15 Corona-Tote und 79 Infizierte in Wolfsburger Altenheim - Höhepunkt noch nicht erreicht

79 Bewohner des Hanns-Lilje-Heims sind nachweislich mit dem Coronavirus infiziert. Sicherheitsvorkehrungen wurden nochmals dramatisch verstärkt.

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Bereits 15 Bewohner sind an den Folgen der Coronavirus Infektion gestorben. Immer wieder müssen die Leichenwagen am Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg vorfahren.
Bereits 15 Bewohner sind an den Folgen der Coronavirus Infektion gestorben. Immer wieder müssen die Leichenwagen am Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg vorfahren. | Foto: aktuell24(KR)

Wolfsburg. Der Bestatter fährt vor dem Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg vor. Drei weitere Bewohner sind in der Nacht auf den gestrigen Sonntag an den Folgen von COVID-19 verstorben. 15 sind es nun insgesamt. Die Angehörigen konnten keinen Abschied nehmen, weitere 79 Bewohner (von 165) sind nachweislich mit dem Virus infiziert. Hinzu kommen etliche Mitarbeiter des Pflegepersonals. Die Schutzausrüstung wird knapp und zu allem Überfluss steht die Befürchtung im Raum, dass der Höhepunkt noch nicht erreicht sei - so schätzt Dr. Friedrich Habermann, Leiter des hiesigen Gesundheitsamtes, die Situation ein.


"Entsetzlich", nennt Oberbürgermeister Klaus Mohrs die Entwicklung: "Ich finde es entsetzlich, dass Angehörige jetzt Menschen verlieren, ohne, dass sie Abschied von ihnen nehmen konnten." In Gedanken sei er zurzeit immer wieder bei den Angestellten des Pflegeheims. "Die Ereignisse haben sich so überschlagen in den letzten Tagen", stellt Dr. Habermann mit Bedauern fest.

Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs zeigt sich entsetzt über die Situation im Pflegeheim.
Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs zeigt sich entsetzt über die Situation im Pflegeheim. Foto: aktuell24(KR)



Besonders erschrocken zeigt sich der Amtsarzt darüber, dass viele der Bewohner überhaupt keine Symptome gezeigt hätten: "Es sind dann auch welche verstorben und erst nach dem Tod hat man dann erfahren, dass sie Corona-Positiv sind." Als oberste Maxime in der Corona-Krise galt beim Bekanntwerden einer Neuerkrankung immer, den "Patienten Null" zu identifizieren, um weitere Ansteckungen zu vermeiden. Im Hanns-Lilje-Heim ist die Infektionskette nebulös, eine genaue Ermittlung unmöglich.

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Bettina Enßlen, Pressesprecherin der Diakonie Wolfsburg, welche die Einrichtung betreibt, erklärt, dass es beinahe zeitgleich Bestätigungen von COVID-19 Erkrankungen bei einem Bewohner und einer Mitarbeiterin gegeben hat. Der Bewohner sei laut der Pressesprecherin erst vor zwei Wochen in das Pflegeheim eingezogen: "insofern wird man es nie mit letzter Sicherheit sagen können, wie es zu uns gekommen ist. Zum Stand von vor zwei Wochen hat man Neuaufnahmen ja noch gar nicht auf Corona getestet."

Zahlreiche weitere Bewohner des Hanns-Lilje-Heim sind mit dem Virus infiziert.
Zahlreiche weitere Bewohner des Hanns-Lilje-Heim sind mit dem Virus infiziert. Foto: aktuell24



Bewohner reagieren mit Angst


Am Sonntagnachmittag wurden in Reaktion auf die neuesten Todesfälle die Hygienemaßnahmen in der Pflegeeinrichtung noch einmal verschärft. Zwei Gebäudeteile wurden hermetisch voneinander abgeriegelt. "Es gibt jetzt einen Infektionsbereich in der dritten Etage, in den alle Menschen umgezogen sind, die positiv getestet wurden." Die Mitarbeiter beider Bereiche begegnen sich nicht mehr. Beide nutzen verschiedene Ein- und Ausgänge.

Neben dem Umzug Corona-negativer Bewohner aus der dritten Etage in einen anderen Gebäudeteil müssen die teils demenziell erkrankten Senioren jedoch weitere Einschnitte hinnehmen. Der gesamte "saubere" Trakt wurde von oben bis unten gereinigt und desinfiziert, hieran waren neben den Mitarbeitern auch vier freiwillige Ärzte beteiligt. Doch vorher musste alles raus, was sich nicht einwandfrei desinfizieren lässt. Enßler zählt auf: "Zum Beispiel Polstermöbel, die mit Stoffen bezogen sind. Aber auch die komplette Kleidung, alle persönlichen Gegenstände, ein Bild, das an der Wand hing. All das kam raus. Für unsere Bewohner ist das eine Belastung sondergleichen. Sie reagieren auf diese Veränderung mit Angst. Und ganz oft mit Ablehnung."

Dies sei laut der Pressesprecherin der Demenz geschuldet: "Da braucht man sehr viel Zeit und sehr viele Gespräche um das aufzulösen. Auch wenn es nur Umzüge innerhalb des Gebäudes sind." Eine zusätzliche Aufgabe neben der angespannten Situation und den üblichen pflegerischen Tätigkeiten. In einem Berufszweig, in dem seit Jahren ein Mangel beklagt wird. "Das Pflegepersonal arbeitet tatsächlich am Limit, physisch und psychisch. Das merken wir", konstatiert Bettina Enßlen.

Im Einsatz für mehr Schutzmaterial


Im Krisenstab werden laut Oberbürgermeister Klaus Mohrs auch die schlimmsten Szenarien erörtert: "Wir bereiten uns darauf vor, ein Notkrankenhaus einzurichten. Weil wir glauben, dass das möglicherweise notwendig ist." Zu Beginn der vergangenen Woche sei ein Mangel an Schutzkleidung zu beklagen gewesen. Krisenstab, der Einrichtungsträger und das Gesundheitsamt greifen bei dieser Problematik gut ineinander. "Es sieht besser aus, als heute vor einer Woche, was das Material angeht", stellt der Oberbürgermeister fest.

Die Beschaffung sei jedoch laut Dr. Habermann vom Gesundheitsamt eine Herausforderung gewesen. Die Struktur sei, dass der Träger des Pflegeheims einen drohenden Mangel an Schutzmaterial dem Gesundheitsamt meldet, dort wird dann in Zusammenarbeit mit dem Krisenstab an Beschaffungsoptionen gearbeitet. "Es war aber auch so, dass Schutzkleidung, welche bestellt war, zugesagt war, dann doch nicht geliefert wurde. Eine extreme Herausforderung aller Beteiligten. Wir haben das Heim dann aus verschiedenen Quellen mit Schutzkleidung versorgt", berichtet Amtsarzt Dr. Habermann über die Herausforderungen in der Beschaffung und ergänzt: "Wir haben heute noch mal mit Nachdruck nach Schutzkleidung gesucht und ich gehe davon aus, dass da auch eine Lieferung unterwegs ist."

Hilfe kam dabei auch vom Klinikum Wolfsburg. Hundert Schutzkittel konnte das Krankenhaus an die Einrichtung abgeben. Dringend notwendig, wie Diakonie-Sprecherin Bettina Enßlen erzählt: "Dadurch, dass wir jetzt die getrennten Bereiche haben, brauchen wir sehr viel mehr Schutzkleidung. Und das ist ein knappes gut derzeit." Enßlen setzt den Bedarf in Relation: "Würde man die Sicherheitsmaßnahmen bei uns in allen Einrichtungen im Land umsetzen, wären wir sofort blank was Schutzkleidung und Ausstattung angeht." Doch trotz allem ist die Unterstützung immens. 28 Helferinnen und Helfer haben sich gemeldet, um die Pflegekräfte im Hanns-Lilje-Heim zu unterstützen. Nun bleibt zu hoffen, dass die Maßnahmen greifen.


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