Brennpunkt Kornmarkt: Das sagen die Fraktionen zur Videoüberwachung

Würde eine Videoüberwachung mehr Sicherheit und Ruhe in die Innenstadt bringen? Die CDU meint ja. Doch wie sehen es die anderen Fraktionen?

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Würde eine Videoüberwachung mehr Ruhe und Sicherheit in die Innenstadt bringen?
Würde eine Videoüberwachung mehr Ruhe und Sicherheit in die Innenstadt bringen? | Foto: Rudolf Karliczek

Wolfenbüttel. Seit Monaten sorgt eine Gruppe von Jugendlichen am und um den Kornmarkt für Unruhe. Erst in der vergangenen Woche wurde ein Mann derartig heftig verprügelt, dass er ins Krankenhaus kam. Die Wolfenbütteler Rats-CDU meint, dass man mit einer Videoüberwachung für mehr Sicherheit sorgen könne und hat einen entsprechenden Antrag eingereicht. regionalHeute.de wollte von den Rats-Fraktionen wissen, wie sie dem Vorschlag gegenüberstehen.



Am Donnerstag teilte die CDU im Rat der Stadt mit, dass man einen Antrag für eine Videoüberwachung beim Bürgermeister eingereicht habe. Damit reagiert die CDU auf die Vorkommnisse im Bereich des Kornmarktes. "Wir können dem nicht weiter tatenlos zusehen", machte der CDU-Fraktionsvorsitzende Marc Angerstein deutlich.

Brennpunkt Kornmarkt


Kommissariatsleiter Andreas Twardowski
Kommissariatsleiter Andreas Twardowski Foto: Anke Donner


Der Kornmarkt und das Gebiet ringsherum ist für die Polizei inzwischen zu einem Brennpunkt geworden. Andreas Twardowski, Leiter der Polizei Wolfenbüttel, hat daher noch einmal verstärkte Maßnahmen angekündigt. Bereits seit der Großkontrolle im vergangenen Oktober sei die Polizei im Innenstadtbereich verstärkt präsent, so Twardowski. Gegen eine Videoüberwachung sei grundsätzlich nichts einzuwenden, sagt er. Allerdings weist er auf die hohen rechtlichen Hürden hin.

SPD kritisch


Ralf Achilles, Fraktionsvorsitzender der SPD im Rat der Stadt Wolfenbüttel.
Ralf Achilles, Fraktionsvorsitzender der SPD im Rat der Stadt Wolfenbüttel. Foto: Axel Otto


Diese seien auch für Ralf Achilles, Vorsitzender der SPD im Rat der Stadt, ein Punkt, den man bei den Überlegungen nicht außer Acht lassen dürfe. "Ich kann durchaus verstehen, dass der Wunsch aufkommt, durch eine Videoüberwachung eventuell Straftaten zu verhindern oder aufklären zu helfen. Allerdings beinhaltet eine solche Maßnahme hohe rechtliche Hürden. An diesen genannten Orten halten sich viele Menschen auf, darum sind Persönlichkeitsrechte und der Datenschutz einzelner zu beachten.


Nur die Möglichkeit, eventuell eine Tat zu verhindern oder aufzuklären, reicht dazu sicherlich nicht aus. Aus diesem Grunde muss eine solche Forderung unter rechtlichen Gesichtspunkten geprüft werden und dann wird sich herausstellen, ob die hohen Hürden überwunden werden können. Die Entscheidung wird sicherlich nicht bei der Stadt Wolfenbüttel liegen, sondern - wie in anderen Fällen, wie Stadt Hannover oder Braunschweig - an anderer Stelle, nötigenfalls bei Verwaltungsgerichten liegen", erklärt Achilles auf Nachfrage von regionalHeute.de. Alternativen zur Videoüberwachung seien laut Achilles Prävention und eine polizeiliche Präsenz.

FDP stellt sich gegen Überwachungspläne der CDU


Rudolf Ordon (links) und Pierre Balder halten nichts von dem Vorschlag der CDU
Rudolf Ordon (links) und Pierre Balder halten nichts von dem Vorschlag der CDU Foto: FDP


Permanente, flächendeckende Videoüberwachung am Kornmarkt, Stadtgraben und Co. können nicht der Weg zu mehr Sicherheit sein, erklären Stadtverband und Ratsfraktion der FDP. Man stelle sich klar gegen die Bestrebungen der CDU, Probleme mit kriminellen
Jugendlichen durch mehr Überwachung lösen zu wollen. „Das ist ein Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger – und führt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu dem gewünschten Effekt“, sagt Pierre Balder, Vorsitzender des Stadtverbands.

Außerdem spreche schon die immense Ausdehnung des zu überwachenden Bereichs gegen die Pläne. „Alleine den Stadtgraben zu überwachen, wäre ambitioniert, zusätzlich noch die Sportstätten, den Kornmarkt und das Bahnhofsumfeld im Blick zu haben, wäre ein riesiger Aufwand und beschneidet die Freiheit aller Bürger.“

Verdrängung in andere Bereiche


Vincent Schwarz
Vincent Schwarz Foto: Werner Heise


Zwar könne Videoüberwachung im öffentlichen Raum durchaus eine abschreckende Wirkung haben, sagt der FDP-Ratsherr Vincent Schwarz. „Aber wenn wir damit nur eine Verdrängung in andere Bereiche der Innenstadt bewirken, haben wir nichts gewonnen – und genau das ist zu befürchten.“ Eine permanente Videoüberwachung größter Teile der Innenstadt sei mit den Freiheitsrechten der Bürger nicht zu vereinbaren. Schwarz Fraktionskollege Rudolf Ordon hält mehr Polizeipräsenz für den besseren Weg. „Dieser Weg wird aktuell bereits beschritten und führt laut der Polizei bereits dazu, dass es ruhiger geworden ist“, sagt Ordon. Allerdings müssten bei Bedarf die Kontrollen noch verstärkt und durch den Ordnungsdienst der Stadt unterstützt werden. „Die Sorgen der Bürger sind schließlich berechtigt.“

Pierre Balder ergänzt, dass auch das Jugendamt und die Eltern der Jugendlichen eingebunden werden müssten, um die Ursache des Problems anzugehen. „Wir reden hier auch von Minderjährigen, bei denen auch das häusliche Umfeld noch einen Einfluss auf ihr Verhalten haben kann. Mit Gefährderansprachen durch die Polizei und Arbeit mit den Familien können wir weiteren Taten besser und nachhaltiger vorbeugen als mit Kameras.“

Falscher Reflex


Sascha Poser
Sascha Poser Foto: Grüne


Auch die Ratsfraktion von Bündnis90/Die Grünen sehen eine Videoüberwachung kritisch. Es sei ein nachvollziehbarer aber falscher Reflex, nach den schlimmen Vorfällen im Stadtgebiet, einfache Lösungen zu propagieren. Allerdings verhindere eine Kameraüberwachung keine Straftaten, sagt der Vorsitzende der Grünen-Ratsfraktion, Sascha Poser, auf Nachfrage. "Vielleicht hilft sie bei deren Aufklärung, aber in jedem Fall überwacht sie alle Bürgerinnen und Bürger zu 99,98 Prozent ohne Anlass. Und wenn es nach der CDU im Rat der Stadt Wolfenbüttel ginge, nicht nur am Kornmarkt, sondern in allen städtischen Bereichen, wo der öffentliche Raum besonders überwachungsbedürftig sei. Das ist unverhältnismäßig und nicht zielführend."

Es sei gesichert, dass sich Menschen unter Beobachtung anders verhalten, allein weil sie wissen, dass sie beobachtet werden. "Videoüberwachung im öffentlichen Raum stellt folglich einen erheblichen Eingriff in unsere Handlungsfreiheit dar. Andererseits werden weder die Ursachen, die zum Begehen einer Straftat führen, beseitigt noch die Anzahl der Straftaten verringert. Der öffentliche Raum wird durch Kameraüberwachung also nicht sicherer."

Sozialarbeiter und Polizeipräsenz


Wenn man Straftaten verhindern will, müssten Menschen zur Stelle sein und keine technischen Überwachungssysteme, meinen die Grünen. "Dazu gehören regelmäßige Polizeistreifen und vor allem die Präsenz von Straßensozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die auch mit Jugendlichen in kritischen Situationen umgehen können und bei Bedarf deeskalieren. Hierfür hat der Rat der Stadt bereits die Weichen gestellt und die Verwaltung ist dabei, Personal für die Straßensozialarbeit einzustellen.

Bevor man also in Technokratie investiert, sollte man in das Menschsein investieren. Das gilt übrigens auch für Publizistik , die sich nicht zu schade ist, sensationslüstern von "Terror-Kids" zu sprechen. Nur wenn man (gerade auch so genannten "problematischen") Jugendlichen Menschlichkeit vermitteln kann, macht man die Gesellschaft langfristig besser", so Poser abschließend.

AfD gegen Überwachung


Dr. Manfred Wolfrum.
Dr. Manfred Wolfrum. Foto: AfD


Für die AfD-Fraktion erklärte deren Vorsitzender Dr. Manfred Wolfrum, dass man dahin tendiere, den Antrag der CDU nicht zu unterstützen - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. “Grundsätzlich ist die AfD dagegen, dass der Überwachungsstaat weiter zunimmt. Das Überwachen der Bürger muß auf das allernotwendigste Minimum begrenzt werden.“, macht Wolfrum eingangs deutlich.

Weiter halte er den von der CDU vorgeschlagenen Bereich für viel zu groß. Eine Videoüberwachung sei eventuell noch sinnvoll, wenn sie sich auf einen bestimmten Bereich beziehe. „Der Überwachungsbezirk, ganzer Kornmarkt, ist zu großflächig, der Aufwand unverhältnismäßig. Überwachungen sind nur an eng gefassten konkreten Brennpunkten  sinnvoll“, so Wolfrum. Überwachungskameras würden bestenfalls bei der Täterermittlung helfen. „Sie verhindern jedoch wohl die Straftaten nur wenig, wie man ja auch bei der letzten schweren Körperverletzung sehen konnte, bei denen die Ermittlung der Täter ohne Probleme gelang.“

Recht und Gesetz ausschöpfen


Zum anderen glaubt Wolfrum, dass eine Videoüberwachung nicht zielführend sei. Zuvor müssten alle anderen Mittel ausgeschöpft sein. Vor allem müsse härter gegen die Täter vorgegangen werden. „Recht und Gesetz müssen dort erst voll ausgeschöpft werden. Da ist bisher noch viel Luft nach oben. Es muss hart durchgegriffen werden. Und zwar nicht nur polizeilich, sondern auch juristisch. Ich möchte, dass die Serien-Bewährungsstrafen bei diesen Tätern beendet werden. Die vielen Freisprechungen wegen Fristablaufs im Rahmen der Überlastung der Gerichte muss ebenso enden und durch zeitnahe Strafen ersetzt werden, die beim Täter noch im Bewusstsein mit dem Tatgeschehen stehen“, macht Wolfrum deutlich.

Prävention allein reicht nicht


Noch mehr Prävention und Sozialarbeit in den betroffenen Bereichen würden seiner Meinung nicht mehr ausreichen. „Ich wüsste nicht, wie wir die Sozialprävention noch steigern sollten. Wie weit sollen denn die vom Bürgermeister vorgeschlagenen sozialpädagogischen Maßnahmen gegen mögliche Personen aus dem gegenwärtigen und künftigen Täterkreis noch gesteigert werden, wenn die bisherigen Bemühungen seit Jahren zum Scheitern verurteilt sind? Es beginnt doch schon in den Kindergärten und Schulen, wenn insbesondere Erzieherinnen und Erzieher noch nicht einmal von den Kleinsten als Respektspersonen anerkannt werden.“

Pseudo-Sicherheit


Dr. Alexandra Tomerius, Dr. Alexandra Tomerius, Vorsitzende der Gruppe BUW/FDP
Dr. Alexandra Tomerius, Dr. Alexandra Tomerius, Vorsitzende der Gruppe BUW/FDP Foto: Axel Otto


Für Dr. Alexandra Tomerius, Vorsitzende der Rats-Gruppe BUW/FDP, ist die Idee einer Videoüberwachung keine gute. Das sei aber ihre ganz persönliche Meinung, betont sie. Innerhalb der Gruppe habe man den Antrag noch nicht thematisiert. Sie sehe den Antrag mit gemischten bis negativen Gefühlen entgegen, sagt sie auf Nachfrage. „Öffentliche Sicherheit ist immer ein Anliegen. Doch ich glaube nicht, dass die Situation so dramatisch ist, wie sie dargestellt wird. Ich glaube auch, dass man mit einer Videoüberwachung das Problem verlagern, aber nicht lösen würde."

Mehr Prävention und Sozialarbeit


Tomerius meint, dass man mit Prävention und Sozialarbeit besser vorankomme. „Ich glaube, das Geld wäre in der Jugendarbeit und Jugendprävention besser angelegt. Man muss an diese Jugendlichen und Kinder anders herankommen. Mit der Überwachung, finde ich, schafft man ein Pseudo-Sicherheitsgefühl. Da geht man vielleicht mit einem besseren Gefühl wieder über den Kornmarkt. Wobei ich persönlich zu keiner Tages- und Nachtzeit mich in Wolfenbüttel unsicher fühle. Wolfenbüttel ist für mein Gefühl noch immer eine sichere Stadt. Klar, jede Gewalttat ist eine zu viel. Die Intention des Antrags, man dürfe nicht tatenlos zusehen, teile ich durchaus. Wenn es ein Problem gibt, muss man auch hingucken und benennen. Aber ich glaube nicht, dass die Videoüberwachung da der große Wurf ist und die Lösung des Problems.“

Die Aussage von Polizei-Chef Andreas Twardowski, er würde gegen eine Videoüberwachung nichts einzuwenden haben und einige Berichterstattungen allein, würden ihr für eine Entscheidung auch nicht reichen. Auch die Aussage, in Wolfsburg und Braunschweig habe die Videoüberwachung bisher gute Ergebnisse erzielt, seien für sie kein Argument. "Das weiß ich nicht, weil ich dazu keine Fakten habe. Ich brauche Zahlen, Daten, Fakten."

Zudem weist sie auch auf die Kosten und vor allem auf die Datenspeicherung- und Auswertung hin. „Das ist ja auch alles hochproblematisch."

Wo bleiben die Streetworker?


Der Lagen mit Sozialarbeitern entgegenzuwirken ist auch Plan der Stadtverwaltung. Bereits kurz nach der Großkontrolle im vergangenen Oktober forderte Bürgermeister Ivica Lukanic eine stärkere Präventions- und Integrationsarbeit. Auch in Zusammenarbeit mit dem Landkreis.

Im Januar erklärt Lukanic gegenüber regionalHeute.de, dass in den betroffenen Bereichen Streetworker eingesetzt werden. Auf seine Initiative hin und aufgrund der Dringlichkeit hatte der Rat der Stadt noch vor der Haushaltsfreigabe zwei Streetworker-Stellen genehmigt. Inzwischen ist fast der April verstrichen. Daher wollten wir wissen, was aus den Plänen geworden ist. Auf Nachfrage erklärt Stadtsprecher Thorsten Raedlein, dass die Ausschreibung für die Streetworker-Stellen gelaufen sei und aktuelle die Auswahlphase laufe.


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