Anklage zugelassen: Verfahren gegen Winterkorn und Co. eröffnet

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG Prof. Dr. Martin Winterkorn und vier weitere Personen müssen sich unter anderem wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verantworten.

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Braunschweig. Nach umfangreicher Prüfung der Anklage und Durchführung von weiteren Ermittlungen im Zwischenverfahren hat die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig die Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig mit Änderungen zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Anklage wegen des Vorwurfs des Betrugs und anderer Straftaten im sogenannten NOx-Verfahren richtet sich gegen fünf – teilweise ehemalige – Mitarbeiter der Volkswagen AG, darunter den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Martin Winterkorn. Das teilt das Landgericht in einer Pressemitteilung mit.


Die Kammer hat hinsichtlich des Angeklagten Winterkorn einen hinreichenden Tatverdacht – das heißt eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit – wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs bejaht. Hinsichtlich der übrigen Angeklagten sieht die Kammer einen hinreichenden Tatverdacht wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall und mit strafbarer Werbung beziehungsweise wegen Beihilfe zu diesen Delikten.

Dem hinreichenden Tatverdacht des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs liegt der Vorwurf zugrunde, dass Käufer bestimmter Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern über deren Beschaffenheit, insbesondere die Verwendung einer sogenannten Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware getäuscht worden seien, durch die eine Einhaltung der maßgeblichen Stickoxidemissionen lediglich auf dem Teststand gewährleistet gewesen sei. Die Käufer hätten hierdurch jeweils einen Vermögensschaden erlitten.

"Bandenmäßige Begehung der Tat"


Anders als die Staatsanwaltschaft, die gegenüber den Angeklagten lediglich den Vorwurf eines Vergehens des Betrugs im besonders schweren Fall erhoben hat, sieht die Kammer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine bandenmäßige Begehung der Tat durch die Angeklagten und hat ihrer Eröffnungsentscheidung daher jeweils die Verwirklichung des Verbrechens des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zugrunde gelegt. Der Vorwurf des Betrugs betrifft insgesamt etwa 9 Millionen Fahrzeuge, die in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika verkauft worden sein sollen. Es steht ein Vermögensschaden der Käufer in Höhe von insgesamt mehreren 100 Millionen Euro im Raum. Drei der Angeklagten wird eine Beteiligung an der Tat allerdings nicht für den gesamten Tatzeitraum, der sich von 2006 bis 2015 erstrecken soll, zur Last gelegt, so dass sich der Tatverdacht für diese Angeklagten auf entsprechend geringere Fahrzeugzahlen und Schadenssummen bezieht.

Steuerschaden von 820.000 Euro


Der Vorwurf der Steuerhinterziehung betrifft etwa 6.800 Fahrzeuge, die aufgrund der unzutreffenden Annahme, dass sie die Schadstoffklasse „Euro 6“ erfüllten, in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2013 zu Unrecht eine Kraftfahrzeugsteuerbefreiung von jeweils bis zu 150 Euro erhalten hätten. Es steht insoweit ein Steuerschaden von insgesamt zirka 820.000 Euro im Raum. Weil dieser Steuerschaden ein großes Ausmaß darstellen könnte, hat die Kammer – auch insoweit weitergehend als die Staatsanwaltschaft – ihrer Eröffnungsentscheidung den hinreichenden Tatverdacht eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung zugrunde gelegt.

Der Vorwurf der strafbaren Werbung gemäß des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb bezieht sich auf Werbemaßnahmen, durch die besondere, tatsächlich nicht vorhandene Vorzüge von Fahrzeugen im Bereich der Emissionen angepriesen worden sein sollen. Anders als die Anklage sieht die Kammer aus rechtlichen Gründen einen hinreichenden Tatverdacht lediglich in Bezug auf Werbemaßnahmen, die den europäischen Markt betreffen, und nicht in Bezug auf Werbemaßnahmen, die den US-amerikanischen Markt betreffen. Aus diesem Grund hat die Kammer hinsichtlich des Angeklagten Prof. Dr. Winterkorn, dem mit der Anklageschrift insbesondere ein strafbares Verhalten in Bezug auf Fahrzeuge auf dem US- amerikanischen Markt zur Last gelegt worden ist, keinen hinreichenden Tatverdacht wegen strafbarer Werbung angenommen.

Untreue und Falschbeurkundung sieht das Gericht nicht


Einen hinreichenden Tatverdacht wegen mittelbarer Falschbeurkundung beziehungsweise Beihilfe hierzu sieht das Gericht nicht. Nach Auffassung der Kammer stellen die in den zu entscheidenden Fällen inhaltlich möglicherweise unrichtigen Angaben zur Nummer der EG-Typgenehmigung in der Zulassungsbescheinigung eines Kraftfahrzeugs keine öffentlichen Urkunden im Sinne dieser Strafvorschrift dar. Eine erhöhte Beweiskraft der entsprechenden Angaben, die für die Annahme öffentlicher Urkunden erforderlich wäre, scheidet aus Sicht der Kammer aus, weil die Zulassungsbehörden diesen Angaben regelmäßig ungeprüft Angaben des Herstellers in der sogenannten Konformitätsbescheinigung zugrunde legen, für die gerade keine besondere Gewähr der Richtigkeit spricht. Ferner geht die Kammer aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen von keinem hinreichenden Tatverdacht wegen Untreue zum Nachteil der Volkswagen AG aus.

Die Kammer hat den Verfahrensbeteiligten im Eröffnungsbeschluss ferner eine Vielzahl von Hinweisen erteilt, die überwiegend Sachverhalte betreffen, welche in dem nunmehr abgeschlossenen Zwischenverfahren bereits thematisiert worden waren, und die weitere in Betracht kommende von der Anklageschrift abweichende Würdigungen beinhalten. Unter anderem hat die Kammer dargelegt, dass die von der Staatsanwaltschaft erstrebte Einziehung des Wertes der von den Angeklagten erlangten Bonuszahlungen voraussichtlich nicht anzuordnen sein wird, weil durch die in Betracht kommenden Taten nicht die Angeklagten, sondern die Fahrzeughersteller unmittelbar etwas erlangt haben.
Im Zwischenverfahren hat das Gericht zu verschiedenen Fragen ergänzende Beweiserhebungen veranlasst. Die entsprechenden Ermittlungen sind teilweise noch nicht abgeschlossen.

So geht es weiter:


Die Kammer wird nunmehr mit den Verfahrensbeteiligten Gespräche über den Ablauf und die Organisation der Hauptverhandlung führen. Anschließend werden die Hauptverhandlungstermine anberaumt und zu gegebener Zeit im Rahmen einer Pressemitteilung bekannt gegeben.


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