Berlin. Ärztevertreter und Kliniken warnen vor wachsender Aggressivität und Gewalt in Notaufnahmen. "In ganz Deutschland beobachten wir eine zunehmende Aggressivität gegenüber Rettungskräften. Das betrifft nicht nur Helfer im Rettungseinsatz, sondern auch das Personal in den Notaufnahmen", sagte Felix Walcher, neuer Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstagausgaben).
Beschäftigte in den Notaufnahmen berichteten über eine Zunahme von verbalen Attacken und Rüpeleien, es komme jetzt häufiger auch zu Handgreiflichkeiten. Die Spannung in allen Bereichen des Gesundheitswesens habe zuletzt deutlich zugenommen. "Die Belastung in den Notaufnahmen verschärft sich durch den wachsenden Personalmangel. Durch die Pandemie hat sich der Trend noch einmal deutlich verstärkt", so Walcher. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) teilt die Sorge: "Neun von zehn Krankenhäusern mussten bereits Erfahrung mit Gewalt gegen ihre Beschäftigten in den Notaufnahmen sammeln", sagte DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß den Funke-Zeitungen. Die Situation habe sich in den vergangenen Jahren verschärft. "Das ist gerade in den Notaufnahmen tagtäglich zu spüren, wenn Zeitdruck, Personalknappheit sowie Ängste und Sorgen der Patienten und ihrer Angehörigen aufeinanderprallen", so Gaß. Nach aktuellen Zahlen der Krankenhausgesellschaft hat bereits knapp jede zweite Klinik einen Sicherheitsdienst engagiert. DIVI-Präsident Walcher beklagte "eine Spirale des Stresses". Es gebe nicht nur Personalmangel in den Notaufnahmen, sondern auch große Probleme, Patienten auf die regulären Stationen weiterzuleiten - weil es auch dort wegen des Personalmangels zu wenig betreibbare Betten gebe. In der Folge würden die Wartezeiten in der Notaufnahme länger.
"Wir sehen im bundesweiten Durchschnitt eine deutliche Steigerung der Aufenthaltsdauer in den Notaufnahmen." Patienten müssten heute durchschnittlich zehn bis fünfzehn Minuten länger in der Notaufnahme verbleiben als vor der Pandemie. Hierdurch steige die Aggressivität, Patienten verlören die Geduld und ließen ihren Ärger am Personal aus. "Dass Menschen, die anderen Menschen helfen und ihnen sogar das Leben retten wollen, angegriffen und bedroht werden, ist ein unhaltbarer Zustand", kritisierte DKG-Chef Gaß.
Mit der Strafverschärfung für Übergriffe auf Sanitäter sei die Politik bereits einen richtigen Weg gegangen. "Wir wünschen uns aber, dass auch Gewalt gegen Pflegekräfte, Ärzte und andere Krankenhausmitarbeiter schärfer bestraft und Angriffen auf Vollzugspersonen gleichgestellt wird", forderte Gaß. Um die Notaufnahmen zu entlasten, verlangte DIVI-Präsident Walcher eine bessere Steuerung für Akutfälle: "Wer die Notfallnummer 112 wählt, braucht nicht zwingend den Rettungsdienst zum Transport in die Notaufnahme." Ziel müsse eine digital vernetzte Leitstelle von Rettungsdienst, Klinik-Notaufnahme und ärztlichem Notdienst sein, die kläre, welche Art von Versorgung der Anrufer brauche und wo er sie dann anschließend bekomme.
"Wir müssen falsche Zuweisungen vermeiden." Sie führten zu unnötigen Behandlungen und einer Überlastung der Notaufnahmen. "Aktuell gehen wir davon aus, dass in fünf bis zehn Prozent der Fälle eine Fehlzuweisung erfolgt." Walcher forderte mit Blick auf die Regierungskommission für die Krankenhausversorgung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), "möglichst zeitnah konkrete Schritte" für eine Reform der Notfallversorgung.
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