Stadt wie Wolfenbüttel sind solche Laden enorm wichtig. Daran sollte die Stadt bei ihrer Bauplanung denken, wenn sie am Ende nicht nur Handyketten in der City haben will.


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